Nunmehr Wolf v. Niebelschütz. Und über die Unlust, mich kontrollierbar zu machen. Lebensarbeits-Irrung- und-wirren. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 26. August 2010. Was alles wieder beginnt. Von denen Büchern auf dem IPhone zudem. Sodann Barbadoro: Von denen Gespenstern und den Sovjets.

Genau kann ich gar nicht sagen, was mich derzeit Der Dschungel etwas müde macht: die Reise, die immer noch in mir weiterwirkt, ihr gelassenes, lässiges Insch’allah? oder der Arbeitswust, der minütlich seine Fingerknöchel auf meinem Schreibtisch pöcheln läßt? vielleicht auch die doch stärker, als ich meinte, in mir nachwirkende Machtlosigkeit, >>>> als sich Beiträge nicht mehr einstellen ließen? ich aber nicht bereit war, für sie zu kämpfen, weil ich mit >>>> Barral dabeiwar, eine Dynastie zu gründen. Man nahm mir die Verfügungsgewalt aus der Hand, was mich aus dem Rhythmus der täglichen Selbstdarstellung warf, einer Darstellung, die sich über die Nähe von Selbst und Werk legitimiert oder doch legitimieren sollte: als Protokoll einer möglichst unabreißbaren Produktivität. Der schlug jemand auf die Hand, wie seinerzeit, als mich der Scirocco auf Stromboli festhielt; anders als damals aber tobte ich diesmal n i c h t, sondern zuckte die Achseln und sah zurück ins Buch, sah übers Tal von Amelia aus, besuchte – Pasolini hieß der Johannes – Christi Taufe und taufte mich selber im Meer. Wobei, Leserin, tatsächlich übertrat ich ein Verbot, das ich mir als junger Mann gesetzt: denn für eine Freundin legte ich in S. Ignazio zu Rom drei Finger in das Weihwasserbecken, nachdem mein Junge und ich ihr je eine Kerze entzündet, legte sie hinein und – Seltsam! „Wann ist das gewesen?” fragte abends der Freund: „Um welche Uhrzeit genau? Weißt du das noch?” Die Geschichte mögen Sie sich selbst, meine Freundin, weitererzählen… Jedenfalls: es geschah. – Oder lag es an den Sternschnuppen über Giglio, Hunderten, zu viele jedenfalls, als daß man für eine jede Wünsche hätte hegen können? Lag es an dem Ohr, das ich e i n m a l nur, und nur flüchtig, nahm (und sagte, oder dachte es, ich nähme mir, immer, was ich begehrte)? Denn es war ja doch so, daß i c h nicht gemeint war, sondern der, den ich liebe wie niemanden sonst. Lag es an den Verwundungen, die Die Dschungel den mir Nahen immer wieder bereitet haben, die Radikalität des gezeigten Privaten, wenn es auch das einer Kunstfigur ist? der Kunstfigur „ich”, die Sie, meine Leser, sich selbst projezieren und nicht Ihnen ich? Was will ich Ihnen sagen? Frauen… ach, was rede ich lang –
Jedenfalls bin ich aus dem täglichen Rhythmus geworfen, der auch ein Zwang ist, und jetzt, hinausgeworfen, merke ich: ein wie großer! Kein Blick auf die Uhr, morgens, in dem Bestreben, früh genug am Netz zu sein, um Ihnen Ihre Kost zu geben, die Sie begeistert oder nervt, verärgert oder erfüllt. Egal die Zugriffszahlen, die nur ständige konsequente Arbeit erlangt, sofern sie nicht rein bestätigend ist: wer seinen Lesern nach dem Maul spricht, muß sich um Freunde nicht sorgen. D a, Leserin, sind mir Feinde immer schon sehr viel lieber gewesen. Aber ich hatte es doch bereits in der Hand, g e g e n die Meinung der Leser diese Leser zu haben… – Das laß ich jetzt schleifen?

Ja. Jetzt laß ich das schleifen.

Na und? „Die Wirklichkeit selbst ist es nicht, was auf Dauer literaturfähig wäre, sondern das hinter ihr Webende, Irrationale, Überwirkliche, und dieses kann freilich von solchem Kaliber sein, daß einer, der die Witterung dafür hat, es an sich raffen wird, als wäre es das Leben persönlich in letzter, unheimlicher Verdichtung” (Wolf v. Niebelschütz). Reden wir von Zugriffszahlen? „Das eigentliche Poetische eines Dichterwerkes, der wirkliche Gehalt, wird zunächst niemals verstanden. Verstanden wird nur das, woran nichts zu verstehen ist. Das Höhere, das Wesentliche, bleibt unerkannt, ausnahmslos. Von ganz Wenigen, die dem Dichterischen nahestehen, geht das Verständnis aus und braucht Dezennien, um sich zu verbreiten” (Hugo v. Hofmannsthal an Richard Strauss).
Damit das auch so bleibt, haben M. und ich vorgestern nacht, bis Viertel vor vier, mein Ifönchen gecrackt… na gut, wir haben’s versucht, dann gab’s einen Zusammenbruch, alles war neu zu installieren, das ganz neue Betriebssystem, das sich derzeit cracken nicht läßt, aber nebenbei, wie aus einem Fluß geschwemmt, fanden wir eine Möglichkeit, genau das zu tun, was mir vorgeschwebt hatte – und jetzt tanze ich allein auf dem Spielbein zwischen Apple und Windows hin und her, es ist die reinste Freude… vor allem, weil das Folgen hatte… solche etwa, daß ich mir jederzeit ein E-Book herstellen und aufs Mobilchen hinauf- und wieder hinabladen kann… und dann sitze ich in der Bar und lese, sogar die Seiten blättern sich um, Notizen lassen sich schreiben, Textpassagen lassen sich markieren und als markierte auf den Laptop holen… aus Eitelkeit und Spiellust trage ich nun >>>> Meere und >>>> die Vergana ständig mit mir herum, und wo immer ich stehe und liege und Lust dazu hab, les ich meine Niebelschütz-Notizen durch. Denn daran bin ich jetzt gegangen, nachdem gestern das Rundfunkgespräch über Philip K. Dick sehr angenehm lief; am Sonntag mittag wird es ausgestrahlt werden: den Link finden Sie unter „Ereignisse” rechts.Niebelschütz also, was für mich auch eine Rückkehr bedeutet. Zwei volle Seiten für >>>> Volltext, abzugeben am 14. September. Daneben nahm ich heute früh >>>> Die Fenster von Sainte Chapelle wieder vor, und sofort war da ein Einfall, auf den ich ohne den Abstand gar nicht gekommen wäre. Das wird nun ein wahrer Hybrid von Erzählung, wird eine Novelle wieder werden, weil sie die Arbeit an Der Dschungel, also auch deren Privates, in die Gestaltung eines poetisch Objektiven hebt. Zwar hat Niebelschütz recht, wenn er schreibt: „Überhaupt sollte uns ein Gefühl des Anstandes verbieten, in der privaten Sphäre unserer Großen mehr herumzuspüren, als zur Erkenntnis des Werkes unbedingt notwendig ist. Diese Indezenz fördert nichts Wesentliches zutage, sie dient nur dazu, das Ungewöhnliche fragwürdig zu machen, indem sie versucht, es auf die Stufe des Gewöhnlichen herabzuziehen – vielleicht, um sagen zu können: seht, er ist auch nur ein Bürger gewesen.” Jaja, das ist recht wahr. Und dennoch liegt darin eine Entwertung des Privaten, eines Poetischen an dem Privaten, die der Sorge Rilkes entspricht, sich auf eine Psychoanalyse einzulassen, – seine Sorge sagte: nachher kann ich nicht mehr schreiben… Ein Fehlschluß, glaube ich. Wir müssen von der Erde ausgehen. Sind wir ihr wirklich nah, dann kommt der Himmel von selbst. Die Erde ist Organ, eine ihrer Leistungen ist das Gehirn: und d i e s e s schafft die Himmel. Herr v. Niebelschütz, darüber hätte ich gerne mit Ihnen gesprochen, denn Sie selbst, „unparteiisch gegenüber seinen Figuren”, wie Sie schrieben, vertraten es. Denken Sie an Maitagorry…

Gut, liebe Freundin, es wurde also fast vier Uhr nachts, als M. und ich uns trennten. So daß ich verschlief. Was in Ordnung war. So daß ich den gestrigen Tag dann mit meinen E-Book-Spielereien verbrachte, die mir jetzt seltsam schon am Herzen sind: es ist, vielleicht, eine Nähe durch Entfernung, was mir, ein Buch auf einem kleinen Screen zu lesen, derart genußreich macht, daß ich gestern nacht, bereits wieder in der Bar und auf den Profi wartend, fast ärgerlich wurde, als mich jemand in ein Gespräch verwickelte, obwohl ich doch einfach nur lesen mochte, weiterlesen – übrigens „von früher”, Hermann Melville und die Templer im seinerzeit modernen London. Wie da jede Tür knarrt, die man öffnet! Wie man das h ö r t! Schließlich, zurückgekehrt, ganz müde die Löwin am Telefon, müde aber auch ich, von der Vornacht. Und eine Russin, von der zu erzählen wäre, der Profi brachte sie mit. „Wenn du willst”, sagte er. Aber sie kennt, wie sich herausstellte, die Dottoressa. Besser also, ich fragte nicht nach. Statt dessen stimmte ich ein Lob auf die Zeit an: als Gott sie schuf, sagt ein indisches Sprichwort, hat er genug davon gemacht. Sie dagegen hielt dagegen: „Eine Frau macht es glücklich, Schuhe zu kaufen.” Ich gestehe, daß mir solche Sätze gefallen. Das liegt an der Nähe von Füßen und Erde, >>>> selbst wenn jene bereits ihr enthoben sind.Ich möchte in meine Lektüre zurück. Um halb zwei wird mein Junge zum Mittagessen hiersein, er übernachtet heute auch hier. Vielleicht gehe ich nachts dennoch zu >>>> Rainer Weiss in den Grünen Salon; er, mein Bub, habe gar nichts dagegen: „Schlafen kann ich schon allein, und du kommst ja dann wieder.”

In der Dämmerung ging er, sich in die
süße Glut Roanas zu senken.

Niebelschütz, Die Kinder der Finsternis.

17.34 Uhr:
Benommen, wirklich benommen bin ich, nachdem mich bereits ein anderthalbstündiger Mittagsschlaf noch nach dem Schlafen benebelt, aus >>>> Niebelschützens „Barbadoro” erwacht. Der, wie ich sie immer nach Lektüre eines Buches auf den Schmutztitel schreibe, Eintragung „A. & Do, 26.12.1990” entnehme ich, daß ich die kleine Novelle zuletzt oder überhaupt nur vor einundzwanzig Jahren las, und wahrscheinlich las ich sie Do vor; seltsam daran ist, wie wenig mir davon blieb… während jetzt mein ganzes Arbeitszimmer erfüllt von den Gestalten ist. Vielleicht, daß man für Bücher ein Alter braucht, und bei diesem: Begegnungen mit Sterbenden, mit Toten, aber solchen, die lächeln, bevor sie gehen, oder die erfaßt haben doch. Seltsam seltsam. Der Löwin erzählte ich von der Melancholie, die mich derzeit immer wieder berührt: jaja, mit zwei Fingern, schon auch kommt es vor, daß sie mich knufft oder anstößt wie jmanden, der mal ein Stückchen weiterrücken soll. Das hat etwas höchst Persönliches.
Mein Junge ist bei seiner Freundin, die zur Entoperierung ihres Wurmfortsätzels ins Krankenhaus kam; gegen 18 Uhr wird er für Cello und Hausaufgaben zurücksein. So versprach er’s jedenfalls. Ich trage Hemd und Krawatte für mich allein, aber der Junge fand’s schick, weil ich dazu nur Flipflops an den Füßen… d i e noch sind mitten im Sommer, während der übrige Leib sich auf den Herbst herzurichten beginnt, welcher gestern bereits, in Gestalt verschiedenher blasender Winde, durch Berlin gespukt war, indes er heute einen Nach- und eigentlichen Vor-Schlag gab: es goß come dio la manda, und es ist kühl, siebzehn Grad! Leute: wir haben A u g u s t! „Man darf das ja eigentlich nicht sagen”, sagte die Löwin, beharrend im Sagen, „aber deine Stimmung… und meine… ist das nicht a u c h – Wetterfühligkeit?” Als gehörten wir, setzt’ sie hinzu, schon zu den Alten. Ich aber dachte: Abendland. Dieser Begriff sei, schreibt Niebelschützens Witwe in ihrem Nachwort, „selbst in gebildeten Kreisen ängstlich vermieden” worden, denn die Dinge als Ware, so nun ich, hatten gesiegt, und zu den Dingen gehören die Menschen. „Es gibt keine perfidere Art”, schreibt Nietzsche, „einer Sache zu schaden, als sie absichtlich mit fehlerhaften Gründen zu verteidigen.” Wenn man das Hitler-Grauen s o liest, wird einem gleich n o c h einmal schlecht. Da ändert sich das Geschichtsbild, da bekommt man, doch hilflos, die Wut. Aber auch Hoffnung: wer „Barbadoro” liest und versteht.

5 thoughts on “Nunmehr Wolf v. Niebelschütz. Und über die Unlust, mich kontrollierbar zu machen. Lebensarbeits-Irrung- und-wirren. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 26. August 2010. Was alles wieder beginnt. Von denen Büchern auf dem IPhone zudem. Sodann Barbadoro: Von denen Gespenstern und den Sovjets.

    1. Alban, das ist es ja. Niemals ist man ganz frei von dem Schuh, der einem verkauft wird. Kein Wunder dass es einem nach einem “Bestimmten” verlangt. Subkutane Injektionen sind das. Es schwert hinein! Körper und Seele. Ich schrieb ja auch,
      dass es etwas Luftverhaftetes hat. Das bedeutet für mich barfuß sein. Weil wir zwischen Extremen schwappen. Entscheidungen kann man schließlich auch nicht so treffen, dass sie etwas scheiden. Wir sind immer mehrdeutig, wie Worte.
      Und stellt sich erst einmal eine Sensibilität für Worte ein, ist es noch verwirrender weil es derart viele Leserichtungen gibt. Das Chaos nimmt zu. Und mein Kopf ist ohnehin immer Chaos. Aber auch das Chaos hat eine “Ordnung”, es holt etwas herauf. Und ich möchte nicht dass es Undine LaMotte schlecht geht. Für mich hat diese Undine von Anfang an keinen Fischschwanz. Deshalb lese ich in solchen Kontexten nichts über Geschlechterkampfhistorien. Das verwirrt mich. Ich versuche es immer erst über das Gefühl zu beschreiben. Deswegen sind die Aliceromane schon fast biblisch für mich! Das ist kein Flitter, für mich ist dieses Chaos wirklich verständlicher!

      Ach, und vergiss den Warteschleifentext! Der liest sich zwar so als wäre er in diesem Verlauf entstanden. Aber den schrieb ich schon vor ein paar Wochen. In meinem Kopf ist es schon eine ganze Erzählung, die ich hier in der Dschungel weiter entwickeln wollte, über die Undinentragik, die du aufgeworfen hast! Der beginnt einfach mit trashigen Klischees, die ich ein bischen verräumen wollte. Über Klischees an sich könnte man schon einen ganzen Abriss schreiben. Und das imgrunde hatte ich vor. Ich kenne Betty auch nicht.

      Und was sind schon Phalli! Ich sehe dahinter immer den Menschen in seiner barfüßigen Verwirrung. Wir sind alle Acteon, auch Hans.

      Ich will hier auch niemanden etwas vorwerfen und ausgestellt komme ich mir auch nicht vor! Schon gar nicht will ich mich als Opfer darstellen, ich weiß nicht was Eisenhans da geritten hat! Ich las Ihn natürlich als Figur. Und was ist mit Leander? Ich werde mich selber bei ihm melden. Ich habe keine Ahnung was da im Hintergrund passiert ist! Ich habe das alles auf mich wirken lassen. Keine Ahnung wer was schreibt. Ich verstehe read An als ein: Lies mich, du darfst!, kein Auslesen, keine Projektionsfläche. Ich hoffe Leander geht es gut! Und dir! Und allen anderen auch!

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