[Maison Cattechnian, 3.]
Es gibt hier seit gestern eine Unruhe auf dem Gelände. Schon daran meinte ich, sie zu spüren, weil mit einem Mal Menschen zu sehen waren, also außer Jamil und dem Schattenmädchen. Vorhin fuhr sogar ein kleiner Bus vor, erst an die Hazienda, jemand sprang heraus, ich hörte von meiner Holzterrasse aus kurze Rufe, dann vor das schmale, sehr gepflegte Gebäude, welches mein Schattenmädchen – sie heiße Nasrin, flüsterte es mir in die Halsbeuge links – das Frauenhaus nennt. Tief verschleiert stiegen seine Bewohnerinnen ein, alle dreizehn, glaube ich, erst sechs in diesen Bus, dann sieben in einen zweiten, der folgte. Keine war als Europäerin kenntlich. Bereits gestern spätabends war Jamil zu mir in mein Cattechnian gekommen, um mich, seltsamerweise, über meinen heutigen Rückflug zu, wie er sagte, beruhigen; er schien vergessen zu haben, daß ich zur Unruhe noch gar keinen Grund hatte, da ich hier von allen Nachrichten wegisoliert bin, sondern ihn nun erst, eben dadurch, bekam.
„Syrien“, sagte er auf mein Nachfragen nur. Seine Augen sahen durch mich hindurch in die Ferne. Leiser: „Es tut mir so leid“ – sich fassend, schon wieder das Lächeln: „Aber es ist gut, daß Sie morgen nachhause fliegen.“
Ich vermute, der syrische Konflikt greift auf den Libanon über. Jamil wollte aber nichts weiter sagen und ich nicht fragen und erst recht nicht auf die Chromosomin zu sprechen kommen, die ich und weil ich sie tatsächlich nicht wiedergesehen habe. Dafür lag Nasrin bei mir, kichernd, mädchenhaft albern noch beim Einschlafen. Ich hatte überhaupt keine Autorität, so daß ich völlig unfähig war, sie mir, wie vorgehabt, zu nehmen. Statt dessen steckte sie mir einen Finger ins Ohr, dann in die Nasenlöcher, immer wieder; zweimal versuchte sie‘s mit meinem After. Das war dermaßen komisch, daß ich nicht mal sauer werden konnte, sondern mitlachen mußte. Wir kamen aus dem Albern gar nicht mehr raus. Sie zog mich gestisch immer nur mehr und noch mehr auf, bis wir dann beide irgendwann einschliefen wie aufgekratzte Kinder, in deren Tollheit die Nacht fällt, um sie mit Schlaf zu beschweren. Frühmorgens, vorhin, lag ihr schöner Kopf an meiner Brust, und als ich sie, mein Schattenmädchen, weckte, schnurrte es wie ein Katzenjunges. Küßte mich spontan, schnellte aber auf und huschte, sich ihr Gewand überwerfend, nein: in es hineinfliegend, hinaus.
Ich sah zur Uhr, es war noch keine sechs. Stand ebenfalls auf, schritt Nasrin hinterher, die Tür hatte sie offenstehen lassen, stand auf der Balustrade und entdeckte den Bus. Merkte die plötzliche, ungewohnt belebte Betriebsamkeit.
Von Chromò, wie gesagt, keine Nachricht. (Weshalb muß ich an >>>> Creezy denken?) Aber ich bin ruhig über sie. Sie wird sich melden, ist keine, die ein ihr gegebenes, zumal solches Versprechen vergißt. Wir werden uns in Deutschland treffen, wie wenn das libanesische Jamesville tatsächlich wäre die Dschanna gewesen, das einem späteren weltlichen Leben die Absicht vorbestimmt hat – jedenfalls ist das formal ein schönes Motiv. Ich weiß ja, wo sie lebt. Könnte also, rein theoretisch, auch von mir aus tätig werden. Wobei mir schon bewußt ist, auf welch eine Balance ich zu achten hätte, wegen meiner Familie sowieso, aber vor allem wird die Löwin, bereits jetzt, die Krallen wetzen und an ihren Fängen feilen. Indes die Samarkandin sich amüsieren wird: ich hör sie schon mich verspotten. Da ist zumal >>>> Ayana, der ich ja ebenfalls, gewissermaßen, im Wort stehe. So daß ich mir schon vorstellen kann, zu was mir Jamesville werden könnte – so, ganz so, von dem Gräfin gemeint, der mir mein inneres Faustselbst, wenn ich das mal mythisch übersinne, kurzerhand herumdreht: seinerseits nicht ohne Spott, eines des identisch selbstbewußten Franzosen gegenüber dem historisch zwar nicht mehr wirklich, als „bloß“ Enkel der Mörder, schuldbeladenen, doch zurecht verunsicherten jüngeren Deutschen. Den er nun mit Harems lockt – in eine, möglicherweise, nächste politische Falle.
All das zu überdenken, ist aber momentan nur ein Vorschub, mir selbst die Nervosität zu verdecken. Wenn ich ehrlich bin, macht es mir Angst: die Rückfahrt, die Realität, vielleicht, von Schüssen am Flugplatz; ich bin, bei aller Abenteuerlust, zu verwohlstandet für Krieg, zu dekadent für einen aktiven Kampf, der tatsächlich mit dem Körper geführt wird und um den Preis seines Verlustes, ja selbst nur physischer Schmerzen, denen man ihn aussetzt. Welch ein Luxus das ist, in dem wir – so nannte man uns >>>> in Japan 2002, Tokyo, Keio Universität – „Westeners“ leben! Jamils kleiner Satz geht mir nach, geht mir dermaßen nach: „Es tut mir so leid.“
Nein – auch wenn mich Le Duchesse verführen will, es zu denken: Die Welt ist k e i n Spiel der Imaginationen, weder ausgedachter Götter noch eines Textes und seiner Dichter, noch selbst nur ein Text.
Ich sollte packen. Es ist bereits Viertel vor elf. Wir führen am frühen Mittag los, erklärte Jamil, nachmittags gehe mein Flieger. Ich möge dann bitte bereit sein. Irgendwann nachts, schätze ich, werde ich die Arbeitswohnung wieder betreten. In >>>> der Bar wieder sitzen, morgen wahrscheinlich, der gegenüber im Parkchen ein Fuchs lebt, und neben mir, von dem Champagnercocktail nippend, wird mich der Profi nach dem Libanon fragen, von dem ich rein gar nichts gesehen.
Aber die Zedern.
Er duftet, der Wald. Über den ich Gedichte gelesen habe… auch. – Nasrin, o Nasrin.
(An Argo habe ich gestern keinen Handschlag getan. Auch an der Neuen Fröhlichen Wissenschaft nichts. Immerhin steht mein Entschluß, auf eigene Faust, noch einmal – dann aber ‚richtig‘ und eben n i c h t nach >>>> Roissy en Liban -, nach Beirut zu fliegen. Wenn ich in Deutschland zurück bin, werde ich nach Flügen schauen. Schon jetzt, wie mit dem Ätna, hab ich das Gefühl einer Klammer, die aufklafft. Und geschlossen werden will. Denn daß ich das schreibe und ER es wird lesen, ist m e i n … und sie dreht sich d o c h!)
Killekille geht auch vorzüglich mit geschärften Krallen.
Gute Rückkunft So ist man halt immer auf Reisen. Autoren kommen rum. Bin auch gerade wieder unterwegs an den Amazonas (ach Quatsch, das denken nur die ohne Ortskenntnis), vielmehr an den Rio Pará. Wünsche Ihnen einen guten Champagnercocktail in der Berliner Nacht.
Gruß PHG