Arbeitsjournal. Donnerstag, der 1. November 2007.

5.23 Uhr:
[Arbeitswohnung. Händel, Semele.]
Wie man sich daran gewöhnt, wie so schnell man dessen bedarf, daß neben einem ein Baby schläft… Sanft in die Decke als in einen Kokon gewickelt, brachte ich das Mädchen um Viertel für fünf zur Mama hinüber, in deren Arm der Bub schlief… Und so dann pünktlich hierher, wo die Kämpfe warten.

Bei >>>> dem bin ich gespannt, wie es weitergeht. Nachts noch, schließlich, schrieb ich an Nickel-direkt einen Brief, um sicherzustellen, daß er >>>> meine Replik auch liest. Und ich sehe gerade, daß >>>> er tatsächlich schon geantwortet hat. Darauf werde ich gleich wieder meinerseits reagieren.
So sehr mich d i e s e s Ding nun wieder gefährden mag, jedenfalls meine Aussichten auf Förderung ziemlich gegen Null zusammenschrumpfen läßt, sind damit doch drei mir wichtige Anliegen aufs Spiel- und Schlachtfeld gezogen:
1) kommen Hintergründe in die öffentliche Debatte, die in diesem kungelnden Literaturbetrieb unliebsamen Autoren großen Schaden zugefügt haben und weiter zufügen – denn ich steh weißGöttin nicht allein; nur daß i c h das geduckte Schweigen b r e c h e – und damit ein on ne fait pas vom Ausmaß eines, zugegeben, für die Gesellschaft marginalen Tabus; es mag für die meisten Menschen ganz zurecht ohne jede Bedeutung sein, aber betrifft entschieden meine literarische Arbeit und die Möglichkeiten, sie aufrechtzuerhalten. Man darf ja nicht vergessen, daß es sich bei dem >>>> Deutschen Literaturfonds mitnichten um eine private Institution handelt, die mit rein eigenem Geld selbstverständlich fördern dürfte, wen und warum immer sie will; sondern er ist auch mit öffentlichem Geld gespeist.
2) werden Verfilzungen deutlich; man hat mir schon zu DSCHUNGELBLÄTTER-Zeiten übelgenommen, daß ich parallele Verschaltungen von Juries und Preisträgern namentlich aufgedeckt habe: A und B und C sitzen in Jury D; B und C und E sitzen in Jury F, wo nun A Preisträger wird usw. Hier geht es mir aber vor allem um Peter Hamm und die Machtkonzentration in seinen Händen.
3) kann ich nunmehr davon ausgehen, daß, s o l l t e mein Antrag angenommen werden, es alleine aufgrund der literarischen Qualität geschieht und nicht, weil jemandem meine Nase nicht paßt oder paßt; sie wird nun k e i n e m mehr passen, was ich für die beste Voraussetzung dafür halte, daß der Blick auf die Inhalte geht.
Das war imgrunde immer meine Art, mich bei Instanzen zu „bewerben“: wenn ich von jemandem etwas wollte, attackierte ich ihn zugleich; Heine hat das übrigens nicht anders gehalten; seine Bettelbriefe an Rothschild sind so bekannt wie seine Häme über Rothschild. Sowas wird im allgemeinen für einen Characterdefekt gehalten; es ist aber tatsächlich ein Kalkül, das einen davor bewahren will, korrupt zu werden. Und als solches funktioniert es sehr gut. Man b e n e n n t Feindschaften; fördert dieser Feind einen dennoch, dann wirklich nur, weil er von einer Dichtung überzeugt ist. H a t er diese Größe, dann, nur dann, muß man sich allerdings verneigen. Dann nämlich bekommt ein Gefühl von Achtung geschenkt, wo sonst nur noch ein Ekel ist.

In diesem Zusammenhang auch noch eine Bemerkung zu meinem >>>> Paralipomenon von gestern nacht; auch das steht in Zusammenhang mit der jetzt losgetretenen Auseinandersetzung mit dem Deutschen Literaturfonds. Es betrifft noch einmal >>>> den Fall Biller. Bezeichnend war, daß es bezüglich des Verbotes von Esra erst dann eine große Solidaritätsnote für Biller gab, als die Klägerinnen eine Klage auf Schmerzensgeld eingereicht hatten und also absehbar wurde, daß die Sache auch an den Geldbeutel der Kollegen gehen könnte. Bis dahin, und das war viele viele Monate n a c h dem ersten Buchverbot, hielt man sich in einer teils hämischen, teils skeptischen Weise lieber bedeckt. Unrühmlich dabei besonders die Rolle des Deutschen PENs, der sich überhaupt erst nach einer Aufforderung des Bundesverfassungsgerichtes zu einer Stellungnahme, dann allerdings f ü r Biller, bereitfand. Ich habe diese Art Verhalten, für meinen eigenen Fall, seinerzeit in Der Dschungel >>>> deutlich kommentiert.

Sehn Sie, jetzt hat mich das Arbeitsjournal wieder politische Zeit gekostet, die ich vielleicht besser auf Poetisches verwendet hätte. No jo, um mit >>>> Buschheuer zu tippen. Ich werd mich gleich über die XVII. Scelsi-Variation beugen; dann ist hier irgendwann aufzusaugen, weil meine >>>> tisch7-Verlegerin, die um 15 Uhr hiersein will, ganz sicher keine Staubmäuse mag. Und, ja, ich habe den ersten Satz der Rahmengeschichte für die >>>> ANNO-1900-Anthologie:

Jeder lag in seiner Zeit.

10.28 Uhr:
[Dallapiccla, Volo di notte. RAI-Aufnahme von 1985.]

Die Mails all gehen hin und her,
das Wespennestchen brummselt sehr.

Zu Erholung und rekonzentrationshalber den Dallapiccola eingelegt; das ist wie eine Geste der Sanftmut, die einem über die Stirn fährt. Immerhin hab ich, sozusagen nebenbei, die XVI. Scelsi-Variation auch fertigbekommen. Ich stell sie aber nicht ein, um den Focus der heutigen Dschungel nicht unübersichtlich werden zu lassen; dessentwegen brummselt’s nämlich nicht, sondern brummt – vor Zugriffen.
Frühstückszeit: Gekochtes Ei, 4 ½ Minuten, Bauernbrot, dazu Krabbensalat und die extrem harte italienische Salami, von der ich so gerne Scheiben schneide.

12.16 Uhr:
[Dallapiccola, Volo di notte. RAI-Aufnahme von 1951.]
So, nun können die Leute vom Bunderverwahrlosungsamt gern auch wegen der Wohnung kommen, derart sauber ist sie; die Toilette riecht sogar nach OP. Und ich kann meine Verlegerin zivilisiert empfangen und widerspruchsfrei noch einmal die Krawatte tragen. Bevor ich die aber ein zweites Mal binde, schlupf ich für den Mittagsschlaf unter die Decke.

8 thoughts on “Arbeitsjournal. Donnerstag, der 1. November 2007.

  1. 1.) Unser Gespräch in FFM im Herbst 2004, bei dem Sie auf mich zugekommen sind, habe ich anders in Erinnerung als Sie. Darüber mit Ihnen zu streiten dürfte indes müßig sein. Da Sie mich jedoch einer üblen Nachrede in Bezug auf Peter Hamm bezichtigen, sei wenigstens festgehalten, daß ich Ihrer Darstellung nicht zustimme.
    2.) Peter Hamm hat im Kuratorium eine von sieben Stimmen. Damit ein Antrag abgelehnt wird, müssen sich mindestens drei Kuratoriumsmitglieder gegen ihn aussprechen oder der Stimme enthalten. Die Ablehnung Ihres letzten Antrag geschah einstimmig.
    3.) Sie insinuieren weiterhin, der inzwischen verstorbene Lektor Wolfram Schäfer habe im Literaturfonds seine Arbeit nicht korrekt gemacht. Das ist & bleibt eine üble und völlig haltlose Denunziation. Ich kenne die noch erhaltenen Unterlagen. Aus ihnen geht hervor, daß Wolfram Schäfer genau das getan hat, was ihm seine Arbeitsplatzbeschreibung zu tun aufgab.
    4.) Mit Ihren Denunziationen verfolgen Sie eine wohlfeile und zugleich perfide politische Strategie auf Kosten der von Ihnen denunzierten Personen. Noch bevor Sie Ihren Antrag auf Förderung abgeschickt haben, inszenieren Sie sich als beklagenswertes Objekt mafiöser Strukturen, erklären dann, daß Ihre Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit & Tapferkeit in der schonungslosen Offenlegung der angeblichen verschwörerischen Machenschaften gegen Sie Ihre Chancen auf Erfolg natürlich zweifellos verringern werde. Durch diesen auf Unterstellungen basierenden Wahrhaftigkeitsexhibitionismus versuchen sie sich schon jetzt für den Fall einer Ablehnung einen privilegierten Opferstatus zu sichern, um sich dann erneut effektvoll als Ausbund der Tugendhaftigkeit stilisieren und allseitiges Mitleid erheischen zu können. Daß belesene Menschen ohne böswillige Absichten einen Text von Ihnen schlicht & einfach nicht derart exorbitant, inkommensurabel & schlechthin meisterhaft finden könnten wie Sie selbst, scheint am Horizont Ihres Denkens dabei noch nicht einmal als Möglichkeit auf.

    1. Aber lieber Herr Dr. Nickel. 1) Von übler Rede kann doch ganz offenbar keine Rede sein, vielmehr offenbarer von einem freundlichen Hinweis, zudem nicht etwa ich auf Sie zukam – sowas tu ich nämlich nie -, sondern Sie nahmen m i c h – anläßlich eines allgemeinen Essens – vorsichtig beiseite.
      2) Unterdessen kann man die Qualität dieser einstimmigen Ablehnung ja anhand mancher literarwissenschaftlichen Publikation sehr schön beurteilen, zu deren nicht kleinster >>>> Ralf Schnells Geschichte der deutschsprachigen Literatur nach 1945, in der Zweiten Auflage, gehört. Immerhin handelt es sich um ein Standardwerk. Sie werden es sicher, falls auf der Höhe der literaturwissenschaftlichen Zeit, in Ihrer Fonds-Hausbibliothek vorrätig haben. Es ist mir ein Genuß, Ihnen darin die Seiten 601-605 empfehlen zu können, in denen es um die Erzählerische Moderne geht. Einfache läßt es sich aber auch >>>> h i e r nachlesen. – Das Gute ist nämlich, hat einer nur Kraft und Zähigkeit genug, daß manche Einstimmigkeiten irgendwann ausgesprochen nackt im Regen stehen. Ich gestehe allerdings zu, daß manchen älteren Kollegen, was die Neue Kybernetische Zeit tatsächlich bedeutet, bis heute noch nicht eingegangen ist, geschweige daß sie intellektuell die poetischen Konsequenzen begriffen. Das muß durchaus kein böser Wille sein.
      3) Ich habe nicht gesagt, Schäfer habe seine Arbeit nicht korrekt gemacht; ob er das gemacht hat, hängt davon ab, welche Befugnisse ihm sein Arbeitsvertrag gegeben hat. Daß er verstorben ist, kann ich nach alledem nicht als Verlust für die Literatur empfinden. Da ich ihm persönlich meines Wissens nie begegnet bin, bleibt auch meine menschliche Trauer recht kühl. Trauen wohl Sie um Fremde?
      4) Ich denunziere nicht, ich erzähle, was mir geschah. Wenn Sie es drauf ankommen lassen wollen, schlage ich ein Schiedsgericht vor, bei dem auch Eva Demski dabei ist, deren Diktum ich mich menschlich beugen würde. – Ihre, Dr. Nickels, psychologische Erklärung h a t übrigens was, weil sie aus mir eine Art Opfer-Machiavell macht, und Machiavelli ist ja auch in dieser Version intellektuell höchst raffiniert. So habe ich daran Freude. Tatsächlich aber haben Sie nicht verstanden, was Die Dschungel s i n d: nämlich neben Ihrer experimentell-ästhetischen Seite ein ziemlich genau dokumentierendes Journal der Arbeitsverhältnisse, in denen ich lebe. Ein zweites solches existiert nicht im deutschsprachigen Raum: Es wird versucht, Tagessituationen mit den aus ihnen entstehenden Arbeiten zu konfrontieren, auch über Monate quergeschaltet. Wenn Sie sich ein wenig durch die>>>> Kleine Theorie des Literarischen Bloggens klicken, wird Ihnen sicher manches offenbar. Und ich hätte dann wieder zu unserer intellektuellen Verständigung beigetragen.

    2. mannomann in einem hat ja wohl
      dr. nickel offenbar
      recht: dass die
      vorwegnehmende
      jurorenbeschimpfung
      ein herbst’sches
      handlungsmuster sei.

    3. @rostschleifer. Hätte ich Grund, beschimpfte ich auch nachher, egal ob angenommen oder nicht.
      Wenn Sie die entsprechende Passage im Arbeitsjournal noch einmal genau lesen, wird Ihnen unschwer offenbar werden, daß ich von e i n e m, einem bestimmten, Juror sprach, der viele verschiedene Machtstränge in seiner Hand vereint und daran zieht. Von den anderen Juroren war, jedenfalls beschimpfend, nirgendwo die Rede.
      Die Tendenz allerdings ist da: Wo man etwas braucht, erst mal ans Schienbein zu treten. Allein schon, um nicht als Bettler dazustehen und um nicht in den Ruch der Käuflichkeit zu geraten. Es ist schon erbärmlich genug, mit einem solchen Werk im Rücken auf Stipendien angewiesen zu sein.

    4. Da muß man Dr. Nickel voll und ganz zustimmen: es ist schon sehr perfide und einem Machiavelli durchaus angemessen, wie Herbst hier vorgeht. Er hält sich alle Optionen offen. Wird sein Antrag für das Stipendium angenommen, so geschieht dies nur aufgrund der literarischen Qualität, wird der Antrag abgelehnt, würden sich die Machenschaften gegen Herbst bewahrheiten – trotz der für Herbst unzweifelbaren literarischen Qualität seiner Texte. Besser kann man nicht taktieren, Bravo!

    5. Daß ich einmal mit Macchiavilli selbst. Sprechen darf, ist auf jeden F a l l ein Erfolg. So daß ich jetzt eigentlich diese ganze Konversation in die >>>> Loyola-Abteilung stellen müßte. Doch dokumentarhalber wie aus Gründen einer, sagen wir, inneren Ästhetik geht das nicht mehr, wenn diese auch ihre Gründe im Programm von twoday hat.

  2. jedenfalls … können Sie es einem
    verdammt schwer machen,
    Sie vorbehaltlos zu mögen.

    und wenn das publikum Sie
    und Ihr werk einmal posthum
    in gänze in sein herz geschlossen
    haben wird, hamm Se ooooch
    nischt mehr davon!

    bleibense geschmeidig, mann!

    😛

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .