Arbeitsjournal. Montag, der 23. August 2010. Nach der Rückkehr. Das Leben mischt.

Nein, meine Leserin,

ich war nicht einverstanden: mit der Rückkehr nicht, nicht mit dem Wetter. Fröstelnd saßen wir zwei Männer, der junge, der alte, vorm Imbiß an der S-Bahn Prenzlauer Allee, abends, und ließen uns benieseln; wir hatten uns aus Protest nach draußen auf die Bänke an den klammfeuchten Längstisch gesetzt. Auch ging ein Wind, uns zu frösteln. Mein Bub stellte sein Heimatgefühl vermittels eines halben Grillhähnchens wieder her, ich unter Beizug eines Biers aus der Flasche; für die eigentliche Stimmung aber sorgte ein aggressiver Wortwechsel, der zwischen Absackdeutschem und Deutschtürkem dreimal hin- und herflog, bevor jener sich trollte, nicht ohne daß er sein Selbstwertgefühl mit Flüchen gegen den anderen stützte, die zu wiederholen ich heute früh zu fein bin: sie würden Ihre Seele verletzen. Das will ich nicht. Sondern blieb statt dessen kaum einen Tag in Berlin, traf zwar den Profi, tat sonst aber nichts, als geschockt nur vor mich hin zu starren. Wiederum mein Junge verschwand bei seiner Freundin; bis heute hat er nicht bei seiner Mama geschlafen, sondern schlief jetzt wieder, nach meiner abermaligen Rückkehr, hier; zur Mama lief er mal kurz, um noch im Hallo auf dem Hacken kehrtzumachen. So machte eben auch ich kehrt und reiste für zwei Tage in die Serengeti. Von der aus fuhr ich zu meinem Wahlvater D.B., der eine große Feier gab, trank dort Mengen einer herben, fruchtvollen Sangria und versackte in der Villa, worin ich mich so lange, v o r dem Versacken, mit einem toskanischen Antiquitätenhändler unterhielt, bis ich für Berlin endlich wieder bereitwar. Also fuhr ich in die Serengeti zurück, aber nur für drei Stunden, holte mein Gewehr ab, das ich dortgelassen hatte, denn bei D.B. gilt ein sehr striktes Waffenverbot: er ist von ganzem Herzen Pazifist, anders als bekanntlich ich.
Die Sonne war wieder hergekommen, sie hat sogar einige Stärke. Als ich ins Krankenhaus marschierte, weil ich mir auf Giglio eine Stauchung des rechten Beines zugezogen hatte, der Ferse, auf den Felsen am Meer, und einen, wie sich nun herausstellte, Muskelriß in der Wade, schwitzte ich sogar; der Sportarzt hatte den Verdacht eines Wadenbein-Anbruchs: der sollte ausgeschlossen werden. W a r wohl auch ausgeschlossen, sowieso, ich hätte sonst kaum meine 33 Kilogramm an Rucksackgepäck in die Villa Massimo zurück- und dann zum Bahnhof Tiburtina schleppen können. Ich ignoriere sowas, aber am Donnerstag abend schwoll mein rechter Fuß dermaßen an und die Ferse unterlief sich so dunkel mit Blut, daß aus Löwinnensicht ein Arztgang unumgänglich war; außerdem steht Elefantiasis zwar Elefanten, Ottern und Tigern aber nicht.

Welch eine Arbeits-, welche Dschungelferne! Gelesen habe ich viel, das schon, mehr als sonst, kann ich sagen. Aber ich kam nicht mehr ins Netz, Beiträge ließen sich nicht einstellen. Meine Administratoren, denen ich hier sehr danke, rotierten; ich selbst sah ins Licht. Neben mir fläzte sich, bereits im Cortile Amelias, ein träges Insch’allah und sah mir beim InsLichtSehen zu. Kurz: Die Dschungel interessierte mich nicht, berührte mich nicht mal. Schon las ich auch meine Emails nicht mehr, geschweige, daß ich welche geschrieben hätte. Wenn man das erste Mal im Leben eine lebendige Muräne sieht, anderthalb Meter lang, fünf Meter unter einem, da schlängelt sie sich vom Sand in die Steine, gibt das den Leidenschaften des Netzes eine ziemlich sichre Relativität; wenn man zudem die erste Urlaubsliebe seines Sohnes erlebt, dabeisein darf, zuschauen darf, der Zehnjährige und die junge Frau von Einundzwanzig/Zweiundzwanzig, permanent verschlungen die beiden, nicht zu trennen die beiden… eine süße Vergeblichkeit ist daran, die dem Gefühl aber die Hand zur Räuberleiter hält, so daß das Herz auf dem Herzen liegt… zumal, es war eine schöne Frau, doch fast noch ein Mädchen, die beiden einander so klug vom Schicksal bereitet… rein noch…7 Uhr:
Ah, der Bub erwacht. Ich bereite ihm eben den Morgenkakao. Es ist sein erster Tag in der sechsten Klasse, Treffen um acht Uhr am großen Stein auf dem Schulhof; ein neues Klassenzimmer, ein neuer Stundenplan, nachmittags sein Cello wieder und Musiktheorie; da auf ihn wieder so zugegriffen wird, werd jetzt auch ich auf mich zugreifen lassen. Die Fahnen für „Azreds Buch”, das spätestens in einem Monat da sein soll, korrigierte ich im ICE. Auf dem Bahnsteig erreichte mich ein Anruf meiner WDR-Redakteurin: Sie habe einen Anschlag auf mich:: ob ich… wohl… bis Mittwoch nachmittag… 400 Seiten… nein nein, ich müsse nichts schreiben, sondern wir würden uns über das Buch unterhalten, von Hauptstadtstudio Berlin zu Sendestudio Köln… >>>> Philip K. Dick, „Voices from the Street”, in der, wie ich bereits jetzt finde, deutschsprachig sehr schönen Übersetzung Jürgen Bürgers und Kathrin Bielfeldts.

7.48 Uhr:
[Fabrizio de André in Concerto.]
Danilo, >>>> im Cortile, schenkte mir die CD. Ungewöhnliche, jedenfalls für mich ungewöhnliche, Musik heute früh in der Arbeitswohnung: durchgehende und insofern fade Beats. Und dennoch. Außerdem macht es einen, wenn man reist, tolerant, vielleicht sogar besonders sich selbst gegenüber. Jedenfalls ist mein Junge jetzt losgezogen, und ich lasse die Musik weiterlaufen.
Normalisierung.
Das heißt: Bis Mittwoch mittag den Dick lesen, Notizen fürs Gespräch machen. Dann sofort an meinen Niebelschütz-Text für >>>> Volltext. Danach an die Besprechung der Hörstücke Bernd Leukerts für die FAZ; danach erneut an >>>> Die Fenster von Sainte Chapelle. Ganz gut so jetzt mit dem Abstand. Das Buch soll Anfang Dezember da sein, n a c h Azreds Buch Ende September/Anfang Oktober. Dann die Kleine Theorie des Literarischen Bloggens für >>> etk-books. Dann das Kinderbuch für >>>> Baumhaus; Abgabetermin ist Mitte Januar. Und endlich, endlich, wenn ich allesdas „im Kasten” habe..-: A r g o. A n d e r s w e l t. Allerdings wird sich in die Arbeit daran die Korrektur der >>>> Bamberger Elegien schieben, die im Frühjahr bei >>>> Elfenbein erscheinen sollen. Daß ich nichts zu tun hätte, kann man nur mit grobem Unrecht sagen. Und Mitte Oktober geht der Heidelberger Lehrauftrag wieder los; in meiner Post fand ich die Bestätigung.

[Berio, Laborintus I.]

Zweiter Latte macchiato. Morgencigarillo. Auch mit dem Tod ist nun wieder zu reden, denn mitten im Leben sind wir, >>>> Notker I, vom Undsoweiter – Media vita in morte sumus – umfangen. Wobei mir der Gedanke kommt, mein spontan – kaum bin ich zurück – hochdrängender Sexismus hänge damit zusammen, es sei mir hierzulande zu wenig Hitze, um sie nicht innerlich herstelln zu müssen; das ist der pure Selbstschutz. In Afrika wäre ich wahrscheinlich so sehr viel ruhiger, wie ich’s ja auch in Italien war. Aber kaum fallen diese deutschen Regentropfen auf mich drauf, hebt sich das Geschlecht: das scheint wirklich ein reiner Akt der Selbstverteidigung zu sein. So, wie ich auch kaum rauche, sowie ich mich kräftig bewege.

Ans Werk. Wenn auch an ein andres: das eines andren. Lesen, lesen und lesen.
Bleiben Sie mir, Leserinnen, gewogen.10.32 Uhr:
So wird der Tag denn doch kompliziert: In der ersten Pause rüber auf den Schulhof, weil es den neuen Stundenplan gab und ich nicht wußte, zu wann das Mittagessen bereitet sein muß. Jetzt hast Du, Bursch’ (Deiner Anna wegen werde ich nun nie mehr „Bub” schreiben, es wäre unangemessen), bis halb drei Unterricht, aber um halb drei beginnt auch die Cellostunde… also zu Deiner Mama radeln mittags, das Instrument herholen, um halb drei bei Dir damit vor der Schule stehen…. immerhin sind es mit dem Rad nur fünf Minuten zur Cellolehrerin… und wir essen halt danach. Ansonsten wird gelesen; abends möchte ich zu U. und darauf in die Bar. Wobei, die Dotteressa meldete sich; sie ist in Österreich, sehr seltsam, das alles, weil ja auch meines Burschen A…., und selbst die Löwin muß wieder nach Wien. Seit meiner Trennung bestehen die Bewohner der Welt aus Reisenden; Vergil sei, erzählte die Dottoressa, derzeit in New York, aber >>>> Ayana habe sehr nach mir gefragt (nicht ohne s e h r süffigen Unterton war diese Bemerkung… wozu mir dann wieder >>>> Olga einfällt, die auch noch auf meinem Jagdzettel steht: plötzlich, Leserin, kommt alles zurück! -). Indes schreibt >>>> Dick über Hadleys hochschwangere Frau, sie sei ohne Berufsleben auf Gemüseniveau gesunken; ich zitiere das Weitere wörtlich: Sie war eingetopft worden und hatte Wurzeln geschlagen. Ich meinerseits habe eine andere Sicht auf die Fortpflanzungsdinge. Außerdem sah ich gestern meine Zwillingskindlein wieder; das Mädchen habe im Küchenschrank meine blaue Tasse entdeckt, sie hergenommen, sich auf den Boden gesetzt und gar nicht mehr zu weinen aufgehört. Was sollte ich tun? So verbrachten wir gestern den Nachmittag miteinander. Ich muß lernen, daß es den Schnitt nicht gibt, nicht ohne daß man inhuman würde; aber so war eben auch der Schmerz wieder da. „Du wirst ihr Papa immer bleiben”, sprach mir J. in die Seele, in der Bad Schwalbacher Villa. Ich sagte: „Aber ich habe doch gar kein Recht.” „Geht es um Sie”, fragte J.s Mutter dagegen, „oder um das Glück der Kleinen?” Das Zwillingsbüblein weinte, als ich wieder ging. Imgrunde bin ich ratlos. K l a r wolln wir sein, aber das Leben – mischt.Weiterlesen.

3 thoughts on “Arbeitsjournal. Montag, der 23. August 2010. Nach der Rückkehr. Das Leben mischt.

    1. @Aléa Torik. So ein bißchen Strenge tut mir, da hast Du recht, ganz gut: die “Pause” hat mich aus der Dschungel an ein Meer geschickt, das mir dann viel besser gefiel. Weh aber dem, der Dschungel birgt: sie überwächst ihn wieder d o c h.

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