Aus der Serengeti wieder. PP178, 2. Juli 2014: Mittwoch. Sowie zum Guerillakampf.

(Meru Mbega, 10.36 Uhr.
Schostakowitsch XI g-moll, Rostropowitsch.)

Das hat es meines Wissens noch nicht gegeben: daß Leser:innen zu meinen Veranstaltungen anreisen; >>>> übermorgen tun es wenigstens zwei. Ich muß Ihnen, Leserin, nicht schreiben, wie stolz mich das macht, und tu es eben deshalb trotzdem. Vorhergegangen ist seit etwa einer Woche ein lebhafter Mail-Austausch über fußballhalber leere Säle; immerhin ist die Veranstaltung paßgenau zwischen zwei Spiele eingefügt; man könnte sagen, ich sei das Pausenprogramm, und weil im Vinum, unten im Literaturhaus, die Spiele übertragen werden, ist vielleicht doch mit ein bißchen Besuch zu rechnen. Wobei es mich hier, in meinem Afrika, ziemlich erlöst, daß auch gestern abend nirgendwo ein laufender Fernseher die laue Sommernacht störte, sondern wir saßen, die Löwin und ich, ganz still beieinander, jedenfalls zu Anfang, und genossen bei einigem Wein – mein persönlicher Ramadan ist vorüber – die Geräusche aus Tierwelt und, der in den Blättern, Wind. Während des Fluges hatte ich >>>> Lawrence weitergelesen, praktische Theorie des irregulären Krieges; ja, er schon verwendet diesen Begriff.Der Guerillakrieg mußte freien Spielraum haben; wenn zwei Mann zusammen vorgingen, war einer schon überflüssig. Unser Ideal mußte sein, unsere Schlacht in eine Reihe von Einzelkämpfen aufzulösen und unsere Front zu einem verständnisvollen Nebeneinander geschickter Generäle zu machen.
330/331, dtsch.v. Dagobert von Mikusch.

Dieses „verständnisvolle Nebeneinander“ ist genau das, was meiner Vorstellung freier Menschen entspricht: nicht ein pures Drauflos von Einzelgängern, sondern hierarchiefreie Einzelgänger-als-Team. So hätte ich es gerne in der Welt: keines Untergebener und keines Bestimmer zu sein, oder wenn dieses, dann immer nur im Spiel, als eine begrenzte Inszenierung der Lust. Um Traumata zu pervertieren. So etwas kann sein – und ist – unsere Bearbeitung von Prägungen, die wir nicht verschuldet haben, und die, die sie verschuldet haben, haben sie ebenfalls nicht verschuldet, sondern ihrerseits Prägungen ausgetragen, nur daß ihnen das nicht bewußt gewesen ist; sie, vielmehr, haben als Unfreie gehandelt, an ihren Kindern, an ihren Mitmenschen. Ginge es nach mir, ließen wir den Schuldbegriff insgesamt fallen. Ich denke das auch für meine Gegner, aber muß das fühlen noch lernen.
Grandios übrigens auch Lawrences Beschreibung der in Nahost, namentlich Syriens, enggedrängten semitischen Völker- und Glaubensstämme, S. 318-325, geradezu atemberaubend. Noch vieles Heutige wird davon erhellt. Und als ich in die kleine Chessna stieg, die mich nach Meru Mbega brachte, hatte ich momentlang solch eine Sehnsucht nach dem Libanon, daß ich vor mir eine kleine Zeder in die Rücklehne ritzte. Mit dem Bleistift; es ist jetzt das sechste Schweizermesser, das mir vor einem Flug abgenommen wurde, bereits in Berlin. Ich vergesse die Dinger immer, und dann tauchen sie bei der Taschenkontrolle auf. Das ist ärgerlich, aber Ergebenheit ist mein zweiter Name unterdessen. Wobei es wirklich nicht ganz ohne Witz w#re, sollte einmal ein Flugzeug unter Zuhilfename solch eines Mini-Taschenmessers entführt werden. Bei sowas wär ich echt gern dabei.

Es gibt hier neuerdings einen, sagen wir, Hausleoparden, der nachts um die Palisaden streicht. Man sieht ihn nicht, aber hört ihn grollen. Die beiden Geparden scheinen ihn in keiner Weise zu irritieren, obwohl Ngaro, der Maior domus hier, der Meinung gewesen ist, alleine ihr Geruch sorge für freie Wildbahn und sei unserem Anwesen ein genügender Schutz. Nun hat er sich getäuscht und ist deshalb ein bißchen beleidigt. Vor allem der Ziegen wegen ist ihm bang, und die, heute nacht, waren es hörbar ebenfalls. Doch kann er eigentlich ganz ruhig sein, denn sicherlich wird die Anwesenheit der Löwin diese andere Katze von jeglichem Hausfriedensbruch abhalten; so habe ich ihm das auch gesagt. Es beruhigte ihn nicht wirklich. Er sieht in ihr nämlich nichts als die Frau und ist ihretwegen im Gegenteil nur noch banger, die mir gestern abend, nachdem ich dann doch wieder klagte, ziemlich die Leviten gelesen hat. Meine Mutlosigkeit stehe mir nicht, schon gar nicht diese für mich neue Form von Defätismus. „Laß dich nicht so hängen!“ Das war mehr als deutlich. Und deutlicher: „Nimm diese leidigen >>>> Arztgeschichten nicht als Ausrede her. Der“ – als redete mit einem Mal Do durch sie – „sekundäre Krankheitsgewinn ist nichts als billigster Verlust.“ Sie lesen, Leserin, richtig: Wenn die Löwin sauer ist, duzt sie mich; meine Dominanz, die sie sonst ziemlich genießt, ist ihr dann vollkommen wurscht. Und noch heute morgen: „Ich hab dich ziemlich rangenommen gestern nacht, oder?“ Das war im Wortsinn zweideutig fies. Ich grummelte, sie sei doch immerhin gekommen. Worauf sie den Kopf zurückwarf. schallend auflachte, das Gewehr griff und mit Ngaro zur Jagd schritt, also erstmal zum Jeep. In einer riesigen Staubwolke sind die beiden dann davon.
Ich startete, an meinem Arbeitsplatz auf der Terrasse, den Laptop und schreib jetzt diesen Brief zuende, lasse den Schostakowitch durch halb Tansania tölen und werde, wenn ich ihn, den Brief, abgesendet haben werde, mit dem >>>> Kreuzfahrt-Hörstück weitermachen. Vielleicht komme ich hier in die richtige Stimmung; ein bißchen Inspiration wäre mal wieder ganz hübsch. Möge mir die W e i t e helfen:


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