Der Gag und das wetternervöse Nervensystem. Das Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 21. August 2013.

9 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Bereits anderthalb Stunden schwimmen gewesen, um drei vor sechs stand ich an der Badehalle, aufgestanden bin ich eine halbe Stunde davor.
Finanzamtschaos; eine mir nicht nachvollziehbare „Umbuchung“ flatterte gestern ins Haus; da muß ich heute hinterhertelefonieren, damit sich das Chaos nicht einfrißt. Macht mich ein bißchen unruhig, weil mit einem Mal das, was ich vom Tisch wähnte, nun weiterpocht von unterm Tisch. Es sei immer etwas, pflegte meine Omi zu sagen, das den Himmel hält – womit sie ausdrücken wollte, irgend ein Mist komme immer; seltsame Redewendung aber: als wäre es ungut, daß der Himmel oben bleibt, anstelle den Germanen auf die Köpfe zu fallen. À propos meinte der Profi und wollte mir das wirklich nahelegen, ich solle doch eine Nibelungen-Travestie für das Volkstheater schreiben. Wir saßen am hölzernen Amphitheater der Strandbar und sahen uns die Schlange der auf die Vorstellung Wartenden an. Klassische Texte werden zu Schwanks uminszeniert, oder man wählt gleich solche Schwanks aus. „Das gibt 5000 Euro“, sagte der Profi; er könne das vermitteln. Es war richtig ein bißchen schwer, ihm klarzumachen, daß ich auf gar keinen Fall wolle Volksstücke schreiben. Er: „Wie hieß noch mal Brunhildes Ehemann?“ „Gunter.“ „Also Brunhilde kommt nach Worms, überhaupt spielt dein ganzes Nibelungenstück nur in Worms, und immer wieder, running gag, hält Gunter das BGB hoch und ruft: ‘Das GGB! DAS GGB!’ – für ‘Gunters Gesetzbuch’. Wenn du das richtig timest, hast du die Lacher auf deiner Seite.“ „Aber ich will doch gar keine Lacher auf meiner Seite.“ Schon der Begriff „gag“ geht mir auf die Nerven. „Gibt aber 5000 Euro.“ Ich lese in der Regel auch Bücher nicht weiter, in denen sich Kalauer finden. Aber es war kein Ankommen, ich schwieg. Immerhin aßen wir leckere Pizza, ich trank Mojito, er ein Bier.

Der August ist einmal ein wirklicher Sommermonat gewesen; fast mag ich schreiben: „war einst ein wirklicher Sommermonat“. Der August war einmal ein noch heißer Monat. Im August fuhr man schwitzend mit dem Rad an den Baggersee. Jetzt ist bereits sehr viel Laub gefallen, ernorm viel Laub, und die Morgen sind kühl, ich hab schon den Eindruck von zu Reif gefrorenem Tau. Ich sprach von den eventuell möglichen Kreuzfahrten für den Sterberoman, „aber mir gefallen im nächsten Jahr die Touren nicht. Alles viel zu weit nördlich. Spitzbergen, Beringsee…“ „Das ist doch aber ganz toll!“ „Nein, das ist zu kühl. Da ist keine Sonne.“ „Da ist sogar Mitternachtssonne.“ „Aber die ist nicht heiß. Und dauernd regnet’s.“ „Aber warm ist es.“ „Ich will nicht Wärme, sondern Hitze. Will gleißendes Licht!“ Wieder dachte ich an die Nibelungen, dachte ans Nieseln, Düsternis, Alkoholismus, Depression. Momentan wäre mir sogar Schnee zu dunkel. Seltsam, wie schwer mir, je älter ich werde, das sogenannte „gemäßigte Klima“ um so mehr auf die Seele drückt. Ja, es ist angenehm, meine zwölf Kilometer im Nieseln laufen, sehr angenehm sogar, aber es ist nicht August. Gestern, mittags während des Krafttrainings, gingen auch immer wieder Regenschauer über mich nieder. Ja, wenn es schon Oktober wäre, ich fänd es ganz in Ordnung. Aber im August? Der letzte Winter war zu lang, der dunkeln Tage waren’s zu viele, zu endlos endlos viele. Das hat mich immer noch im Griff. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich richtig Angst vor dem Winter.

Dabei sah es sehr schön aus gestern abend:


: 9.31 Uhr.

Zweiter Latte macchiato, erster Morgencigarillo. Weiter mit der Protokollierung der Orginaltöne aus Neapel. Ich fange jetzt mit dem Filo 44 an, aufgenommen im >>>> Museo Nitsch. Neapel heute: 32 Grad (im Schatten), nachts 22. Fernweh, Betonung auf weh.

11.20 Uhr:
Hab’s aufgegeben, mit dem Finanzamts-Mitarbeiter zu telefonieren: Entweder nimmt niemand den Hörer ab (leerlaufendes Freizeichen) oder es ist besetzt. Ich kann’s schon verstehen, wenn die Leute genervt sind, weil sie ihrerseits vor eingehenden Anrufen die nötigen eigentlichen Abläufe erledigen können, aber meinerseits wirft mich das dauernd aus der Arbeit. Also habe ich einen Brief geschrieben, die Rück-Umbuchung beantragt und dafür eine Begründung formuliert, so daß ich nun endlich mit den O-Ton-Protokollen weitermachen kann. Grrrrr.

(Immerhin, >>>> dort nun endlich ein Auszug aus den Protokollen, damit Sie sehen können, wie so etwas ausschaut.

3 thoughts on “Der Gag und das wetternervöse Nervensystem. Das Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 21. August 2013.

  1. Wieso sollte man kein Volksstück schreiben, wenn man ein (unterhaltsames) Jugendbuch geschrieben hat (das ich sehr mochte)?
    Nur bitte ohne die vielen Passiv-, Präteritum- und Konjunktivkonstruktionen, die hier immer mehr a u s u f e r n …
    In Wiesbaden ists warm. Großartiger Augusttag. John-Galsworthy-würdig.

    1. @Frau Geldmacher. Weil, um Ihre Frage bündig zu beantworten, Erwachsene keine Kinder sind; ihr Geschmack ist eben, hoffentlich, erwachsen, d.h. ausgebildet. Das >>>> Kinderbuch (das gesamte Projekt, das fünf Folgen vorsah – für jedes Kind, und für Frau Schneider, je eines und mit je verschiedenem Sprachverhalten, ist unterdessen verlagsseitig den Bach runter; der zweite, seit fast zwei Jahren fertige und dem Verlag vorliegende, angenommene und lektorierte Band wurde auskunftslos nicht mehr veröffentlicht; mein Autorenpseudonym habe ich in Der Dschungel >>>> bereits vor ein paar Monaten gelüftet, als mir die weitere Un-Entwicklung endgültig bewußt wurde)… also das Kinderbuch ist als ein solches geschrieben, auch das zweite, übrigens, das nicht mehr Menne, sondern Kaiser geschrieben hat. Es hatte seinen Grund, daß ich die Serie unter anderem Namen konzipierte, nicht unter Alban Nikolai Herbst. Vielmehr ließ ich als Autor eine Figur aus dem >>>> Wolpertinger-Roman auftreten, für den – unter anderem – Ridley Scotts Gump das Vorbild war:

      Unterdessen hat er sich, also Gump, wirksam dafür gerächt.

      Was die Satzkonstruktionen anbelangt, kann ich Ihnen nicht entgegenkommen. Ich halte die sogenannte Einfachheit für einen Regreß, der die politische Entwicklung der Gegenwart spiegelt. Es ist wie bei “einfacher” Musik: sie langweilt mich nicht nur, sondern ich halte sie – weil sie eben Nahrung für den Regreß ist – sogar für gefährlich. Komplexe Zusammenhänge sind nicht einfach, auch wenn der Mainstream etwas anderes unterschiebt. Vor allem aber gibt es eine L u s t am Komplexen, ja ein riesiges Vergnügen an ineinandergewobenen Strukturen, deren formaler Ausdruck unter anderem der Satzbau ist. Am weitesten in seiner Kultivierung ist im deutschen Sprachraum wahrscheinlich Kleist gekommen. Mir selbst geht es bei scheinbar komplizierten Strukturen um Rhythmisierung; sowie man die Sätze laut liest, also spricht, werden sie vollkommen klar. Meist gibt es dann nur noch eine einzige Weise, einen Satz zu betonen; folgt man ihr, ist das auf ersten Blick vielleicht Manierierte von unmittelbarer Evidenz.

      [Poetologie.]

      (Das mit dem Kinderbuch und der Serie, die daraus entstehen sollte, ist ein einziges Trauerspiel. Auch dieses eignet sich für ein Volksstück kaum.)

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