III, 181 – Unfertige Ideen

Vor eineinhalb Stunden klopfte es an die Tür. Ich mußte glatt die Sicherheitskette abziehen. War noch nicht draußen gewesen. M., des Ukrainers Frau. Brauchte für morgen oder übermorgen Jemanden, der sie zum Ukrainer-Umschlagplatz nach Terni bringt, um ein paar Sachen in die Ukraine zu schicken. Private Kuriere, die zwischen hier und dort hin- und herfahren. Ihr “Santo V.”, so nannte sie ihren Mann, sei beschäftigt.
Nicht das überraschte mich wirklich, sondern eher die milde Luft, sobald man vor die Tür trat. Die allerdings nicht mehr ausreicht, das Drinnen dito milde sein zu lassen. Also Heizen a-go-go. Mit dem Gasöfchen.
Am Morgen nach dem Aufstehen indes wieder so Altmannsphantasien: ich spürte etwas am Gelenk zwischen Hüfte und Oberschenkel. Kein Schmerz, aber ein Nerv, der mich unwirsch schief gehen ließ. Vollständig weg ist es nicht. Nur fast.
Insofern tat es mir gut, daß mein Tabaccaio unwirsch reagierte, als ich den Laden betrag, während er in seiner Ecke PC saß. Was ich wolle, solle er denn jetzt schon wieder aufstehen? Um Himmels willen, ich wolle ihm nicht ungelegen kommen, sagt’ ich, schnappte mir kurzerhand selbst meine Zigaretten und brachte ihm den Zehner in seine Ecke, dessen Wechselgeld er bereits auf den Tresen geworfen. Ob er etwas am Chatten sei? Er lachte. Und damit war gut.
Nach der Arbeit – ich hatte tatsächlich aufhören müssen: mir flimmerte es vor den Augen (hatte aber mein Pensum erreicht), kommt nicht allzuoft, aber nach langen Tagen dann doch mal vor – wieder ‘Ahnung und Gegenwart’ vorgenommen, wobei es plötzlich Szenen gab, die mich unwillkürlich an das im August gelesene ‘German Amok’ von Zaimoglu denken ließen. Ich dachte, es reiche, die ganze romantische Patina abzutragen, um letztendlich zu Zaimoglus Spott über Kunstfotzen zu gelangen. In dem Sinn fast, daß die romantische Verbrämung eine Art Photoshop ist. Ich glaub’, es war die Szene, in der Friedrich das Schloß der Gräfin Romana aufsucht, in dem alle Türen offen standen, zwischen ihnen aber nichts passierte. Er hatte sich in seinem zugewiesenen Zimmer bekleidet aufs Bett gelegt. Im Spiegel gegenüber sah er wegen der offenen Türen, wie sich die Gräfin entkleidete. Lange lag er wach, schlief endlich ein, fand sie dann aber halb auf dem Boden, halb auf seinem Bett hingelagert. Und reitet dann fort.
Die Analogie zu ‘German Amok’ bildete dann seine Wohnungsnachbarin, mit der der Erzähler das Bad als eine Art Schleuse gemeinsam benutzt. Eine ähnlich ‘keusche’ Beziehung. Hinzu kommen die beißend ironischen Beschreibungen ‘künstlerischer’ Happenings.
Kann auch sein, ich rede Quatsch.
Er nannte unverhohlen das Ganze eine leidliche Komödie und den Minister den unleidlichen Theaterprinzipal, der gewiß noch am Ende des Stücks herausgerufen werden würde, wenn nur darin das Wort “d e u t s c h” recht fleißig vorkäme, denn das mache in dieser undeutschen Zeit den besten Effekt. (Ahnung und Gegenwart).
Hierbei auch der Gedanke, daß man vielleicht im Osten in einer nach wie vor währenden Übergangszeit immer noch Sehnsucht nach den Wäldern verspürt, wie auch immer.
Alles so unfertige Ideen.
Ok, morgen ist wieder Stendhal mit seinem Diario dran, da kann ich mich davon erholen.
Das Gute an der Literatur ist, daß man ihr nicht mit YouTube beikommen kann. Jedenfalls hatte ich nicht mal den Anflug einer Versuchung, mir Bob Dylan anzuhören. Widerspruch im Widerspruch:

>>>> Gara poesia in Sardegna

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