Zurück und auf Mark Irsee zu: Beschneidungen und Glaubenskriege ODER Des Abendlands Dilemma. Das Zwischen- und doch Argo-Journal des Dienstags, dem 31. Juli 2012.

8.03 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Spät, ziemlich spät nachts >>>> kam ich hier an, viel zu spät für >>>> die Bar, aber ich war auch zu aufgekratzt, um gleich schlafen zu können. Schaute noch im Netz einen alten Tatort, über den ich aber einnickte. Hatte gleich bei Ankunft, als ich am Gepäckband auf den Rucksack wartete, weil ich das Ifönchen doch wieder zurückbekommen hatte, nach Post; aber da war nichts, gar nichts von irgend einer Bedeutung.
Jetzt erst einmal an Argo. Meinen alten Frühaufsteher-Rhythmus werde ich eh erst wiedererlangen, wenn >>>> Irsee vorüber, für das noch ein Weblog vorzubereiten ist, weil Texte von Teilnehmern, ähnlich wie seinerzeit >>>> im virtuellen Seminar, im Netz publiziert und dort auch diskutiert werden können sollen. (Das Heidelberger Seminar ist unterdessen verwaist; vielleicht sollte ich es vom Netz nehmen).

Jamesville sitzt tief, ich merkte es an meinen Träumen; interessanterweise Beirut aber auch. Wir gelangten ungehindert dort an, das Land lag wie friedlich. Ich glaubte aber zweimal, in der Ferne Rauchsäulen aufsteigen zu sehen. Dafür waren, verständlicherweise, die Kontrollen am Flughafen ziemlich heftig. Viel Rotes Kreuz, mehrere Wagen von Ärzte ohne Grenzen. Als ich in Berlin durch die Nacht fuhr, verstand ich schon gut, was mit der „Festung Europa“ gemeint ist; nichts anderes, eine gesicherte, zumal luxuriös-dekadente Enklave ist aber Jamesville ganz gewiß auch. Ich habe, nach Lage der Dinge, ziemliche Zweifel, daß Le Duchesse es halten kann, sein patriarches Paradies. Ob wir Europa halten können, den Westen insgesamt, der mit den eigenen Grundlagen, die aus der Aufklärung stammen, in Konflikt gerät: Ich las heute früh über die >>>> Diskussionen zur Geschlechtsteilsbeschneidung, die, ganz wie der islamische Schleier für Frauen, auch als Praxis der grundgesetzgarantierten freien Religionsausübung betrachtet werden könne. Die Frage ist in der Tat eine des geltenden Menschenbilds, und dieses ist – so und so – ethisch bedingt; Religionen sehen es prinzipiell anders als das aus den Ideen eines als frei vorgestellten Geistes entstandene säkulare Rechtssystem, das sich zugleich in der Akzeptanz anderer, nämlich rigid-religiöser Menschenbilder selbst widerspricht. Wir kommen hier um Haltung nicht herum, auch und gerade nicht um offene Positionierung; der nächste Widerspruch, den wir austragen, ist: daß das schon gar nicht gilt, wenn wir zugleich durchlässig bleiben, nicht selbst verhärten wollen. Zugleich wissen wir – oder wir ahnen es zumindest -, daß es mit der Freiheit des Individuums erkenntnistheoretisch, vor allem aber praktisch nicht sehr weit her ist: von früh auf streng religiös erzogene Kinder werden streng Religiöse, es sei denn, das Leben tritt ihnen von hinten so in die Knie, daß sie „abtrünnig“ werden. Das sind nur wenige, weil sie zudem Zugang zu den Bildungswegen haben müssen, zumal zu solchen der von uns als frei favorisierten. Doch unser Freiheitsbegriff, naturwissenschaftlich gesehen, hängt ganz genau so in der Luft wie irgend ein Gott, so daß imgrunde auch wir einen Glaubenskampf führen. Bei alledem sind die Interessen, die „die“ Wirtschaft hat, noch gar nicht mitgedacht: Eigeninteressen, die unterdessen den Charakter sich selbst generierender Systeme angenommen haben, für die es persönliche Entscheidungsträger gar nicht mehr gibt – schon, weil auch deren Freiheit eben letztlich nur eine Annahme ist: kategorischer Imperativ im Sinn Immanuel Kants. Beginnen wir aber zu relativieren, Werte zu relativieren, dann relativieren wir die eigene Position, was uns im Fall direkter Auseinandersetzungen, in jedem „tatsächlichen“ Kampf nämlich, schwächt. Relativieren wir sie aber nicht, ist in den kämpfenden Dogmata strukturell ein Unterschied gar nicht mehr auszumachen; es stellen sich da alleine noch Behauptungen gegeneinander, über deren schließliches „Recht“ nichts als ein Darwinismus entscheidet, der die Stärke der einzelnen Gruppen, Nationen, Ethnien militärisch definiert.
Etwas anderes ist Unterwanderung: das Netz geht diesen Weg, indem es, was sich wissen läßt, basisdemokratisch organisiert und zugänglich macht, jedenfalls noch, und dabei zeigt, wie es sich leben ließe, hätte man denn Geld. Nichts, gar nichts unterläuft die Dogmen so sehr wie der Wohlstand, der aber zugleich erpreßbar macht und korrupt macht.

Das geht mir, gerade nach Jamesville, furchtbar durch den Kopf. Aber ich muß – und will – mich endlich wieder um Argo kümmern. Dort allerdings flieht man grad aus Europa hinaus, dessen Mauern, des Abendlandes, – brechen.

10.34 Uhr:
>>>> So etwas gehört zur Nachbereitung solcher Reisen, sowie daß ich sie immer auch als Vorarbeiten für spätere Bücher betrachte und so auch archiviere, mit entsprechendem Vermerklink, in diesem Fall auf >>>> Melusine Walser.

Jetzt aber wirklich an Argo. Ob ich heute, so gerne ich wollte, ans Cello kommen werde, ist ungewiß. Aber an den Text zu Ankalina Dahlem muß ich heute; die zündende Idee stammt von der Löwin, telefonisch, heute früh. Durch die Bilder gehen, aber mit den Augen eines – Knaben.

5 thoughts on “Zurück und auf Mark Irsee zu: Beschneidungen und Glaubenskriege ODER Des Abendlands Dilemma. Das Zwischen- und doch Argo-Journal des Dienstags, dem 31. Juli 2012.

  1. Wenn Sie mit Dahlems Bildern durch sind: Ich hätte da auch noch welche anzubieten, durch die ein Gang lohnen würde. (Aber vielleicht nicht als Knabe.)

    1. @tom: O doch! Es gibt sogar viele solche Wörter.

      Allerdings interessiert es mich, weshalb Sie Ihre Bemerkung ausgerechnet unter diesen Text gesetzt haben. Da wird es wohl einen Zusammenhang geben, nur daß er mir nicht deutlich ist.

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