Arbeitsjournal. Mittwoch, der 15. November 2006.

6.26 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Um 4.30 Uhr ging der Wecker, ich wollte ihn auf eine halbe Stunde später stellen – darüber scheine ich wieder eingeschlafen zu sein und erwachte eben erst, den Wecker quasi noch in der Hand. Kopfschmerz, es war wohl die Mischung dreier Gläser Weins und eines Braunbiers nachher in der Klosterbräu. ’s war halt jour fixe hier… ein ausgezeichneter aber, die >>>> Ausstellungeröffnung Elke Zauners diesmal: „Gibt es eigentlich Meermädchen?“. Gute Bilder, die mir aber ein wenig zu ironisch sind, was ich ja unterdessen als ein anderes Wort für ‚uneigentlich’ verstehe; auch sind mir die meisten Sujets fremd, a l s Sujets. Doch der Abend begann mit der Uraufführung des kleinen Liederzyklus „Auffe, umme, obe“ für Zitter und Counter von >>>> Eva Sindichaki, meiner hiesigen Studionachbarin. Wundervolle Klänge (nur den Titel finde ich, gerade für diese schwebenden Stücke, in seiner Albernheit schade), die an Lieder von Britten erinnerten, teils sogar an Frank Martin, auf dessen quatre pièce breves ich früher einmal Textchen geschrieben und sie zusammen mit der Klassischen Gitarristin Regine Hoch-Shekov vorgetragen habe. Zu B r e m e r Zeiten, ach. Auch davon, übrigens, existiert ein Mitschnitt, auch daraus werd ich Ihnen gelegentlich eine mp3 ins Archiv der >>>> fiktionären Website stellen.
An sich hatte ich gar nicht mehr mitwollen ins Klosterbräu, an sich zog es mich >>>> zur letzten Elegie zurück, aber Direktor G. überredete mich, mit ihm tauchte ich dort dann auch auf. Das wiederum, da wir auch gleichzeitig wieder weggehen wollten, brachte mir den Spott Gerald Zchorschs ein, auch den Spott Eva Sindichakis’. Ich verärgerte mich momentan und zog deshalb, G. war irgendwie nicht zu sehen, alleine ab… die Gasse in leichten Schlangenlinien begehend, was mir selbst auffiel. So ist nun der Kopfschmerz nichts, was mich wunderte. Und tatsächlich wäre ich gestern abend besser g l e i c h in mein Studio zurückgekehrt, dann säß ich jetzt nicht so ein bißchen orientierungslos hier und lallte Sie voll. Die dreizehnte Elegie gestaltet sich nämlich mühevoller, als ich dachte; ich hab gestern noch den bereits stehenden Anfang als Anfang verworfen, weitere schon existierende Zeilen nach vorn gesetzt usw. Es soll ja eine Art Huldigung an ‚die Frauen’ werden, und damit geht’s mir nun wie mit der >>>> elften Elegie, der zur Musik; das eigentliche Thema entzieht sich, flüssig wie Wasser, das man in die Hand schöpfen will und zum Mund führen, aber man zittert, und alles rinnt weg; eine Neige erreicht dann die Lippen. Andererseits durchzieht das Thema ‚Frauen’ die Elegien sowieso insgesamt, auch darin der ‚Musik’ ähnlich; „Musik ist weiblich“, sagte Eva Sindichakis gestern im privaten Gespräch. Auch wenn die meisten Musik, aus mehrerlei Gründen, von Männern stammt, ist etwas daran. Es möchten nun manche sagen, das stimme für Literatur ganz ebenso; das aber gerade glaube ich nicht; Literatur empfinde ich als sehr viel männlicher konnotiert; sie könnte sogar d i e Männerkunst sein in einigen ihrer radikal durchgeformten Höhen (Proust spricht allerdings dagegen, Hesse auch).
Gut, ich will jetzt sehen, wie ich weiterkomme mit der Elegie; am Abend fahr ich >>>> nach Nürnberg zu Iliya Trojanow; falls es Sie interessiert: er liest dort im Literaturhaus, Luitpoldstraße 6, um 20 Uhr aus seinem >>>> „Der Weltensammler“. Ich werde über Nacht bleiben und dann morgen früh direkt von Nürnberg aus nach Berlin fahren.

Ah, dies noch: „Ich kann mich zu Ihren poetischen Arbeiten weder formal noch analytisch äußern, dazu fehlt mir das nötige Rüstzeug; wohl aber merke ich, wie ich auf vieles sehr stark reagiere, mehr intuitiv als mit Analyse.“ Das schrieb mir gestern eine Leserin zu den Elegien. Und eine andere: „Dieser 11. Gesang transformiert, löst und zeugt.“ Es scheint so zu sein, als erreichte ich mit den Elegien etwas Gleiches, das auch viele meiner Prosatexte für Leser haben: Nähe. Nur werden die Elegien nicht mehr abgewehrt, sondern sie werden ‚angenommen’, und man läßt die Wirkung z u. Liegt es an der zärtlichen Traurigkeit, die sie verströmen? Während die Prosa doch meist mit gläserne Wucht daherkommt und das, was uns geschieht, eben n i c h t melancholisch formuliert? Liegt es vielleicht am ‚vergangenen Klang’, den der Hexameter evoziert, und damit an etwas Heimischem, Innerlichem? Die Elegien, in gewissem Sinn, schauen zurück und halten fest, die Prosa hingegen schaut nach vorn und w i l l nach vorn; auch formal. Sie läßt los, die Elegien hingegen haften… U.’s Satz, die Elegien seien sozusagen mainstream, und sie, U., sei überzeugt, sie erreichten Tausende, scheint sich zu bewahrheiten.

13.42 Uhr:
Hatte gerade einen Anfall von Erzähllust. Prosalust, Romanlust. Erst etwas wegen der >>>> Morrigain, dann eine Idee zu der >>>> „Willige Frauen“ – Serie; dann zögerte ich wegen der Geliebten, notierte nicht mal etwas; ich will nicht verletzen, auch nicht aufgrund eines Mißverständnisses; die Geschichte selbst ist aber sehr schön und auf eine französische Weise poetisch. Doch vielleicht lenkte sie ohnedies davon ab, daß momentan >>>> etwas besonders Kniffliges zu formulieren ist und stellt also insgesamt ein Verschleierungsmanöver dar. Andererseits bin ich in einem Rutsch auf Seite 2 der 13. Elegie gelangt.
Ich rasier mich jetzt, dusche und schlafe meine Stunde.

Zschorsch, den ich eben an der >>>> Schranne traf, erzählte gerade etwas, das unter „sich ein Buch erschlafen“ laufen könnte, wenn es nicht um einen Musiker ginge. Aber er hat’s nur selbst erzählt bekommen; so, wenn auch die Quelle verläßlich zu sein scheint, red ich nicht deutlicher drüber, sondern denk mir nur meine verschiedenen Teile und lasse Sie sich die Ihren denken.

Ähm, n o c h eines: >>>> Stigma ist wieder da.

18.16 Uhr:
Ich muß völlig umdisponieren; wegen einer Schulangelegenheit (nichts Schlimmes, nur was Schulinternes) muß ich den Jungen morgen früh um elf abholen, also sofort nach Berlin fahren. Der letzte einigermaßen angenehme ICE geht um 19.09 Uhr. Dummerweise hab ich von Trojanow keine Telefonnummer, um ihm den Abend abzusagen, auf den wir uns beide sehr gefreut haben. Aber eine Mail schrieb ich und hab eben noch im Literaturhaus Nürnberg angerufen, man möge Herr Trojanow bescheidgeben, ich hätte müssen undsoweiter… „W e r spricht da?“ Ich wiederhole meinen Namen. „W e r?“ Schon der T o n dieser Frau geht mir auf den Keks. Ich wiederhole den Namen noch mal, sehr deutlich. Sie kriegt den Vornamen mit, beim Nachnamen bleibt sie abermals hängen. Ich quetsch’s mir weg, ihn zu buchstabieren., und auch, ihr – wenn sie denn schon in einem Literaturhaus arbeitet – das Lesen zu empfehlen. So, ab die Post.

23.42 Uhr:
[Berlin, Schönhauser. Küchentisch.]
Angekommen. Im Zug tatsächlich noch eine halbe Seite der dreizehnten Elegie geschrieben, vorige Zeilen revidiert; dann am Laptop zum nun bestimmt vierten Mal >>>> „Das siebte Zeichen“ mit dem mir erstaunlich jung vorkommenden Prochnow gesehen (und einer kurzen Nacktszene, in der sich die hochschwangere Moore zeigt: wunderschön, auch wenn der Szeneninhalt dann recht depressiver Natur ist). Danach n o c h einmal kurz über die fließende Elegie geschaut. Und in der S-Bahn beinah eingeschlafen. Ich werd mich tatsächlich gleich hinlegen, nach diesem Bier hier vor mir; damit ich morgen um 4.30 Uhr gut an die Arbeit komme. Gute Nacht, Leser. Die Bahncard 100 ist mehr als Gold wert.

2 thoughts on “Arbeitsjournal. Mittwoch, der 15. November 2006.

  1. *heftig mit dem Kopf schüttel*
    Wenn Sie die Begrifflichkeit „Mainstream“ im Sinne der wörtlichen Übersetzung „Hauptstrom“ an sich in Bezug auf die Elegien verwenden, schüttel ich nicht den Kopf, im Sinne der üblichen Bedeutung ganz energisch. Ja, für mich sind die Elegien ein Hauptstrom, ein Strom, der in allen Menschen fließt, und Sie beschreiben’s. Dieser Strom fließt nicht künstlich – wie so viele – begradigt und geschönt. Es ist sein in seinem Grund ursprüngliches Flußbett, in dem er fließen darf, und es ist seine Schönheit, bei deren Anblick man sehr häufig die Augen schließen muss. Ja, auch die zärtliche Traurigkeit die sie verströmen, für mich im Sinne von Zartheit der eigenen Traurigkeit, weil man sich genau hier findet.

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