Arbeitsjournal. Mittwoch, der 22. November 2006.

5.10 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Um fünf hoch, das ist okay. Mit den anderen Stipendiaten bis kurz nach elf im Klosterbräu gesessen und den Aussprache-jour-fixe diskutiert, bei dem Konkretes noch nicht herauskam; aber das wird schon. Unser Gefühl – wie seinerzeit >>>> bei dem Fall „der falsche Jägerzaun, dessentwegen >>>> mich ein bayerischer Literaturreferent einen schlechten Schriftsteller nannte – ist überwiegend, ein Verwaltungsgegenstand zu sein, der eigentlich eher stört. Etwa ist es, aus Kostengründen, heißt es, nicht möglich, einen monatelang nicht verwendeten Flügel vom Erdgeschoß in den im ersten Stock gelegenen Vortragssaal zu transportieren. Auskunft der Direktion: das koste 500 Euro, so viel Geld habe man (für so etwas) nicht. Nun müssen Sie sich vorstellen, daß zwei der hier lebenden Komponisten dem Haus ein unentgeltliches Konzert angeboten haben, Eva Sindichakis und Stuart McKay wollten zu Zschorschs Ausstellungseröffnung vierhändig Schubert spielen, honorarfrei. Zum einen frage ich mich, ob der Klaviertransport über eine einzige Etage tatsächlich so teuer sein muß; vielleicht kann mir jemand unter Ihnen da Angaben machen, gern auch hier in Der Dschungel als Kommentar; zum anderen, selbst wenn, dann muß so etwas in einem zumal Internationalen Künstlerhaus doch wohl möglich sein, gerade zu solchem Anlaß… Und dann all die Kleinigkeiten, die einem aufstoßen; daß etwa den Künstlern die Türdrückanlage abgeknipst wird, „weil Sie sonst fremde Leute ins Haus lassen“; so muß man, kommt Besuch (oder rennt das Kind, was sein Recht ist, alle fünf Minuten raus und rein), je 150 Meter zur Eingangstür hin- und wieder zurückgehen; was, wenn einer arbeitet, eine ziemliche Störung sein kann und das auch ist. Hier ist jemand in niederer Position angestellt, der so tut, als wäre er in hoher, und der nun sagte durchaus schon mal zu einem Künstler: „Ich habe euch kastriert“, wobei er grinst. usw. Die Damen, die nachts lange arbeiten, frieren, weil ein voreingestellter Automatismus die Heizung nachts aus- oder arg hinunterstellt; kommen Bitten, die Heizung doch umzustellen, wird wochenlang verschleppt und schließlich g a r nichts getan. Der Quasi-Bruder meines Jungen hat, weil ich den Kindern eben wegen der abgeknipsten Türdrückanlage einen Schlüssel mitgab, diesen Schlüssel verloren: er tauchte unter absurden Umständen in der Regnitz unter, knapp 70 Meter vor den Turbinen, die es unmöglich machen, an dieser Stelle ins Wasser zu steigen und zu suchen. Selbstverständlich habe ich das gemeldet; nun soll ich 6000 Euro zahlen, weil die Schließanlage es erfordert hat, sämtliche Zylinder auszutauschen. Für das Haus besteht aber überhaupt keine Gefahr. Ich werde das Geld selbstverständlich n i c h t zahlen; den Prozeß möchte ich gern sehen, falls man tatsächlich einen anstrengt. Als ich fragte: „Und wenn der Schlüssel in den brodelnden Ätna gefallen wäre? Tauschten Sie dann auch aus?“ Die Antwort, ungefähr: „Ja, denn das ist Vorschrift.“ Außerdem ist hier vieles Private des Direktors und einiges der Verwaltung mit dem Privaten der Stipendiaten zusammengelegt, etwa der Briefkasten. Was dazu führt, daß wir unsere Post samstags nicht bekommen. Einer von uns, der immer Post erwartet, weil er hauptsächlich so kommuniziert, hat deshalb in den Gemeinschaftsbriefkasten hineingegriffen, sein Arm ist schmal genug, und hat die Post dann herausgenommen, seine herausgesucht und die übrige auf alle anderen Fächer verteilt. Tags drauf wurde – und über so etwas wird eben nicht gesprochen – vom hiesigen Hausmeister, den man aber nicht „Hausmeister“ nennen darf, weil ihn die Wahrheit offenbar kränkt, der Briefkastenschlitz handwerklich verengt. Hübsch ist auch die Sache mit der Waschmaschine. Im öffentlichen Waschraum stehen zwei solche Geräte, eines gehört dem Direktor (der Trockner daneben wird gemeinschaftlich, also auch von ihm, verwendet). Dieses Direktionsgerät dürfen wir nicht benutzen. Was dazu führt, daß die acht Stipendiaten sich eine Maschine teilen müssen und deshalb oft unverrichteter Dinge wieder abziehen, ist die Stipendiatenmaschine besetzt. Daneben steht aber die Direktionsmaschine und gähnt richtig munter vor sich hin. Mich kümmert das ja nicht, ich benutze die Direktionsmaschine, wenn sie als einzige frei ist, m i t. Und krieg dann halt >>>> solche Zettel (Eintrag um 6.20 Uhr) zu lesen. Ein ganz ähnliches Problem besteht mit den Gästezimmern, die eigentlich – gegen einen Kostenbetrag von 30 Euro pro Nacht – Gästen der Stipendiaten offenstehen sollen. Insbesondere das Gästezimmer, das direkt neben der Wohnung des Direktors gelegen ist, macht Probleme, da sein Vertrag vorsieht, daß er es vier Wochen monatlich selbst verwenden darf. Einmal abgesehen davon, daß das – fiskalisch gesehen – ein deutlich geldwerter Vorteil ist, ist es jedesmal ein A u f s t a n d, dieses Zimmer für eigene Gäste zu bekommen; der einzige unter uns, dem das bislang gelang, war ich. Weil meine hochschwangere Frau nachts weinend im Studio stand, weil sie wegen meiner Schnarcherei keine Ruhe fand und aus Not in den Fernsehraum abziehen wollte, um sich auf zusammengeschobene Sessel zu legen. Da bin ich in die Verwaltung gegangen am nächsten Morgen (ich hatte dann s e l b s t im Fernsehzimmer im Schlafsack geschlafen; niemals hätt ich die Geliebte sich das antun lassen!) und habe das Gästezimmer gefordert. Auch da hieß es, wie fast immer, das geht nicht, das Zimmer muß erst saubergemacht werden, wir erreichen die Putzfrau nicht usw. Ich blieb unerbittlich: „Wenn’s sein muß, putze ich selbst; aber um fünf ist das Zimmer für meine Frau bereit, und ich wünsche keine weitere Diskussion.“ Das war dann auch so. Andernfalls wär ich wohl zum ersten Mal in meinem Leben zur Bildzeitung marschiert, weil ja, wie Sie wissen, einer der erste sein muß, der es ausspricht… Allerdings soll ich nun Übernachtungskosten bezahlen, was ich ebenfalls nicht einsehe. Denn die Ausschreibung der Stipendien sieht vor, daß man auch mit Familie kommen kann und daß die Familie nicht eigens noch etwas kostet. Eine gemeinsame Unterbringung auf so engem Raum, wie die Studios hier ihn haben, ist insbesondere bei Kindern und Schwangerschaft gar nicht möglich; also soll man da locker mit den Vorschriften umgehen. Etwas mehr Handgelenk, und die Probleme wären gar nicht da.
Es ist jedenfalls all dieser kleinliche Unfug, der den Aufenthalt hier unleidlich macht, obwohl das überhaupt nicht nötig wäre; denn der Aufenthalt ist ja, an sich, wunderschön, zumal dann, wenn die Künstler untereinander gut auskommen, ja sich befreundet und Lust darauf haben, auch gemeinsam etwas zu schaffen – für das Haus. Genau so etwas soll ein Künstlerhaus eigentlich fördern. Dadurch aber, daß die zur Verfügung stehenden Gelder – etwa, so die Satzung, für Projekte der Künstler – nach alleiniger Entscheidung des Direktors mischverteilt werden können, also Geldflüsse nicht auf feste Ziele definiert sind, kann das Haus nach Gutdünken umverteilen und könnte – das ist jetzt ein Gedankenspiel, keine Tatsachenbehauptung – sogar gestiegene Heizkosten durch Projektgelder ausgleichen, die eigentlich für künstlerische Arbeiten vorgesehen sind. All dies ist völlig undurchschaubar, und um den Erhalt der Undurchschaubarkeit, so unser Eindruck, geht es ganz offenbar. Außerdem hat man es permanent mit der Berufung auf eine „Hausordnung“ zu tun, von der mein Anwalt bereits, als ich den Aufenthalt antrat, feststellte, daß sie juristisch unwirksam ist. Ich hatte das der Heimleitung auch mitgeteilt; passiert ist nix. Man pocht weiter auf die Hausordnung, als läge die juristische Expertise gar nicht vor. Und ich sag mir: Solln die doch; ich übertrete sie, wo es mir notwendig zu sein scheint. Mein Anwalt hat übrigens, was hier geschieht, >>>> Nepotismus genannt. Ob er recht hat, weiß ich nicht, aber es läßt sich ganz wunderbar in so viele Richtungen interpretieren…
Die fettste Angelegenheit verschweige ich Ihnen aber, die lösen Zschorsch und ich heute unter sechs Augen… es ist zu ungeheuerlich, um hier darüber zu schreiben, und hätte mit Gewißheit scharfe Rechtsfolgen. Auf sich beruhen lassen wir diese Katastrophe aber nicht.

Übrigens hatte ich gestern meinen ersten Bamberger Gerichtsvollzieherbesuch; der ganz freundliche, furchtbar introverierte Mann, der ein enormes Mitgefühl in mir auslöste, wollte eine Einstweilige Versicherung zwecks Offenbarung meines Vermögens von mir, also den alten Offenbarungseid, der diesen anderen witzigen Heuchelnamen bekommen hat. Ich bot dem Mann einen Kaffee an. Er lehnte ab. Ich sagte, als er sich umschaute: „Gehen Sie ruhig auf die Terrasse, es ist wunderschön hier.“ Dann bot ich ihm Ratenzahlung an. Also ist auch dieses Problem erst mal wieder aufschiebend vom Tisch. Alles ging nahezu formlos vor sich und auch sehr schnell; der Gute bestellte mich nicht mal mehr in seine Amtsräume ein. Es geht um die Forderung der Amex Bank wegen des geplatzten Kredites; 10.000 Euro; da die Bank aber mit Recht fürchtet, auf den Kosten sitzenzubleiben, falls bei mir – was ja der Fall ist – nichts zu holen sein sollte, hat sie erst einmal 500 Euro gerichtlich geltend gemacht. Es hat was Spaßiges, wenn ich mir nun vorstelle, daß das mit den 500-Euro-Margen so weitergehen wird: Je Zahlungsbefehle über 500 Euro plus Kosten, je ein halbes Jahr Ratenzahlung; dann wird die Sache wegen der Hauptforderung so ungefähr zehn Jahre in diesem Stil weitergehen; da Zinsen und weitere Kosten sich laufend hinzuaddieren, wahrscheinlich n o c h mal fünf Jahre. Mich stört’s nicht sonderlich, da ja sowieso noch der übrige, sehr viel höhere Schuldenberg teils lauert, teils schon rutscht. Wegen der Amex-Bank hatte ich ja schon >>>>> d i e s e hübsch abraxische Korrespondenz geführt. Und davor waren meine Telefonate mit der Bank völlig im Wasser zerlaufen, weil man nie jemanden zu sprechen bekam, der Ahnung hatte, geschweige hätte etwas entscheiden können; sondern immer nur geht da ein Mädel aus irgend einem Call Center ans Telefon und muß sich, worum es geht, aus dem Computer herauslesen. (Mein Vorschlag war gewesen: sehen Sie’s als mäzenatische Maßnahme für Kunst und buchen es aus – oder lassen Sie mich für die Amex Bank was Hübsches schreiben; Sie könnten auch als Sponsor für einen Roman mit auftreten, bekämen Ihr Signet ins Buch, hätten ein Kundengeschenk, und alle wären zufrieden. Nö, man will die harte Tour. Wobei „man“ eben die Mädels der Call Center sind, denen ja auch gar nichts anderes übrigbleibt.)
Übrigens könnt ich es mir leichtmachen und einen Privatkonkurs avisieren; aber, finden Sie nicht auch?, das hätte sowas Unsportliches. Irgendwie gehören diese permanenten Geldpressionen zu einem richtigen Künstlerleben dazu; sie geben mir das Gefühl, wirklich in einer gelebten Tradition zu stehen… ja, wenn ich mir mein bei alledem bislang erschienenes Werk anschau, dann werden Mahnungen Zahlungsbefehle Gerichtsvollzieher zu Wäldchen und Fluren der Heimat. (Als ich dem Profi gestern am Telefon von dem Besuch erzählte und auch, daß mir bei Begleitung des Gerichtsvollziehers die Co-Direktorin begegnete und ich ihr gleich sagte: “Schaun Sie mal, jetzt hatte ich meinen ersten Gerichtsvollzieherbesuch” – da fragte er – und wie blöd, daß ich nicht selbst darauf kam: “Hast du ihn ihr wenigstens vorgestellt? Ich meine, ihr klagt doch dauernd darüber, daß es keine Verbindung der Villa Concordia zur bambergschen Bevölkerung gibt..” Jaja, er hat recht!)

Jetzt aber will ich THETIS weiterlesen.

10.51 Uhr:
Noch nicht dazu gekommen, sondern Schriftkram wegen des ANDERSWELT-Sonderheftes erledigt, vor allem korrespondiert. Es ist erstaunlich und erfreulich, wer plötzlich Beiträge zusagt. Auch >>>> Wilhelm Kühlmann, indem er mich zugleich zu einer Lesung nach Heidelberg eingeladen hat, hat eben einen Beitrag zugesagt. Was mich ganz besonders freut. Die Aufrechten, könnte man sagen, in aufklärerisch-humanistischer Manier…

12.11 Uhr:#
… und eben rutscht eine Mail vom Deutschlandfunk herein: Ja, mein Vorschlag, über Stromboli ein Hörstück zu machen, gefalle. Dieser Auftrag also steht, und ich schlage gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Die andere ist >>>> die Dichtung für das Kunstbuch

… und >>>> Dielmann hat den ersten Satz-Entwurf für die im Frühjahr erscheinenden Liebesgedichte geschickt.

Noch immer keine weitere THETIS-Zeile gelesen; und jetzt steht’s an, daß ich das Exposé zur Post radle, eine Kleinigkeit futtre und dann meine Mittagsstunde schlafe.

2 thoughts on “Arbeitsjournal. Mittwoch, der 22. November 2006.

  1. Hausmeister “Hier ist jemand in niederer Position angestellt, der so tut, als wäre er in hoher, und der nun sagte durchaus schon mal zu einem Künstler: „Ich habe euch kastriert“, wobei er grinst. usw.” Ja, Herr Herbst, H a u s m e i s t e r kastrieren gar zu gern. Fehlt nur noch, dass Ihrer den Ziegenhainer Stock drohend schwenkt. Bisher dachte ich, das kommt nur in Internaten und Bürohäusern vor. Im Künstlerhaus nun auch, wie ich lesen konnte.

    1. Den Hausmeister in der Villa Massimo habe ich geliebt. Auch die beiden Gärtner. Man gehörte irgendwie zusammen. Es scheint sich vielleicht um ein deutsches Problem zu handeln. Andererseits macht der Hausmeister in der Schule meines Jungen einen ebenso freundlichen Eindruck. Vielleicht ist es auch eine Frage, wie eine Direktion mit ihrem Hausmeister umgeht. Ich habe normalerweise vor allen Handwerkern, die es auch sind, großen Respekt; manchmal bewundere ich ihre Fertigkeiten. Daß ich oben von “niederer Position” schrieb, ist lediglich der Reflex auf die vermeintlich “höhere”, von der aus (einige) Künstler behandelt werden.

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