Abwehr heilt nicht. Jonathan Littell. Die Wohlgesinnten. Lesenotate (2).

Vielleicht ist >>>> es d a s, >>>> womit man als Deutscher nicht klarkommt: „Ich will hier nicht behaupten, ich sei an diesem und jenem nicht schuldig. Ich bin schuldig, ihr seid es nicht, wie schön für euch“ (S. 33). Diese Häme, die zynisch auf den wahren Umstand pocht, daß keiner von uns weiß, ob nicht auch er (auch sie) mitgemacht hätte. Und hätte ebenfalls seine perverse Lust daran gehabt: „Trotzdem könnt ihr euch sagen, dass ihr das, was ich getan habe, genauso hättet tun können.“ D a liegt der Skandal, zumal in der direkten Ansprache. Es geht um den ja doch schon gegenüber >>>> Syberberg abgewehrten „Hitler in uns“ – wobei es sehr viel schlimmer ist, daß es nicht einmal um d e n, sondern um die „Weichensteller, die Betonfabrikanten“ geht, zu denen selbstverständlich auch die beschäftigten Arbeiter gehören, „und die Buchhalter in den Ministerien“, ohne die „ein Stalin oder ein Hitler nur einer jener von Hass und ohnmächtigen Gewaltfantasien aufgeblähten Säcke gewesen“ wäre. „Die Feststellung, dass die meisten leitenden Angestellten der Vernichtungsindustrie weder sadistisch noch masoschistisch waren, ist mittlerweile ein Gemeinplatz“ (35). Das trifft auf Feuilletonisten ganz ebenso zu: w i e gemeinplätzig die sich benahmen, wissen wir schon seit der ersten >>>> Fackel. Daß sich das nicht verändert hat, und zwar quer auch durch die „Linke“, ist ein ebensolcher Gemeinplatz. Doch darf man ihn, und zwar deshalb, nicht nennen. Er ist eine Attacke – genau das wird gefühlt – auf unser humanistischstes Selbstbild. „Die Maschinerie des Staates nun ist aus dem gleichen Sand gebacken wie das, was sie Korn für Korn zu Staub zermahlt. Es gibt sie, weil alle damit einverstanden sind, dass es sie gibt, sogar – und häufig bis zum letzten Atemzug – ihre Opfer“ (S. 34). Dieser letzte Gedanke, zumal von einem Nazimörder ausgesprochen, der nicht einmal einsichtig ist, ist der ungeheure Affront, denn man spürt, daß er – stimmt. Wie darf denn ein Nazimörder recht haben? Und u n s anklagen? Ja, er tut nicht einmal das, sondern mit verächtlich müder Geste tut er uns weg. „Die wirkliche Gefahr für den Menschen bin ich, seid ihr. Wenn ihr davon nicht überzeugt seid, braucht ihr nicht weiterzulesen“ (S. 35). Mußten sie halt aber. Denn sie hatten ihren Rezensionsauftrag. Der ist ihnen nun zu i h r e m Nürnberger Prozeßchen geworden. Da saßen sie denn also, unschuldig, weil sie die Zeit verschont hat, und darüber schuldig, in den Redaktionen auf ihren Angeklagtenbänken und beteuern, ganz wie die hohen Nazis taten, ihre Unschuld. Wir selbst sitzen da, auch wir andren deutschen Leser. „Ihr werdet nichts verstehen und euch nur ärgern, nutzlos für euch – wie für mich“ (S. 35). Denn auf >>>> Radischs schon theoretisch bloß behauptete, zumal ausgesprochen gefärbte Feststellung, diese „schnittigen, juvenilen Gedankensplitter der konservativen Revolution und die Nachtgewächse des französischen akademischen Diskurses“ trügen „nichts bei zur Lösung der schmerzhaften Frage, was genau unsere Großväter zu Mördern gemacht hat“ läßt es sich höchstwahrscheinlich auf das allerbanalste entgegnen: Weil wir Menschen so sind. Wenn wir nicht das Glück einer Determination erfahren haben, die uns dem Widerstand zuschlug. Wer von uns das gewesen wäre, kann wirklich niemand sagen. Auch wenn die Abwehr nun – und seit Jahrzehnten – anders tut. Abwehr, Leser, heilt nicht.

>>>> Litell 3
Littell 1 <<<<

6 thoughts on “Abwehr heilt nicht. Jonathan Littell. Die Wohlgesinnten. Lesenotate (2).

  1. Eine völlige Nebenfrage… Lieber herr Herbst,

    Eine Frage habe ich nach dem Durchstöbern des Blogarchivs: Wo um alles in der Welt haben sie eine Aufnahme von Dallapiccolas Volo di Notte her? Ich konnte bislang noch keine finden…

    1. @Till Auener zu Dallapiccola. Ich habe drei Aufnahmen; zwei stammen aus den Archiven der RAI; die eine wurde in den frühen 50ern, die andere in den 90ern aufgenommen. Die dritte ist ein Radiomitschnitt in deutscher Sprache (“Nachtflug”), da habe ich mir leider nicht notiert, welcher Sender sie ausgestrahlt hat.

    2. @ Auener, Ergänzung zu Volo di Notte. Der “Radiomitschnitt in deutscher Sprache” ist nicht in Deutsch; nur den Titel gab der Sender auf Deutsch an. Der Sender war der hr, sehe ich gerade auf der Cassette, und die Aufnahme war eine Übernahme von RAI Turin aus 1985.

  2. Drei Ideen auf 1400 Seiten… Ich befürchte, dass Sie dem Text zuviel Radikalität und Neuigkeitswert bescheinigen. Die zwei bis drei interessanten und diskussionswürdigen Ideen, welche Littell zwischen 1400 Seiten einstreut, sind nicht neu (siehe Schopenhauer) und radikal nur innerhalb des offiziellen Betroffenheits- und Sühnezirkus.

    Das hätte für einen bedenkenswerten Essay von vielleicht 50 Seiten gereicht. Der grausige Ballast der restlichen 1309 Seiten, diese vollkonstruierte Mischung aus Reißer, Kolportage, Faktenhuberei, Feuchtgebieten und Banalprovokation macht das Buch so ungenießbar.

    1. @Martin Conrad. Im Nachhinein mag ich Ihnen recht geben; es kommt sicher nicht ganz von ungefähr, daß ich die Lektüre schließlich selbst abgebrochen habe, weil mir anderes wichtiger wurde. Allerdings läßt mich Ihre Formulierung “radikal nur innerhalb des offiziellen Betroffenheits- und Sühnezirkus” aufhorchen, nämlich wegen des Wörtchens “nur”. Da genau liegt eine der Stärken des Buches, weil es hier eine tatsächliche Kunstfrage stellt: ist das erlaubt? und sich eben gegen den Betroffenheits- und Sühne”zirkus” stellt, der längst Fetischcharacter angenommen hat. Ärgerlich an dem Buch ist, daß es aufgrund seines Strickmusters genau diesen Fetisch bestätigt. Es ist, mit einem Wort, schlechte Dichtung, also keine… – von wenigen Stellen abgesehen, das sehen Sie, denke ich, richtig. (Um ein Gegenbeispiel zu nennen: Louis-Ferdinand Céline in nahezu allen seinen Romanen, nicht hingegen in seinen rundum widerlichen Agitationsschriften.)

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