Das Ferenmeer und der Mensch. Horcynus Orca (8), Sätze VII (Passagen).

[Zum Verständnis:
* Fere – Von sizilianisch feruni bei den Fischern (“Pallisquadre”)
die volkstümliche Bezeichnung für die in der Meerenge von Messina
beheimateten Delphinarten.

* Porpose – Verschiedene Meereszahnwale der Gattung Phocoena
und verwandter Gattungen, die sich durch eine stumpfe Schnauze
und eine dreieckige Rückenflosse auszeichnen; → dort. ]

 


           In der Ferne war eine erste Helle aufgezogen, und in dieser Helle zeigte sich seinem Blick nach und nach die ganze großartige Vielfalt der Feren. Jetzt, da er sie vor Augen hatte und nicht auf Durchreise war, zeigten sie sich ihm, fern und verwölkt, wie bei ihrer Ankunft, in all ihrer großartigen Neuheit und Unterschiedlichkeit der Farben und Formen, Formen und Farben, die sich zum Tyrrhenischen hin in einer solchen Zahl zusammenfanden, dass sie einen erschreckten, und wenn man sie mit dem Blick zurückverfolgte, empfing man durch sie ein Gefühl von Zerstörung, von innerer Leere, die einen schwindeln ließ. Auf der gesamten Mittellinie schien das Meer von großen länglichen Platten gepflastert zu sein, teilweise im Violett von Bougainvilleasträuchern gefärbt und teilweise in Brauntönen, als wäre es Rost, teilweise weiß wie schäumende Milch und teilweise mit grauen Färbungen wie von Stahl, teilweise tintenblau und teilweise endlich samtschwarz mit ringförmigen Kreisen: Das waren die Augen von einer rosa Färbung, die sich mit einer außerordentlich schönen Wirkung ins Schwarze verlor, und das, nur um zu sagen, wie launisch die Natur ist, waren jene Porposen mit der unattraktiven Gestalt von richtigen Schweinen.
Unter ihnen befanden sich auch Dreißigjährige, zahnlos und sabbernd, alte Fregatten mit triefäugigem Blick, deren Haut mit weißlichen Narben übersät war, was man allerdings auch bei anderen von anderer Färbung als denen dieser mafiös bedrohlichen Graugrampen sehen konnte, Alte, die die berühmten Kurven ihres Körpers verloren hatten und entkräftet auf dem Wasser lagen, als wären sie bereit, sich in Karkassen zu verwandeln. Und auch Jungkälber tummelten sich da, im Januar geboren, mit noch zarter, glänzender Haut, die mit geschlossenen Augen saugten, als wären sie eingeschlafen, während sie schräg an der mütterlichen Zitze hingen, an dem Schlitz nahe der Fluke. Und unter ihnen waren bei Ohmahninnen und Neugeborenen die von mittlerem Alter, die lustigleichten, unerfahrenen Nattern, die zwar gerade erst aufblühten, aber schon beobachtet wurden.

Dann waren da die Männchen, die jüngsten wie die ältesten, auf niedrigster Stufe ebenso wie die großen Kaliber, kleine und große Stammraïs, Herrscher über Schulen und Kolonien, über Herden und Schwärme, die, isoliert wie auf dem Thron, sich inmitten ihrer Knechte und Weibchen aufhielten, die eine dicht an die andere gedrängt und gespreizt, als wären sie nicht vom Rülpsen ermattet, sondern durch nächtelanges Spiel mit den jüngeren und älteren Männchen. Bei diesem Blick mal hierhin und mal dahin zog er das provozierende Auge einer dieser Verschweinten, einer dieser Porposen mit einem noch neidischeren Blick als dem der anderen auf sich, und ebenso das Gehabe dieser alten Schulfregatte mit der hier und da abgeplatzten und von den Jahren verkrusteten schwarzen Farbe: Diese Schabracke war schon wieder mehr bei Sinnen als die anderen, sie hielt ihn wohl für einen Wurm vom Festland und war von ernüchternder Empörung und tiefer Verachtung erfüllt. Wirst schon sehen, wirst schon sehen, was dich erwartet, schien sie ihm mitzuteilen. Siehst du denn nicht, nein, dass wir dich an der langen Leine führen, während das Bewusstsein wieder in uns zurückkehrt? Und du wirst noch einige Schulter- und Nackenschläge bekommen, so viele wirst du bekommen, bis die Rechnung dir ungleich erscheint … Auf diesen verächtlichen, drohenden Blick hin und im Vergessen, dass er nicht zum Streiten aufs Meer gefahren war, ehrlicherweise dachte er nicht einmal entfernt daran, packte er das Ruder wie eine Axt, und weil er sie, diese sabbernde Schulfregatte des Ozeans, in Reichweite hatte, stürzte er sich auf sie und gab ihr einen gewaltigen Schlag auf den Kopf. Sein Angriff kam so überraschend, dass diese Schabracke weder die Zeit hatte, noch die Geistesgegenwart besaß, sich davonzumachen, und folgte ihm stattdessen während des Schlags eher mit einem überraschten statt mit einem schmerzverzerrten Blick. Und er: Los, sieh mich an, sieh mich ganz genau an, befeuerte er sie. Behalte ihn gut in Erinnerung, diesen vertrottelten Christenwurm, und dabei zertrümmerte er ihr den Schädel.

Stefano D’Arrigo. Horcynus Orca, Roman (Seite 664/665: S. Fischer Verlag Frankfurt am Main, dtsch. von Moshe Kahn | Kindle-Positionen 12189 – 12203)
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