Die Zügel nehmen. PP206, 11. August 2014: Montag.

(6.05 Uhr, Arbeitswohnung.
Szymanowski, Król Roger.)

Und wieder fühlt ein Morgen
schon wie der Herbst sich an

zumal es leicht regnet; allerdings ist es zu schwül, um bereits zu meiner morgendlichen Unmöglichkeitskleidung überzugehen, Boxershorts und locker das TShirt müssen reichen und gegen den leichten Zug durch die weit offnen Oberlichter her einen meiner langen Schals – >>>> wie, Geliebte, Dein Haar – müssen reichen:


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Die Vornahme ist deutlich, „du mußt erst mal“, sagte die Löwin, „deine Strukturen wiederherstellen; alles weitere, das weißt du, wird sich finden“, was bedeutet, täglich zwar nicht bereits wieder um halb fünf, aber doch um halb sechs aufzustehen, um eine halbe Stunde später am Schreibtisch zu sitzen. Sechs Uhr wird sich auch nächste Woche, in Amelia, durchhalten lassen. In der Tat sind feste Strukturen für meine künstlerische Arbeit geradezu Bedingungen. Ich schreibe mich hinein wie jemand nach Öl bohrt. Da ist zu vieles weich geworden. Strukturen helfen einem auch gegen die Sinnlosigkeit, weil sie,diese, ihren Sinn in einer unempfindlichen Routine ganz selber verliert: ins Fadenkreuz gerät nun neu der Text, nicht seine Rezeption mehr bleibt im Fokus. Genau darauf kommt es jetzt an, und immerdar.
Also viereinhalb Stunden Schlafs, um ein Uhr nachts lag ich im Bett, eine weitere ist für den Mittag vorgesehen. Durcharbeiten aber werde ich heute bis dann noch nicht können; ich will und sollte zu meiner Ärztin, um die Narbe begutachten zu lassen, und Gelddinge sind auf den Weg zu bringen. (>>>> Szymanowskis Oper spielt den Konflikt des Apollinischen mit dem Dionysischen durch, der Klarheit des Geistes, um es vereinfacht zu sagen, mit dem Rausch, und zwar des Königs, Króla, Roger von Sizilien, dem Bruder William des Eroberers. Ein bißchen ist das jetzt auch m e i n Thema, aber der Gegner nicht Rausch, sondern Ergebung. Notwendigerweise, weil umstandshalber, kann meine Haltung noch keine rauschhafte sein, aber ich weiß, daß in sehr guten Phasen jede Erzählung zur Droge w i r d. Unser Körper selbst kann deren Wirkstoffe ausschütten, sie also auch produzieren. Übrigens ist das auch der chemische Hintergrund der sogenannten Schmerzlust, und auch Melancholie kann davon erfüllt sein, nur daß sie, eben, lähmt. Hingegen braucht mein Geist nun wieder Bewegung.)
Sich zusammenziehen, wie man eine Bogensehne spannt.
Kriegerische Literatur: Ich habe, mit Bloch, immer den Begriff des Kämpferischen vorgezogen. Er hat jedoch, merkte ich jetzt, den Nachteil eines allzu Individuellen; tatsächlich aber schreibe ich, und habe es immer getan, auf ein vielen Flüssen gemeinsames Meer zu. Nur entspringt der meine nicht in einem schon kollektiven Quellgebiet; er kommt von einem Anderswo, das ich Wüste, Bruder Unhold, nicht nennen w i l l, aber Dschungel nennen nicht kann, denn die wäre ja ein solches. Wobei sie, die Dschungel, wiederum fürs Dionysische steht: ungefesselt Wachstum und Gedeihen, ungefesselt aber auch Schlagen und Verzehren. Ich muß mich an der Dschungel Weiblichkeit erinnern. Deshalb nehme ich als erstes >>>> Die Brüste der Béart wieder auf, jetzt sofort, nach dem Musikwechsel:

[Szymanowski, Erstes Violionkonzert.]
Bevor es nachmittags dann wieder an den Sterberoman geht, der, ahne ich, mit meinem gegenwärtigen Zustand zumindest e i n i g e s zu tun hat. Was ich, wie Sie, Freundin, wissen, vorhergesehen und gleich befürchtet hatte, nachdem ich die ersten Skizzen niederschrieb. Die Arbeit an den Gedichten wiederum paßt gut zu meiner gestrigen Wiederaufnahme der >>>> Chamber-Music-Übersetzungen. In jedem Fall können Sie davon ausgehen, nun wieder Ihre ersten Dschungeltexte täglich zum Frühstück vor sich zu haben, auch wenn das für mich selbst – noch nur – eine Disziplinarmaßnahme ist. Die Freiheit ist mitunter mancher Freiheit schädlich.

(Ebenfalls am Nachmittag, doch wohl erst spät, werde ich zu meinem Sohn hinüber, um für ihn meine alte Edirol zu installieren, deren Aufgabe nunmehr die neue Tascam übernommen hat. Er wird, ich weiß es, Ohren machen.)

Zweiter Latte macchiato.
Morgencigarillo.

Ein zweiter Monitor für den Musikcomputer fehlt mir noch. Falls Sie einen übrig haben: her damit.

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