Freitag, der 24. März 2006.

5.45 Uhr:
[Britten, Cellosuite Nr. 2. Alexander Baillie.]
Guten Morgen, Leser. Bin erst um halb sechs auf, jaja, ich weiß, wie rasend Sie das interessiert, aber schließlich ist das m e i n Tagebuch.
Weshalb ich so leicht aggressiv gestimmt bin und nun Sie und unter Ihnen ausgerechnet diejenigen das vermittels meines Eingangssatzes abbekommen, die doch treue Leser sind? Ah, ich bitt Sie schön um Verzeihung. Aber es ist halt s o:
Da bekomme ich gestern als Brief eine Einladung der deutschen Sektion des Internationalen PENs, worin ich fast dringend gebeten werde, doch an einer Veranstaltung „zu Lage des Schriftstellers in der Mediengesellschaft“ teilzunehmen, die heute in der, glaub ich, Akademie der Künste stattfindet. Sogar meinen Namen persönlich hat man der allgemeinen Anrede hinzutippen lassen. Ein wenig zu durchschaubar möchte mich der Brief an so etwas wie meiner Ehre packen, man wird sozusagen zur Veranstaltung hingeschubst, weil man in Berlin ansässiges Mitglied des PENs ist. Da diese Veranstaltung tagsüber stattfindet, geht sie auf meine Arbeit. Das ist das eine, damit kann ich noch leben. ABER: Der PEN hat es trotz eindeutigen Auftrags der Vollversammlung im letzten Jahr nicht hinbekommen, eine Arbeitsgruppe zu bilden, die sich mit den zeitgenössischen Fällen der in Deutschland verbotenen Bücher , also auch >>>> m e i n e m Fall, beschäftigt. Immerhin hatten wir sogar einen… na ja, „Bundeskanzler“ hat man den Mann eigentlich nie nennen können – ich meine diesen Hätschelsohn der Deutschen Industrie, der wie eine Mischung aus Gerhard Wendland, Macchiavelli und Fouqué ausgesehen hat und sich auch so verhielt – egal… also selbst dieser „Bundeskanzler“ hat ein Buch gerichtlich verbieten lassen, einen Roman, wohlgemerkt. So. An sich schon Anlaß genug für eine Organisation, die sich um die Freiheit des Wortes kümmern will, auch einmal den Blick in die e i g e n e Wohnung zu werfen und nicht immer nur in die Fenster der andren Häuser zu starren und dort ihr Pfui! zu rufen. Aber nein! Man bangt um die Schnittchen, die man gern und immer wieder im Kanzleramt mit den Lippen aus der hingestreckten, ziemlich flachen Machthand nimmt. Jedenfalls werde, so der letzte Rundbrief dieses deutschen PENs, keine solche Arbeitsgruppe gebildet werden, weil es, und jetzt kommt es, Unstimmigkeiten darüber im Vorstand gegeben habe.
Was soll ich an einem Symposion zur neuen Situation der Schriftsteller in besagter Mediengesellschaft teilnehmen und mich dort dann äußern, wenn ich im Ernstfall eh davon ausgehen kann, keinerlei Beistand bei dieser Organisation zu finden? Was ihr noch die Argumente liefern, wenn man die dann so zeitschnittig unterschlüpft? Ich bin imgrunde längst geneigt, dem PEN meinen Austritt zu erklären, und würde das, wenn, in Form eines Öffentlichen Briefes tun. – Andererseits ist das heutige Thema wirklich wichtig; außerdem spricht auf der Veranstaltung der von mir sehr geschätzte Joachim Kersten. Deshalb also grantelt es mich heute morgen, und das haben Sie eben abgekriegt: ich weiß nicht recht, was tun. Jedenfalls schreib ich erst einmal kein DTs, sondern entscheide nachher spontan; man radelt ja fix in die Akademie hinüber. (Abgesehen von dem andern muß ich nachmittags um halb vier meinen Jungen zur Musikschule bringen und ihn anderthalb Stunden später von dort auch wieder abholen; die Veranstaltung geht aber bis in den Abend.)
Ein ganzer Tag ohne Arbeit an ARGO; das gefällt mir sowieso nicht. Na, ich berichte.

[Ein weiterer AmbivalenzGrund fällt mir noch ein: mich zurückzuziehen, bedeutete ja nun auch, daß man mich loswäre: mag ich den Leuten diesen Gefallen t u n?]

14.17 Uhr:
Gerade von der Morgensitzung des PENs in der Akademie der Künste zurück-
gekommen, den Nach-
mittag schenk ich mir. Allerdings auch den Mittagsschlaf, da ich in einer Stunde bereits den Jungen zur Musikschule bringen will. Jedenfalls wurde mir bei der PEN-Diskussion zweierlei klar: zum einen ist der Angriff auf das Urheberrecht tatsächlich ein konzerngesteuerter Angriff und übergangsweise wird das Urheberrecht verteidigt werden müssen; andererseits ist es tief kunstfremd und meint tatsächlich, als geistiges Eigentum Ware zu sein, die ähnlichen Regulationen unterliegen soll wie, sagen wir, ein Grundstück mit Garten und Haus: kein Fremder darf unerlaubt den Fuß darauf setzen. Das ist für Kunst selbstverständlich Unfug und wird sich durch die Gobalisierung gar nicht halten lassen. Ich finde das gut. Wer ideell – das ist i m m e r auch ideologisch – am Urheberrecht festhält, spielt das böse Spiel der die „Werte“ in Tauschwerte überführenden Ökonomie. Joachim Kersten, der juristisch logischerweise anderer Ansicht ist als ich, brachte das wider Absicht in seiner glänzenden Rede – „ein Leben für den Rhetus“, flüsterte ich ihm zu, als er sich wieder zu mir setzte; und er lachte auf – auf den Punkt: „Stellen Sie sich einmal unsere Gesellschaft vor, meine Damen und Herren, wäre sie mit materiellem Eigentum ebenso umgegangen wie mit geistigem!“ Tja, wenn man sich das vorstellt, dann gibt es keine Erben von etwas, an dem sie nicht selbst mitgebaut haben. Mir gefällt diese Vorstellung sehr.

Hübsch war noch d a s: Spricht doch Hermann Schäfer aus dem Staatsministerium für Kultur und Medien von der „Akademie der Wissenschaften“ in der er sich gerade befinde. Und wiederholt das noch einmal, da ihm, als kultusministeriellem Mitarbeiter, eine „Akademie der K ü n s t e“ vielleicht nicht so bekannt ist. Obendrein palavert er von den „anonymen Massen“, die dem Betreiber einer KulturSite entgegenstünden – als ob das bei Lesern von Büchern nicht noch sehr viel ausgeprägter wäre! Ich hab nur den Kopf schütteln können. Sein Haupt-Wort für das, was er gegenüber ‚Schreibern’ empfinde, lautete übrigens: Bewunderung. Er sprach das Wort in fünf Minuten sechsmal aus; ich hab eine Strichlisten gemacht. Und Frau Justizministerin Zypries nennt Goethe den „ersten Pop-Literaten“. Ob das den Alten gefreut hätt?
Dann Helge Malchow, Programmchef von Kiepenheuer & Witsch: Wie sehr Autoren unter nicht beachtetem Urheberrecht litten, dafür sei das Beispiel Márquez stellvertretend genannt: der habe in der Nacht vor der Drucklegung seines letzten Buches eigens das letzte Kapitel noch umgeschrieben, damit gegenüber all den Raubdrucken wenigstens ein Original existiere. Und er habe sich s e h r über diese Raubdrucke aufgeregt. Nun muß man sich nur vor Augen halten, daß Márquez unterdessen Millionär ist, da will man natürlich nicht an die arme Bevölkerung, die sich Bücher de facto nicht leisten kann, weitere Millionen verlieren.

Kersten, was mich übrigens ausgesprochen freut, hat das ihm zugemailte ARGO gelesen und war voller Begeisterung. „Nur: Ich habe keinen Verlag.“ Ich daraufhin: „Dann gründe doch einen.“
Ein verhärmt aussehender, schattenbärtiger Maxim Biller war auch da, stand wie mit hochgeschlagenem Kragen in der Tür und wartete auf seinen Verleger. Und Eigner sah ich wieder; ich versuchte, konziliant zu sein, er blieb, wie ich’s befürchtete, abweisend. Nun, dann soll er altern, wenn er unbedingt will. Aber ’s ist schade.

(Hab mir auf der Heimradelei beim MittagstischGriechen ein Gyros für 5 Euro geleistet. Muß auch mal sein.)

16.57 Uhr:
Eben mal >>>> h i e r hineingehört. Diese SAN-MICHELE-mp3 ist leider klanglich s e h r reduziert. Sollten Sie wissen. Wenigstens drei Tiefenschichten sind da verloren.