Stürme, Kitsch und Taumel. Musikfest Berlin 2023: Das Konzerthausorchester unter Joana Mallwitz am 7. September in der Berliner Philharmonie.

[Beitragsbild: © → Martin Walz (von dem Sie → da auf seiner Site
ein absolut grandioses Foto dieser grandiosen Dirgentin sich anschauen
kön
nen. D a s hätte ich gerne als Beitragsbild verwendet. Nur ist es als
Pressefoto
nicht freigegeben. Was ich nachvollziehen kann.
ANH ]
[
[Geschrieben für die Junge Welt
und dort am 11. 9. 2023 → erschienen.
Meine Anmerkungen zum Zeitungstext → dort.
Hier der Originaltext des Typoskripts.



Als Nachtrag, Januar 2024:
Siehe aber meine an die Redaktion gemailte
Aufkündigung der Zusammenarbeit]

           Ein Star ist sie schon jetzt – und wurde so bejubelt: Joana Mallwitz, Dirigentin. Nämlich nicht nur wegen der heftig vorausgegangenen Medien-PR, sondern sicher auch, und damit nun zurecht, nach ihrem Antrittskonzert als neue Leiterin des Konzerthausorchesters Berlin am 31. August. Bei → arte ist es nachzuhören und, na klar, auch anzuschauen. Und nun, grad eine Woche später, gleich das zweite Konzert, nämlich im Rahmen des Berliner Musikfests in der Berliner Philarmonie. Nicht nur sie, auch das Orchester wurde mit Jubel gleich empfangen. So daß mein dreiundzwanzigjähriger, in diesen Belangen kritischer Sohn sich nach dem Konzert anzumerken genötigt sah, es habe für solche Ovationen die künstlerische Leistung nicht allein den Ausschlag gegeben, ja, nicht einmal vor allem. „Genau das“, erwiderte ich, „läßt aber hoffen“ – ebenso wie, dass Robin Ticciati, der Chefdirigent des ebenfalls Berliner DSO, als Losung dieser Spielzeit ausgegeben hat: Kein Konzert ohne Komponistin.
Tatsächlich steht Joana Mallwitz für eine, und diesmal gute, „Zeitenwende“. Weil sie eben eine der hartnäckigsten Männer-Domänen erobert, wenn nicht schon erobert hat, und dies mit großer, vor allem aber der selbstverständlichen Eleganz nicht nur geschmeidigster Präzision, sondern zugleich mit unwiderstehlicher Lebensfreude. Wir müssen uns nur ihren Umgang mit den Musikerinnen und Musikern anschauen – mit den Menschen also. Wie sie sie stetig ehrt, und diese ehren sie.
So läßt’s sich lustvoll musizieren. Musik als, ja, schäumende Lust und Erkenntnis aus Lust. Daß Mallwitz für dieses Konzert ein sozusagen süffiges, deutlich aufs „bürgerliche“ Konzertpublikum ausgelegte Programm zusammengestellt hat, sei ihr da nachgesehen. Zumal genau dieses erst mal gewinnen muß, wer gegen den patriarchalen E-Musikbetrieb nicht nur die Akzeptanz weiblicher Dirigenten, sondern ihre Normalität durchsetzen will. Außerdem gestaltete sie Brittens Sea Interludes in geradezu radikaler Expressivität. Dies immerhin stand quer. Noch nie habe ich das dritte Stück, ein „Moonlight“, derart langsam – geradezu gefährlich langsam – aufgeführt vernommen, mir stockte fast der Atem. Umso brutaler schlug dann der Aufruhr des Seesturms auf uns ein. Für mich der Höhepunkt des Abends, mein Sohn war andrer Meinung.
Einig waren wir bei Donnacha Dennehys reichlich seichtem Violinkonzert von 2020. Nett anzuhören, für die meisten, ja – doch aber „Musik“, Musik im emphatischen Sinn? Nein, widerstandsfreie Kompositionsbastelei, freilich hochvirtuos, voll nicht selten schwebender Klangfarben und -schattierungen, mir langweilig aber, eigentlich nur als cineaste „landscape“ für den Spielfilm verwendbar, besonders der zweite, in irischer Folk-Nostalgie gebadete, nun auch noch süßlich-kitschige Satz. Das ganze Stück eine Art Heimweh- Pastorale, „schöne-Kindheits“-Illusion, die beliebig hätte enden wie weitergehen können. Daß der eigentlich grandiose Augustin Hadelich als Zugabe auch noch eine Zirkusnummer auf seiner Geige voltigierte, gab den Affen ihr Futter erst recht. So hörten die Ovationen nicht auf. Jetzt war’s mir nur noch peinlich.

           Aufatmen an frischer Luft, draußen in der Pause. Diskussion mit dem Sohn. Er zu beinah allem: „Die klebten an den Noten.“ Nur Brittens „Dawn“, die komponierte Dämmerung, ließ er gelten. Die hatte ihn ergriffen, das Weitre rausgezerrt.

           Dann, nach der Pause, der Beethoven aber! Ohne Noten da die Mallwitz, so jetzt ganz bei sich im rhythmischen Rausch, den diese Siebte Sinfonie mit quasi jedem Satz erzeugt. Schon bei der Uraufführung scheint es so gewesen zu sein und hat in über zweihundert Jahren an Wirkung nie verloren … – von einem „Taumel“ schreibt das Programmheft, in den sich das Orchester, von Mallwitz gestisch angefeuert, geradezu warf – die nicht mit den Händen, nein den ganzen Armen dirigierte, mitunter fast tanzend, die musikalische Bewegung tief im Leib, dem der des kolossalen Klangkörpers wie angesteckt folgte. Gelang etwas besonders, lachte die Dirigentin wieder, triumphierend warm, hell und inspirierend, schnitt auch mal, fast karikierend, Gesichter, wie man’s bei kleinen Kindern tut, um sie einzustimmen. Der zweite Satz, auch ohne historische Instrumente, wurde zeitweise angemessen rauh, brutal fast, bevor es in, ich schreibe mal, „versöhnliche“ Passagen ging, je in die Hoffnung wieder, die Mallwitz oft mit Pathos lodernd auflud. Schlagend deutlich, was sie im Kopf und Herzen hat, und selten nur – im dritten Satz, dem Presto, vor allem – war dem Orchester von ihrer Leidenschaftlichkeit spieltechnisch ein wenig zu viel abverlangt. Wie voller Wärme sie auch sei, fordern tut sie schon. Und nimmt des finalen Satzes Allegro geradezu prestissimo.

           Ja, ein Star ist sie schon jetzt. Nun sollte ihr Konzerthausorchester auch einer werden. Der Spielort war da gut gewählt.

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ANH, 8.9.2023
Berlin

                         © 2023   Martin Walz

***

 

1 thought on “Stürme, Kitsch und Taumel. Musikfest Berlin 2023: Das Konzerthausorchester unter Joana Mallwitz am 7. September in der Berliner Philharmonie.

  1.  

     

    D a :

     

    Abgesehen von stilistischen Minimalitäten und davon, daß ein sinnloses “es” hinzugeschummelt ist((„Genau das“, erwiderte ich, „es läßt aber hoffen“)), wurde mir lediglich ein Nebensatz gestrichen, nämlich in der wahrscheinlich jetzt leicht befremdlich wirkenden Wendung “Gelang etwas besonders, lachte die Dirigentin wieder, triumphierend warm, hell und inspirierend, schnitt auch mal, fast karikierend, Gesichter.” Im Typoskript steht, was und wie es gemeint ist:

    Gelang etwas besonders, lachte die Dirigentin wieder, triumphierend warm, hell und inspirierend, schnitt auch mal, fast karikierend, Gesichter, wie man’s bei kleinen Kindern tut, um sie einzustimmen.

    Mag sein, es wurde woke befürchtet, daß meine Bemerkung den Musikerinnnen und Musikern ein bißchen auf die Füße tritt — indes ich meinerseits denke, daß sie nicht nur das Bild verstehen, sondern der Humor sie hätte schmunzeln lassen, der meine Formulierung trägt.

    ANH, 8.57 Uhr
    Sowie am 21. November 2023 (Originaltextergänzung)

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