Verklärungen wieder, diesmal nämlich Die Chromosomin: Jamesville (3). Das paradiesische Arbeits- und Reisejournal vom Freitag, dem 27., auf Sonnabend, den 28. Juli 2012. Darinnen Joumana Haddad und die verschwiegenen Traumfeigen Scheherezades.

6.50 Uhr:
[Maison Cattechnian, 3.]
Es i s t hier gar keine Wüste, hier ist Fels, wo nicht durch Bewässerungssysteme, die ich nicht durchschaue, Rasen, sowie der – es sind welche – Wald der Zedern; doch auch den Garten Eden stelle ich mir als eine künstlich bewässerte Anlage vor: das Paradieswort ist aus der Wüste vom Islam hierhergetragen worden, eine abstrahierte Oase des Weltenanfangs wie -endes, nicht anders als Bethlehems Verkündigungsstern, der im Mittelalter auch über Augsburg gestanden, um des Morgenlandes Weisen an eine Krippe in Bayern zu führen. Hier, in des Libanons Jamesville, führt es, das Wort, die Frauen: der Stern ist ein Name dieser Oase. (Warum aber „Jamesville“? Jamil gibt keine Auskunft.)
Aber ich habe darüber ein Gedicht gelesen. Es gibt in meinem Zimmer viele Bände mit Gedichten, deren meiste ich indes nicht verstehe; nur ein einziges Buch enthält deutsche Übersetzungen. Viele auf Französisch gibt es aber, die ich ebenfalls nicht oder nur langsam und mit Dictionaire entziffern könnte, das mir indes nicht zur Hand ist; überdies störte der Prozeß des Dechiffrierens den Rhythmus, die Erstehung der inneren Musik. Und was das Englische anbelangt, das hier fast mehr noch, aber allein für Gedichte, vertreten ist, so ist auch dies ein Idiom, in das ich mich vor allem vokabelhalber erst einfinden muß. Allerdings geriet mir eine Zeitung in die Hand, nein, nur der Ausschnitt aus einer Zeitung, der in einem libanesischen oder, das kann ich nicht entscheiden, andersarabischen Gedichtband lag, zusammengefaltet auf das Format dieses Buches, ein Artikel, in dem eine Beiruter Dichterin ein Interview gibt: Joumana Haddad. (Nicht mir übelnehmen, bitte, daß ich keine anderen Links als die legen kann, die ohnedies in meinem Laptop gespeichert sind; es wird aber für Frau Haddad welche geben. Googlen Sie also; die mir hier zugestandene Netzzeit ist einfach zu kurz, um meinerseits angemessen ausführlich zu sein. Das Interview, jedenfalls, hat seine Hand direkt um mein Herz herumgelegt und, aber vorsichtig, zugedrückt, so, daß es reichte, mir einmal kurz den Atem zu stoppen: „I would never want to look like a man or act like a man. I don’t need to. I mean, I love men, and I love being with them, and I love communicating with them, but I don’t want to be them. I don’t want to feel like I have to be like them in order to be heard! No, and a thousand times no, for such an insulting, superficial kind of solidarity. Women deserve more. Much more.“ Der vorletzte Satz ist unterstrichen. Der Artikel ist fast frisch, aktuell, knapp zwei Jahre alt. Dem Portraitfoto zu trauen, ist diese Autorin eine schon extrem schöne arabische Frau, die auf allen Begehrnissen von uns Männern zu spielen weiß. Ich werde, wenn wieder in Deutschland zurück, etwas mehr über sie zu erfahren versuchen.
Von der will ich aber jetzt nicht schreiben.

Women deserve more.

Ich will von Madame X schreiben, die ich für mich – für mich, weil ich mich nicht lächerlich machen will – Chromosomin zu nennen begonnen habe, die Nummer Elf der Vorgesternnacht, denn „Haben Sie gewählt?“ fragte auch Jamil, als er mich gestern vormittag für den Internetzugang abholen kam. „Wir sind sehr gespannt.“ Wir! – er sagte wirklich „wir“. Als ob er nicht bloß ein Handlanger des Gräfin wäre. (Ist er das? Oder doch nicht? Da ist ein arabischer, so herrischer wie zugleich, weil er sich nicht beugt, herrlicher Stolz an ihm: Vielleicht hat ‏יהוה‎ längst seinen Frieden mit الله geschlossen, vielleicht, daß im Himmel längst ein Kontrakt gilt, ja ein Zusammenschluß, den eine NATO des Monotheismus unter Vorsitz des Nazareners durch Sanftmut verteidigt… dann müsste ich >>>> meine Position überdenken.) – „Wir sind sehr gespannt.“
Ich wollte ihn warten lassen, schwieg: nicht meinen Handlungsvorteil verspielen. Außerdem war mein Text einzustellen, Zeitökonomie ist verlangt. Der Monotheismus ist kriegerisch.
Aber danach. Heute, also gestern, blieb Jamil ein wenig bei mir; es waren jetzt auch Frauen zu sehen, Dienerinnen, alle sehr jung, die nach japanischer Art das Frühstück servierten: am Boden. Wir saßen auf Kissen. Ich hütete mich zu fragen, was dieses hier denn sei. Es war allzu offenbar, was nachgestellt oder vorgestellt werden sollte.
„Nein“, sagte Jamil, „niemand hier wird gezwungen, jede tut, was sie zutiefst will.“
„Es ist Devotion in den Frauen“, antwortete ich.
Er lächelte.
„In jeder“, setzte ich nach, um ihn zu provozieren.
Er lächelte.
„Mehr oder weniger“, sagte ich. „Ich halte es für eine genetische Disposition.“ Es ist mir selbstverständlich klar, wozu ich hierbin, die „Prüfung“ ist kein Rätsel mehr – nicht mehr, seit ich gestern den ganzen Tag die Zeit hatte, über die Vorgesternnacht nachzumeditieren.
„Aber ob Sie das können“, but whether you’re able, sagte, ohne Kryptik, Jamil.
„Die Nummer elf“, sagte ich.
„Dann habe ich eine Wette gewonnen mit dem Herrn“, sagte er, nachdem er, diesmal war das keine Maske, spontan hatte lächeln müssen. „So hätte – ein Araber entschieden. Monsieur Le Duchesse hat hingegen auf eine Dunkle getippt. – Zweiundzwanzig Feigen“, setzte er nach.
„Bitte?“
„Traumfeigen“, sagte er, „ein Zauberwerk, das Scheherezade vergaß zu erwähnen… absichtsvoll: davon können Sie bei Frauen ausgehen. Aber wenn Sie von einer kosten, wenn Sie sie kauen und schlucken, können Sie das halbe Universum durchreisen.“ Er lachte lauter. „Das sind elf Universen insgesamt…“ – als ich leicht irritiert zu wirken schien, es auch war: „… bei zweiundzwanzig Feigen. – Und sehen Sie? Ihre Zahl Elf. Doch sollten Sie sich nicht täuschen: das Objekt sind Sie. Das ist die Freiheit, zu der das Paradies uns bringt“, auf Englisch, ungefähr, sagte er’s so: „that kind of freedom paradise will give us“.
„Weshalb aber ‚Jamesville’?“ fragte ich. „Woher dieser Name?“
Jamil ignorierte die Frage. Stattdessen: „Ziehen Sie sich um. Und arbeiten Sie etwas. Ich werde Ihnen Madame X heute Nachmittag vorstellen, sagen wir um halb fünf. Sind Sie einverstanden?“
„Madame X?“
„Ihnen ist die Tätowierung aufgefallen – oder nicht?“
„Eine Kalligraphie.“
„Es gibt kein X im arabischen Letternsystem.“
„Das X ist – Geheimnis.“
„Die einzige der dreizehn Frauen, die Sie sahen, deren Name wir nicht kennen… oh, nicht daß wir nicht erfahren könnten! Wir könnten. Sie aber möchte nicht. Geben Sie ihr einen Namen. Sie wissen doch: die Dinge lassen sich benennen.“
„Den Namen zu wissen, heißt: zu beherrschen.“
„Sie sind nicht der einzige Proband. Nur der mittlerweile fünfzehnte von neununddreißig, die wir uns ausgesucht haben. Übrigens der einzige Deutsche. Nimmt Madame X Sie an, dann entlassen wir Sie beide. Ah, wenn nicht: dann auch, aber nur Sie. Die Frau muß Sie bitten. Tut sie es nicht, dann sind Sie…“ er lachte endlich einmal wirklich laut auf, ohne rhetorisch vorgehaltene Hand „… durch die Prüfung gefallen.“

Wieder allein, konnte ich nicht arbeiten, sondern ging in der Anlage spazieren. Ja, es sind Zedern. Ich habe Lust, ein Gedicht über Zedern zu schreiben, ihren eigenwilligen Pinienduft. Was geschieht hier, in dieser Hochburg, dachte ich, des männlichen Gottes? Wenn diese Frauen freiwillig hiersind – es gibt keinen Grund, an Jamils Worten zu zweifeln -, dann reinszenieren nicht nur die Männer die Niederwerfung des Matriarchats immer neu, seine Beugung, sondern es sind, und die Chromosomin gab mir später darin recht, auch die Frauen – sexuell begeisterte Frauen, erotischen Geistes; wozu mir dann wieder einfiel, was mir vor Jahren >>>> June schrieb: „Machtspiele gehören ins Bett“, was das NUR implizierte: n u r dahin. Wie lange solche Gespräche, Korrespondenzen, Briefe nachwirken können! Ich hab sie nie vergessen. Sie reichen bis in den Libanon. Und: Was wir denken, holt uns ein, so dass wir halten müssen.

Es war hoch kultiviert.
Ich saß in der Loggia des von Jamil Dschanna, von mir Hazienda genannten Hauses. Das Mädchen von vorgestern nacht hatte mir eine Limonade gebracht. Mir ist immer mal wieder nach einem Campari, nach einem Malt. Aber im Paradies gilt strenges Alkoholverbot. „Es sind Alkoholika genügend da… Wir erwarten Beherrschung.“ – Rauchen darf ich aber; der Duft meines Pfeifentabaks ehrt das nahe, derzeit so geschundene Syrien. Ich blätterte in einem französischsprachigen Gedichtband, blätterte nur, weil ich eben kaum was verstand. Daß ich sprachlich derart begrenzt bin! dachte ich und ärgerte mich wieder. Jedes Mal in einem Ausland frißt das an mir. Zugleich aber das Wissen, niemals, wirklich niemals in einem anderem Idiom so zuhause zu sein wie im Deutschen. (Labend aber >>>> Daniela Danzens Wort: „Ich bin glücklich darüber, in der Sprache Hölderlins schreiben zu dürfen“ – mutig, übrigens, das so zu sagen… und dann noch: zu „dürfen“.)
Als die Chromosomin heranschritt, aus der Tür tretend, zielhaft, hoch, stolz, kühl, durchaus arrogant. Das nicht sehr lange Haar zu einem, das sah ich aber erst später, Knoten genommen, der dreivier Zentimeter über dem Nacken saß. „Ich wundere mich“, sagte sie anstelle einer Begrüßung, „daß Sie sich für mich entschieden haben und nicht für eine der arabischen Schönheiten. Was ist der Grund?“
Ich stand auf, nahm die Lehne eines Stuhles, damit sie sich setze; dann erst setzte ich mich auch selbst wieder.
„Weshalb sind Sie hier?“ fragte ich. Zeigte auf meine Pfeife. „Darf ich?“
„Pfeife ist angenehm, aber zu väterlich“, sagte sie. „Ich habe nicht vor, mit meinem Vater zu schlafen.“
„Sie haben vor, mit m i r zu schlafen?“
„Wenn Sie mich dazu b r i n g e n. Vorerst habe ich gar nichts vor.“
„Wegen der Tätowierung“, antwortete ich.
„Ein Besitzzeichen.“
„Weshalb ein X?“
Sie lachte auf. „Monsieur Jamil hat geplaudert! Daß Ihr Geschlecht niemals wirklich diskret sein kann!“
„Verzeihen Sie bitte.“
Verzeihen? Sie sind dabei zu verlieren, Monsieur. Ich erwarte, dass Sie sich nehmen.“
„Sie werden mich darum bitten.“
„Schon besser, der Herr.“ Sie lächelte. „Ob auch ich etwas zu trinken bekomme?“
„Verz… ach, was. Moment.“
„Einen Pfefferminztee, bitte. So heiß und so süß, dass es mir den Gaumen sprengt. Ich hasse Lauheiten.“
Was eine Frau!
„Aber weshalb ein X?“
„Weil ich nicht weiß, w e r besitzt.“
Da wagte ich’s:
„Der Ihnen Ihren Namen gibt: Chromosomin. Männer haben nur eines davon, von diesen X’en. So können wir sagen, daß Frauen gleich doppelt anonym sind.“

[Oh, neun vor elf. Ich erzähle morgen weiter. Meine heutige Netzzeit
bricht an; Jamil wird gleich klopfen – und ohne korrekturgelesen zu haben,
mag ich das nicht einstellen.]

>>>> Jamesville/Dschanna 4
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