Arbeitsjournal. Mittwoch, der 31. Januar 2007.

4.57 Uhr:
[Berlin. Am Terrarium.]
Der letzte Tag meines ‚ungeoffenbarungseideten‘ Lebens. Es wird die erste e.V. sein, die ich je abgab, was eigentlich ein Wunder ist bei der finanziell seit je riskanten Lebensführung eines Menschen, der nicht sparen kann, prinzipiell nicht, und der das deshalb auch nicht tut, sondern lieber Geschenke macht, einlädt, Geld verleiht oder verschenkt usw. So habe ich es ja tatsächlich seit immer gehalten. Wenn etwas da war. Auch schon mal, wenn nichts da war. Aber selbstverständlich kommen die Schulden nicht daher. Sondern davon, daß >>>> den vielen Veröffentlichungen nur wenig Einkunft entspricht.
Manchmal denke ich in den vergangenen Tagen allerdings: auch das ist ein Familienmuster. Denn der Besuch von Gerichtsvollziehern hat meine ganze Kindheit durchzogen, mein Großvater mütterlicherseits ist wahrlich einen R o m a n wert (ich hab auch schon manches skizziert; >>>> in den BAMBERGER ELEGIEN kommt er außerdem vor); meine Großmutter ließ sich wegen des Schuldenberges und seiner monatelangen Phasen des Verschwindens mit 60 (!) von ihm scheiden, nach fast vierzig Jahren Ehe. Sie werden es nicht glauben: der Mann hat ein Parallelleben geführt, hatte anderswo noch eine zweite Ehe(!!)frau, die ganz ebenso unter Schuldenbergen und den Phasen seines Verschwindens litt. – Ich erzähle diesen Roman ganz gewiß eines Tages.
Heute früh aber geht es mir um die sozialen Muster, in deren Spiralen – in meinem Fall – immer mal wieder ein Gerichtsvollzieher auftaucht. Nicht nur nämlich mein Großvater, auch mein Vater ist von denen zeit seines Lebens umleuchtet worden; dabei hatte d e r nun wirklich nichts. Ganz ähnlich scheint sich mein Großvater väterlicherseits, den ich nicht kenne, ökonomisch verhalten zu haben (jaja, der alte Mann mit dem Hitler-Altar in Südtirol, „du machst dir keinen Begriff“ rief ein anderer Verwandter aus, ein jüngerer, der eine Familienchronik zu verfassen begonnen hat und sie, sagen wir, verwaltet; jedenfalls hatte der den alten Welsperg besucht)… und seit drei Jahrzehnten rase nun auch ich diese ökonomische Bob-Bahn runter, nachdem sowohl meine Mutter als auch ihre Schwester ein rigide ausgerechnetes Leben geführt haben voller Geländer und Achtsamkeiten und bürgerlicher Selbstbeherrschung (die sich meine Mutter geradezu calvinistisch erzwang, ihren beiden Söhnen hat sie davon nichts, rein gar nichts weitergeben können; immerhin einem, mir, ihre ungeheure Energie; dem anderen davon aber nichts als seinen sehr frühen Tod); die Schwester hatte es, von ihrem siechen Ende abgesehen, besser: sie ankerte im Hafen einer guten, wohlbehüteten Ehe, aus dem erst der galoppierende Alzheimer sie wegreißen konnte. Auch das, der Ausbruch einer solchen Krankheit, wäre eine um so unheimlichere Geschichte, als sie zu Anfang geradezu witzig einherkommt, man könnte sagen: voll einer tödlichen Komik.
Wieso komm ich jetzt so auf den Tod?
Verzeihen Sie, Sie haben recht, es geht ja in meinem Fall wirklich nur um die Abgabe dieses finanziellen Offenbarungseides. Hat es nicht seinerseits Witz, wie dieses „Offenbarung“ sich äquivok >>>> an eine andere, sehr eigentliche Offenbarung anschließt, mit der ich es neuerdings anscheinend zu tun bekommen habe?

Arbeit heute: ARGO abgeben beim Berliner Senat für die Bewerbung um eines der Berlin-Stipendien; man soll eine „Textprobe“ abgeben, las ich gestern in der Aussschreibung, sowas um 20 Seiten, plus Exposé. In meinem Fall hat das früher dazu geführt, daß ein Juror seine Ablehnung so begründete: „Herbst ist ein sehr guter Exposé-Schreiber; den Roman selbst kriegt er aber n i c h t hin.“ Nun leg ich den Mädels und Jungs den Roman-selbst v o r. Rund 1000 Buchseiten, von denen ich meinerseits annehmen darf, daß die Juroren zwar gute Exposé-Leser sind, es aber mitnichten hinbekommen, einen ganzen Roman für ihre Entscheidungsfindung auch zu lesen.
Dann muß ich dringend das ausgefüllte Offenbarungseids-Formular kopieren, damit der Profi ein Doppel davon hat. Davon, es zu scannen und komplett in Die Dschungel zu stellen (das hatte ich vor), riet er leider ab; und ich höre in rechtlichen Dingen auf ihn. Tut mir leid, ich hätte mir den bittre Spaß gern gemacht, den Offenbaungseid sozusagen öffentlich abzulegen, mit einem Inventar meiner kompletten Besitztümer. Es ist wenig genug, man müßte gar nicht lang lesen. Aber der Profi sagte, laß es sein.
Moment mal, mein linker Fuß ist eingeschlafen…
Arbeit weiterhin: Heute werd ich damit beginnen, die Änderungen zur persischen Fassung in >>>> MEERE einzuarbeiten; es sind ja insgesamt nicht viele, das ist an einem Tag zu schaffen. Morgen formatiere ich die entsprechenden Seiten dann so und drucke sie aus, daß sie sich in die Oiginalausgabe des Verbotenen Buches Seite für Seite über die entsprechenden alten Seiten drüberkleben lassen. Auf diese Weise kann ich dann >>>> in Tutzing aus dem gebundenen Buch lesen, das diesen wundervollen Schutzumschlag hat und ja ingesamt sehr schön gestaltet ist. (Sowie meinem Widerspruch gegen die einstweiligen Verfügungen stattgegeben ist und diese eingestellt worden sind, kann ich auch >>>> die schwarzen Cover in Der Dschungel und auf der fiktionären Website endlich durch den eigentlichen Buchumschlag wieder ersetzen; aber in dem Fall will ich den Gerichtsbeschluß definitiv abwarten). Mit den ARGO-Korrekturen, jedenfalls, setze ich heute und morgen wegen MEERE aus. Und wie absurd, daß ich mit der Revision ausgerechnet in dieser Wohnung beginne… sollte jetzt jemand erwidern wollen oder erwidern: „Absurd? Nein: geschmacklos!“ – so wäre ihm zum einen mit dem Wunder zu begegnen, das sich zwei Liebenden ereignet hat; zum anderen aber wäre er auf die Formklammer aufmerksam zu machen, die sich damit um ein reales Geschehen legt. So daß man geradezu ausrufen muß: „Nirgendwo anders könnte, ja d ü r f t e diese Arbeit beginnen!“

Ich geh mal meine Morgenzigarette rauchen. Guten Morgen a tutti insieme!

7.55 Uhr:
[Berlin. Küchentisch. Monteverdi, Marienvesper/Combattimento {bis ich die Stücke werde in- und auswendig können}.}.
Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie rasend ich mich darauf freue, wieder in meiner Arbeitswohnung Platz nehmen und arbeiten zu können! (Fiel mir grad ein, als ich mich wieder an diesen Küchentisch setzte).
Zwei Ideen für MEERE, persische Fassung, kamen mir. Da nicht heraus ist, wie sich der >>>> marebuch-Verlag zu einer Neuauflage des Romans in dieser Persischen Fassung stellt, will ich sowohl >>>> Volltext als auch fürs >>>> SCHREIBHEFT Norbert Wehr vorschlagen, den revidierten Text vorabzudrucken. Mal sehen, wie die beiden reagieren. Und was Niko Hansen, der von mir für Fairness, Klarheit und Freundschaft geschätzte MEERE-Verleger, zu der Idee sagt.
Schöne neue Widmung, übrigens, jetzt:
Für Niam, die übers Meer davonritt…
9.11 Uhr:
Die >>>> Briefe an Volltext und auch Nobert Wehr, sowie einen an Verleger Hansen geschrieben und hinausgeschickt. Und als ich eben meine referrers kontrolliere, finde ich, daß >>>> d a s seit dem 16. November 2371mal aufgerufen worden ist. Unfaßbar. – Und soeben kommt von dem Freund die letzte Ausdruck-Sendung ARGO an. Tiefes Ausatmen.

10.55 Uhr:
Alles fertiggemacht, die fehlenden Seiten ausgedruckt und eingefügt; außerdem >>>> die Bewerbung geschrieben. Jetzt muß ich los und noch ein paar Kopien der Bewerbung fertigen. Dann geb ich ab, und zwar, um noch eins draufzusetzen, s o:

13 Uhr:
Zurück. Alles abgegeben. „Oh, das ist aber dick!“ ruft der nette Mensch aus, der die Bewerbungen entgegennimmt. – Danach weiter zum Sony-Center Potsdamer Platz. Davon möchte ich aber später berichten: Seltenes und Gutes. Doch die Zeit drängt, ich brauche meinen Mittagsschlaf.

19.38 Uhr:
[ICE Berlin-Bamberg.]
Das war Hektik. Nach dem Mittagsschlaf war ans Arbeiten nicht mehr zu denken. Aber ich habe den letzten ICE nach Bamberg noch erwischt und will und muß die Zeit hier für die Persische Fassung nutzen. >>>> Hierauf hat >>>> Volltext http://www.volltext.net bereits reagiert, und zwar mit großem Interesse; der Redakteur und ich werden morgen im Lauf des Tages telefonieren; zudem hat >>>> marebuch, wohin ich eine Kopie meines Briefes gemailt hatte, kein Bedenken geäußert, möchte aber verständlicherweise in irgend einer Form beteiligt sein – was juristisch geht, da das Gericht die Persische Fassung ja ein „anderes Buch“ genannt hat, das insofern nicht unter das gegen marebuch rechtskräftiges Buchverbot fällt. Das ist jetzt alles ein ziemlich absurde Situation. Denn ich wiederum hätte die Persische Fassung gern in einer vielleicht „Zweite Auflage“ genannten Buchfassung, die aber der Verlag wegen der hohen Gerichtskosten, die er gehabt hat, einstweilen nicht ohne Fremdmittel publizieren möchte.

21.16 Uhr:
[ICE. Halt in Jena. Monteverdi, Marienvesper/Combattimento.]
Soeben die Revisionen zur Persischen Fassung abgeschlossen. Wobei mir noch ein kleiner, durch die Umschreibung entstandener Fehler aufgefallen ist – vielleicht ist es ein Fehler, ich muß noch ein bißchen prüfen. Aber ansonsten ist das Ding jetzt fertig.
Nun bin ich müde.

23.39 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Angekommen, immer noch und immer weiter die Marienvesper im Ohr. Trinke aus einer wiederverschlossenen Flasche eine Neige abgestandenen Biers, dann geh ich schlafen, um für für die Morgenarbeit und dann den OE-Termin wachzusein.

2 thoughts on “Arbeitsjournal. Mittwoch, der 31. Januar 2007.

  1. Ach es gibt richtig freundliche Gerichtsvollzieher, na ja es mag auch richtig nette Henker geben, aber das ist ein wirklich schlechter Vergleich, denn der Besuch eines Gerichtsvollziehers darf einem nichts nehmen, auch nicht die Angst vor ihm. Als mein erster kam war ich sehr aufgebracht und ich dachte, das ist das Ende, so etwas denkt man ja immer wenn einem etwas über die Haut wächst, oder über das eigene Sein, wie auch immer, jedenfalls stand ein sehr freundlicher Mensch vor mir, der ohnehin sah dass da nichts zu holen war, meine fürchterlichen Gedichte die ich damals schrieb nahm er ohnehin nicht.

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