Lese- und Sporttag. Ricarda-Junge-Hörstück (1). Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 27. Mai 2011. Und brasilianisches Portugiesisch.

9.11 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Eine feine >>>> Lesung war das gestern abend; wieder mal ein kleiner, aber sehr aufmerksamer Kreis, der Kaminraum wirkte gefüllt, der Vortragssaal des Literaturhauses wäre hingegen zu groß gewesen. Zudem tat die relative Verschattetheit des kleineren Raumes der Konzentration gut. Der Applaus stand ziemlich lange; ich sollte eine Zugabe geben. Was ich >>>> mit zwei Gedichten tat. Mein >>>> Verleger war da, Ricarda Junge war da und hatte ihr erstes Buch mitgebracht; mein eigenes Exemplar ist mir aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen abhanden gekommen. „Das sollte man grundsätzlich tun”, spottete sie am hochgeedelten Nachtbrotstisch des Cafés im Literaturhaus, „eigene Bücher mitbringen und auf den Tisch legen, wenn ein Kollege gelesen hat.” „Am besten, sie mit auf den Büchertisch schmuggeln”, ergänzte ich. Uneins waren wir nur über Nürnberger Rostbratwürstchen, die sich zur Haute Cuisine blähen: preislich betrachtet. Sie, Frau Junge, war dafür, ich war dagegen. Wir sollten uns streiten, schlug >>>> Schlinkert vor, nämlich lauter. „Das käm ziemlich gut, wenn ihr hier einen richtigen Krach schlagen würdet.”
Der Vorschlag erwies sich als gefährlich, weil er, Schlinkert, statt der weißen Parlamentärsfahne nur einen blauen Schal an sich hatte; plötzlich war der Sekundant Duellierender selbst. Zur zynischen Freude, muß man sagen, des Profis, der deutlich von Libyen gezeichnet war; seiner Begleiterin fehlte nur noch die Burka. Ich beharrte auf meinem Eßstreik, mußte aber trotzdem ein Essen bezahlen, weil sich Frau Junge ganz wider ihre Überzeugung, ja Lust, dem Eßstreik anschließen wollte: jetzt habe sie keinen Appetit mehr, wenn ich ihr die Rostbratwürstchen so vermieste, die ihr doch heimatlich Wiesbaden seien; also bestellte die Würstchen nun ich und ließ sie sie essen. Da das nun ein chevaleresker Akt war, für den sich das Herumgenörgel an Preisen verbot, knirschte ich nicht weiter. Auch wenn ich es nach wie vor für eine ignorante Unerträglichkeit halte, daß das Café eines Künstlerhauses sich für Höhere Gesellschaften von Leuten alimentieren läßt, die oft nicht wissen, wie die Miete bezahlen. „Ich gehe zu meinem Araber nachher und esse besser für zweizwanzig als für dreiunddreißig hier”, kommentierte ich allerdings noch. Und zahlte dreiunddreißig. Mein Problem ist schon immer gewesen: man sieht mir die Geldnot nie an. Wobei mein Problem auch mein Stolz darauf ist.
In der Zwischenzeit knüddelte Schlinkert seinen Schal immer an und um und wieder aus. Schließlich steckte er ihn weg. Holte ihn aber wieder hervor und nestelte rum, derweil ich ziemlich angesext von >>>> Ré Soupault war, die mich allezeit angeschaut hat. Ich sag Ihnen! alleine diese Achselhöhle! – – nahm mir den Verstand – Wie gut, daß ich mein gurgelndes Testosteron vermittels meiner Beine und Füße in die Pedalen meines Fahrrades ableiten konnte; der Heimweg von Charlottenburg auf den Prenzlauer Berg hätte wahrlich nicht kürzer sein dürfen. Dennoch rief ich nachts noch in Wien an, um der Löwin Rapport zu erstatten (nun ist zwar Frau Soupault nicht mehr wirklich am Leben, dennoch schwieg ich der Löwin von ihr; wirkliche Frauen haben eine Art, auch Tote wegzubeißen, daß man sich vorsehen muß, um sich nicht zu versehren).

Ich guckte noch einen Film und verschlief.

Nun also ein Lesetag, ein erster. Ich will Junges Bücher alle noch einmal ganz lesen, bevor ich mich an das Typoskript für das Hörstück setze. Meine Planung: zwischen dem 14. und dem 18.6. die O-Ton- und Interviewaufnahmen; vom 20. bis 23. die Sprecheraufnahmen und vom 24. bis zum 29. die Produktion; Vorlage bei der Redakteurin am 31.6.; eventuelle Korrekturen am 1. Juli. Am 3. Juli wird die Sendung bereits ausgestrahlt.

Außerdem ist heute etwas Post zu erledigen. Dann will ich den Mitschnitt von gestern abend übertragen und durchhören und eventuell ein bißchen modifizieren. Vielleicht hab ich schon in Kiel, am 31., dann paar CDs dabei, sowie in Potsdam tags darauf.

Ich werd den blöden Husten >>>> aus der Biskaya nicht los. Weil ich immer mal wieder eine Zigarette rauche. Das muß aufhören. Schon deshalb, nicht nur wegen der >>>> kreuzfahrtsweise angefutterten zwei Pfunde, nehme ich am Mittag mein Training wieder auf, und zwar, bevor ich heute überhaupt etwas esse. Sò, guten Tag.

11.43 Uhr:
Ich l i e b e das Netz! >>>> Markus A. Hediger meldet sich über den Chat aus Rio de Janeiro; er wolle einige meiner Erzählungen ins Portugiesische übertragen. Seinerzeit hatte er schon an der umstrittenen >>>> Vergana gesessen. Ob ich ihm die Bücher als Text-Dateien schicken könne. Was ich sofort getan habe. Wir plauderten transkontinental. Wie schon bei der Vierten Elegie >>>> Prunier und >>>> Zazie, wird nun auch er in Die Dschungel ÜbersetzungsSkizzen immer mal wieder einstellen. Mir gefällt das deshalb sehr gut, weil es möglicherweise die Übersetzerdiskussionen weitertreibt, die ich in Der Dschungel gern ausgebaut sähe.

Jetzt aber los zum Sport. Vorher noch kurz die Löwin zu erreichen versuchen, die, diesmal leider ohne mich, nachmittags in die Serengeti abreist. Ich wäre gerne mitgekommen, aber ich schaffe das arbeitshalber nicht, da kann ich mich drehen und winden, wie ich nur will.

16 thoughts on “Lese- und Sporttag. Ricarda-Junge-Hörstück (1). Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 27. Mai 2011. Und brasilianisches Portugiesisch.

  1. Rostbratwürstchen in Wiesbaden? Aus welcher sich mir verbergenden Ecke von Wiesbaden kommt Frau Junge denn, wenn derartige Heimatgefühle möglich sind. Ich kann es mir schier nicht vorstellen. Fragen Sie doch bitte mal für mich. Vielleicht aus einer der Kasernen vor Abzug der Amerikaner?

    1. @PHG. Was ich oben etwas spöttisch um-erzählte, bezog sich eigentlich auf das Interieur des Literaturhaus-Cafés. Aber weil Frau Junge dann unbedingt die Rostbratwürstchen essen wollte, meine ich, daß meine Pötisierung erlaubt ist, ja sogar mehr als das: g e r a t e n.

  2. Rezensionen ANH & PHG

    Wa ist eigentlich aus den beiden beabsichtigten Rezensionen geworden ( Calvinos Hotel und Bamberger Elegien)? Sollte ich etwas verpasst haben?

    1. @Cellofreund. Ich geriet wegen der Kreuzfahrt in Verzug und konnte den Termin nicht einhalten. Nun wird die Rezension in der darauffolgenden Ausgabe erscheinen, bzw. – darüber hab ich schon mit dem Verlag gesprochen – sinnvollerweise in der Buchmessen-Ausgabe. Fest steht bisher nur, daß ich die Rezension schreiben werde.
      Ich muß mich aber erst einmal um das neue Hörstück kümmern; die Zeit ist sehr kurz, da die Sendung bereits am 3. Juli ausgestrahlt werden soll, von dem Stück aber noch überhaupt nichts, absolut nichts, vorliegt und ich zudem im Juni noch auswärts vier Lesungen, bzw. ein Seminar in Heidelberg mitzugestalten habe. Also werde ich die Rezension Anfang Juli schreiben. Vom 15. Juli an bin ich mit meinem Junior drei Wochen in Italien; im August muß ich das zweite Kinderbuch schreiben, das laut Vertrag im September abzugeben ist.

  3. @cellofreund et altri
    Alles sehr unübersichtlich, will sagen, meine Besprechung steht auch noch aus. Nun hatte ich eh dafür keinen festen Termin. Umgekehrt war/ist es sogar so, dass ich eine lange Liste von Büchern abzuarbeiten hatte/habe, zu denen Denis Johnson, Klaus Modick, Jonatham Lethem und jetzt zuletzt Schütts Max Frisch Bio gehörten. >>>> http://www.glanzundelend.de/Artikel/abc/s/schuett_frisch.htm
    Eingeschoben hatte ich eine Besprechung von Einar Schleefs Buch für den Elfenbein Verlag. Und aussteht noch immer der Erzählband des letzten Leipziger Buchpreisträgers, auf den der Redakteur wartet. Das ist die Situation, in der ich nach Naumburg gegangen bin, um im Nietzsche Dokumentationszentrum zu recherchieren und für meinen neuen Roman “Die Konzessionen des Herzens” zu arbeiten. Das tue ich nun seit zwei Wochen, habe mich dabei bis über sämtliche Ohren in Musik vergraben, was auch noch weitergehen wird, da ich mir eine Hospitation in der Oper besorgt habe und nun – kurz und ungut für die Elegien – an ganz anderen Dingen kaue. Allerdings sind die Elegien in meiner mitgeführten Handbibliothek, was auch heißt, dass sie mir im Unterbewusstsein nicht von der Seite weichen. Und als ich letztes Wochenende bei Wieland in Oßmannstedt war, da habe ich sie sogar in der Jackentasche mit mir herum getragen, da wo sonst nur mein Notizbuch steckt. PS: Lieber ANH, steuern Sie die einzugebenden Codewörter am Ende des Eintrages? Von mir wird gerade verlangt, dass ich das Wort ‘Reue’ eingebe!

    1. So ist es richtig, wenn der “Betrieb” schweigt, spielt man selbst “Betrieb”. Über die Bande gespielt: die Gehilfen und der Geselle als betriebsames Netzwerk, das aller Benachteiligung trotzt.

    2. Aber das ist doch nur konsequent, Henze.
      Auch der “Betrieb” funktioniert nur über eingefahrene Netzwerke; über Bande, über Geselle, Gehilfe und Gewogensein. Letztlich folgt eben alles nur gewissen Gesetzmäßigkeiten. Wäre das hier anders, wäre es genial. Ist es aber nicht.

    3. Schade eigentlich, Ihr Kommentar.

      Ich wollte eigentlich nur sagen, dass das was Sie hier machen gleichberechtigt ist. Nicht schlechter als das, was der Kulturbetrieb will und beachtet. Genauso so interessant, vielleicht im Sinne des allgemeinen Kulturbetriebs irgendwie anders, aber immerhin so interessant, das ich hier gern lese (Aber wer bin ich schon?)
      Sie tun sich keinen Gefallen damit, ständig die Anerkennung des Apparats, der Allgemeinheit heraufzuhoffen: Sie sind nicht schlechter. Aber auch nicht besser. Der Apparat weiss natürlich überhaupt nichts. Ist ja nichts Neues. Alles Leute, die übers Singen schreiben, aber selbst nicht singen können. Sublimation. Ableitung. Intellektualisierung. (Wenn Freud denn überhaupt stimmt.)
      Wie auch immer. Machen Sie weiter Ihr Ding! Halten Sie sich nicht ständig mit der fingierten Außenbetrachtung auf. Ist alles gut., was Sie machen. Nur wenn Sie meinen, genial sein zu müssen, stehn Sie sich nur im Weg.

    4. @Irgendwer: “meinen, sein zu müssen”: D a liegt der Sinn meine Replik, darin, daß Sie auch noch schlechtpsychologisch, eine Befindlichkeit unterstellen. Dabei sticht der hier schon öfter zitierte Dalí: Wer lange genug Genie spielt, wird eins. Das ist nicht nur hübsch als Bonmot.
      Ich nehme mal an, daß die Abwehr eines Genialen der Abwehr des Elitären entspricht und aus gutgemeinter, nämlich sozialdemokratischer Moral herrührt. Dazu gehören solche geneigten Ratschläge wie “Machen Sie weiter” – als stünde das in Frage. Was hingegen die Anerkennung des Apparates (ein g u t e r Begriff, übrigens, für das Phämonem) und der Allgemeinheit anbelangt, so geht es zum anderen schlicht und einfach um Existenzsicherung, zumal besonders kleine Verlage davon leben müssen, Bücher zu verkaufen; große Verlage hingegen können qua Mischkalkulation auch Literaturen mitvertreten, die nicht in den Mainstream passen. Zum anderen will j e d e r Künstler Anerkennung, er b r a u c h t sie, fast wie Wasser, Luft und Brot; davon bin auch ich nicht frei. Es wäre geheuchelt, das nicht zuzugeben.

  4. Zählung “Vorlage bei der Redakteurin am 31.6.”
    Die 31 und die 6 sind sicher eine Option für die Lottozahlen.
    Die 31 als Tag in Verbindung mit der 6 als Monat ist eher unmöglich.

  5. Der Abend ist in Ihrem schriftlichen Nachvollzug, lieber ANH, durchaus wiederzuerkennen, es war in der Tat eine sehr schöne Lesung, wenn auch zur Ehrenrettung meines schönen Halstuches, welches Frau Junge nicht gefiel, so daß sie versuchte, es mir madig zu machen, gesagt werden muß, daß es dort im Café zog wie Hechtsuppe, was dann aber immerhin unter Einsatz eines dreibeinigen Stuhls geändert werden konnte. Zu den Würstchen sag ich mal lieber nichts, auch wenn es nicht allein die Würstchen waren, die Frau Junge an Wiesbaden erinnerten, sondern das ganze Ambiente des Künstlerhauses in der Fasanenstraße. Wiesbaden muß echt toll sein.

    1. Mmh. Ich weiß nicht, denn was wären diese armseligen Würstchen ohne das villenartige, charlottenburger Drumherum? Andererseits funktioniert ein Lindenblütentee mit Madeleine bei Proust ja mutmaßlich auch auf dem Mond.

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