Von den Fallhöhen: Jamesville (4). Das Arbeits- und Erhörungsjournal vom Freitag, dem 28., auf Sonnabend, den 29. Juli 2012. Weiters vom Paradies.

7.30 Uhr:
[Maison Cattechnian, 3.]
>>>> Chromò“, sagte sie mit dem nach oben, wie um etwas aufzunehmen, offenen ‚o‘, das die Kurzform beschließt. „Woher wissen Sie, daß ich so heiße?“
„Das wußte ich nicht.“
„Ich lege Wert auf meine Anonymität… hier.“ Aber dieses sei einst und zuerst ihr Kindername gewesen, der sich, wohl auf dem Weg alter Freunde, bis heute bewahrt habe, wenn auch, anfangs nachvollziehbarerweise, nur noch bei nahen Bekannten. Es habe indes eine Zeit gegeben, da sie eine Laufbahn als Model begonnen, „ich habe das wirklich gerne gemacht, es war eine andere Welt, als ich kannte“, dann aber sei sie ihrem heutigen Mann begegnet. „Rücksichtnahme“, sagte sie, „eine Selbstverständlichkeit. Wenn Sie so wollen, bin ich in meine alte Welt zurückgekehrt. Schon mein Vater war, wie mein Mann ist, Diplomat. Es gibt Länder, für die Chromò, wenn sie auf den Journalen prangt, eine große politische Hürde darstellt. Aber das, Chromò, tatsächlich, bin ich für die VOGUE gewesen. Nun ja, dies liegt Jahre zurück. Ich habe den Schritt nicht bedauert. Mein Mann ist konservativ und liebevoll.“
„Und Sie lieben ihn.“
„Ich liebe ihn. Sehr.“
Wir schwiegen ein paar Momente.
„Er hat mich nie so genannt, nie Chromò. Als hätte er gewußt. Und weiß.“
Die Sonne glitt über die Terrasse. Denn dieses Gespräch wurde gestern nachmittag geführt. Bis in den späten Abend. Ich konnte beobachten, wie ihr der warme Schein die freie rechte Schulter hinanstieg. Sie drehte ihren Körper in ihn hinein, während sie die Augen geschlossen hielt, als hörte sie ihren eigenen letzten beiden Wörtern nach, wie sie zu einem Wort wurden. Denn sie öffnete die Augen wieder und sagte:
„Ja.“ Dann fixierte sie mich, direkt, fragte: „Und Sie? Wo haben Sie Monsieur Le Duchesse kennengelernt?“

Ich bin, Leserin, nicht so naiv, wie ich gerne tue. Es war mir von Anfang dieses Berichtes an klar, worauf er hinauslaufen würde. Ich bin auch nicht unschuldig. Bewahre! Allein, daß ich gerissen bin, hat mich unter die, Jamil zu glauben, neununddreißig Kandidaten gereiht; ich habe, mit anderen Worten, keine Moral – oder doch, durchaus, aber sie deckt sich nicht mit den Normen. Sie trennt. Für Chromò bin ich ideal: für das, was sie will und ersehnt – wonach ihr Es sie sehnen gemacht hat. Ich will darüber nicht sprechen, noch nicht, will nicht sagen, Ihnen schon gar nicht, was sie zu mir sagte, als wir uns gestern nacht trennten. Worum sie mich bat. Das Wort ‚bitte‘ ging ihr schwer von der Zunge; nach keinem wie dem verlangt es sie so.
Kühl, elegant, von ihren Pumps die Sprunggelenke erhöht, erhöht ja überhaupt, das Gesäß wie in ständiger, ganz wie ihr Geist, Spannung, in diesem permanenten Training der Haltung, die schon das Elternhaus ihr vermittelt, die – eine Folge ihrer kaum je seßhaften Kindheit, alle drei Jahre zog die Familie um, Botschafterschicksal – also die Vielsprachigkeit obendrein; eine gar nicht so ungewisse Aggressivität der nahezu ständig paraten Bonmots; eine Zickigkeit, wahrscheinlich, denen gegenüber, die sie nicht achtet, und schön dabei, sehr schön, wenn auch nicht als Passepartout, das die Werbung uns schönzufinden heißt, sondern mit jener, bei ihr immer wieder plötzlich aufblitzenden Unverhältnismäßigkeit der Proportionen, von denen Poe geschrieben hat, einer in ihrer Mimik – so stand sie dann vor mir und ging sie weg, nachts. Nachdem sie diesen Satz ausgesprochen hatte, die Bitte, die ich sie aussprechen ließ. Weil ich die Führung übernommen hatte – etwas, das immer Distanz abverlangt.
Es war dies aber nicht das letzte, was sie sagte. Sondern sie verfluchte mich. „Babáca safado!“ zischte sie und lachte ohne, hätte man früher gesagt, Ziemlichkeit, als ich irritiert „w i e meinen?“ fragte und sie um die Übersetzung ersuchte. Die gab sie mir, ziemlich grob, sofort. Ich reichte ihr zum Abschied meine Rechte. Sie nahm sie, nahm sie hoch zu den Lippen und leckte mir einmal durch die Handfläche. Dann drehte sie sich um und schritt vollendet ins Haus. Es bleibt mir, Leserin, nichts übrig, als zu gestehen, daß sie, Chromò, mich richtig sieht. Ich kann Sie also nur warnen. Es kann sehr tief hinabgehn –

Nein, es ist nicht meine Kühle, was gefährlich ist an mir, nicht mein erotisches, was es aber ist, Kalkül, sondern meine – Wärme. Denn wir plauderten ja nur, die Chromosomin und ich, tauschten, wenn Sie so mögen, Bildung aus, Belesenheiten und erfahrene Begegnungen; wir sprachen über unsere Kinder und die Städte, in denen wir gelebt. Gar nicht m e h r. Das junge Mädchen, das mir fast wie ein Schatten, wo immer ich hier hingeh, folgt, aber, wenn ich zu ihr blicke, wie unter Lichteinfall weg ist, durfte uns hören; selbst >>>> mein Verleger Držečnik, dieser vornehme, distinguierte Mann, hätte uns zuhören können, sogar >>>> Joachim Sartorius, es wäre da immer nur die Ahnung gewesen, um was es wirklich ging, daß es also um etwas ganz anderes ging, als das Gespräch es berührte.

Übrigens war die Verabschiedung, einem Versprechen in eine völlig konturlose Zukunft gleich, ohne weitere Verabredung. Denn wie soll das werden? Ich meine, ich reise morgen bereits wieder fort; um die Bitte zu erfüllen, aber, braucht es Zeit. Soll ich Jamil fragen? Mein Instinkt rät mir ab. >>>> Mein Tauchlehrer kommt mir in den Sinn, der, als ich den OWD dann hatte und zu einem ersten Gang in die eigene Tiefe des Meers der Isola del Giglio aufbrach, selbstverständlich in der Gruppe, auf meine Frage, was denn nun zu tun sei, rüde dahinwarf: „Du hast jetzt den Schein; trifft also deine Entscheidungen selbst.“
Nicht ein Wort zur elften Frau werde ich ihm sagen, Jamil; doch wie stets, wird er lesen, was ich zu erzählen habe, bevor ich es einstellen darf. Sollte er nachfragen, werde ich mich in ein Lächeln hüllen, das von dem seinen nicht unbeeinflußt ist. Dabei fällt mir ein, daß ich ja gar nicht weiß, wie dieses Schattenmädchen heißt. Ich hab es nicht gefragt. Wie werde ich es nachher zu mir rufen? – Fünfzehn, hat es gesagt, daß es sei. „Finden Sie, daß es auf so etwas ankommt?“

“Es“.

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