Arbeitsjournal. Donnerstag, der 30. April 2009.

7.02 Uhr:
[Arbeitswohnung. Dallapicolla, Volo di Notte.]
Das war k e i n guter Zustand gestern abend, aber ich schaffte es, außer einem Talisker n i c h t s zu trinken, sondern legte mich dann „einfach“ rührlos auf die Couch unter die Decke und zitterte vor mich hin. Da klingelte es und klopfte an der Arbeitswohnungstür. Tatsächlich hatte sich Αναδυομένη, kaum daß ich sie um abzusagen angerufen hatte, sofort aufs Fahrrad geschwungen und war den Weg von Kreuzberg in fünfzehn (!) Minuten hierhergerast; jetzt saß sie einfach bei mir, legte mir eine Hand auf, so muß man das sagen, und saß weiter einfach so da bei mir. Hatte Ciabatta mitgebracht, Salume di Finocchio, San Daniele, einen Käse, getrocknete Tomaten, Wein: „das habe ich doch für heute abend für uns besorgt… und du solltest etwas essen.“ Sie habe nur Angst gehabt, daß ich sie wegschicken würde, sie hätte das auch, sagte sie, verstanden und wäre wieder weggefahren. Es tat aber gut, daß sie da war, ich lag wie >>> in der Matratzengruft; sie hat mich da herausgeholt. Auch wenn da nicht die Spur von Männlichkeit mehr in mir war.
Ich hatte damit gerechnet, daß die zwei vergangenen Tage schwer würden, mit dem Zusammenbruch gestern abend hatte ich n i c h t gerechnet. Wir wollten dann ins Kino, es gab aber nix Gescheit’s, also holten wir eine Video-DVD, einen langen epischen Film, gegen eins schlug ich uns das Vulkanlager auf und schlief an ihr ein; so wachte ich auch auf. Ich brauchte einfach Nähe, für erotische Belange war ich auch heute morgen nicht der Mann. Trauer ist etwas nicht sehr Erotisches, doch ich hatte und habe meine Distanz wieder, konnte sogar eben drüben anrufen, um dran zu erinnern, daß Du und ich am frühen Nachmittag heute beim Zahnarzt sind, daß Deine Krankenkassen-Card eingesteckt werden muß, daß Du mich bitte um vierzehn Uhr an der Schule erwarten möchtest. Gestern abend wäre das so unmöglich gewesen, wie daß ich Musik hörte – meine Art s o n s t, mit Trauer zu leben. Jetzt tut auch der Dallapicolla gut – überhaupt Neue Musik, möglichst nicht tonal.
Um zehn muß (will) ich in Charlottenburg bei meiner Cellolehrerin sein; es war jetzt ja lange kein Unterricht mehr, wegen des Bamberg-Aufenthaltes und letzte Woche >>>> wegen der Hörstück.Produktion, deretwegen ich den Unterricht abgesagt habe. Ich habe anderthalb Stunden heute deshalb; wenigstens habe ich gestern gut geübt, bin also doch vorbereitet. Wenn ich zurückkomme, bleiben anderthalb Stunden, um mich in die Arbeit wieder einzufinden: nach Beendigung eines Projektes bin ich immer etwas orientierungslos, weiß nicht, womit weitermachen. >>>> Cellini, die >>>> meinen Tagebucheintrag von gestern las, schickte eine Mail:

(…) Wenn Sie’s in Form bringen wollen, dürfen Sie es nicht in die Form gießen, weil Sie dann mit (v)erhärten. Halten Sie Zwiesprache mit einem großen Felsen oder Stein, finden Sie in dieser Zwiesprache einen/Ihren Rhythmus, und dann schlagen Sie es in diesem/Ihrem Rhythmus in den Stein. Erst die grobe, wütende Behauung… das Abspalten, der großen Stücke, des großen Schmerzes… lassen Sie das eine Weile dann so stehen, und machen Sie sich, erst dann, wenn Sie können, an die Feinarbeiten, zum Schluß das Feinschleifen. Ich glaub, das müssen Sie auch mit den Bamberger Elegien tun.

Ähnliches hat vor zwei Monaten schon Αναδυομένη gesagt, da war ich aber noch auf dem Trip, die Elegien als Buch für diesen Herbst fertighaben zu wollen; davon hielt mich aber dann >>>> dielmanns Unzuverlässigkeit ab, sie nahm mir die Produktivitätsluft. Jetzt zeigt sich, daß das richtig war, daß ich sie nicht erzwang. Ich muß wirklich alle Elegien noch einmal von vorn schreiben und ganz anders anfassen. Vielleicht ist es das Ausmaß der Trauer, die noch immer nicht genügend durchgelebt ist.

Jetzt ist hier erstmal klarschiff zu machen. Überhaupt ähnelt die Arbeitswohnung zunehemend einem Segelboot, das auf kleinstem Platz Meistes unterbringen muß. Bevor es auf die Reise geht.

Und gestern nacht kam, las ich eben erst, eine Mail meiner WDR-Reakteurin Imke Wallefeld herein, die a u c h wieder Hoffnungskraft gibt:Lieber Herr Herbst,
der junge Mann spricht sehr klug, die Musik hat mich gebannt (solch wüstes Stilübereinander hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut – das wagt sonst so niemand bei uns), die Gehgeräusche, das Kaffeehausgeklirr, Stefan George, der Protestantismus, die Zerstörungen von Worms (bin dort selbst zufällig im letzten Sommer gewesen, völlig erschüttert beim Anblick der Häuser in der Nähe des Doms), >>>> Pasolini – der Gesang: hat mich sehr beeindruckt. Höre gerne, wie Sie mit Tönen, laut, leise, Pausen umgehen. Und gesprochen haben Sie auch gut. >>>> Eine wirklich schöne Sendung!

(Wie großartig dieser Dallapicolla ist! Ob man mir wohl eines Tages erlauben wird, ein Hörstück zu diesem Komponisten zu inszenieren?)

12.44 Uhr:
[Dallapicolla, Cinque liriche greche.]
Welch eine Wohltat es ist, jetzt durch Berlin zu radeln: der Weg nach dem (hintersten) Charlottenburg und zurück war geradezu Genuß, und die Cellostunde brachte viel und Freude. Auf dem Rückweg Fisch in >>>> Mitte Meer gekauft, einen ganzen Seehecht, eine Barbe, um sieben kommt Αναδυομένη zum Abendessen. Wenn mein Junge von Hausaufgaben und Cello-Üben schon wieder wegsein wird, er hat ja morgen frei. Ich selbst möchte morgen abend auf ein Cellokonzert: >>>> Bohórquez spielt >>>> noch einmal; unter anderen, Bach, Cello-Suiten, alle. Ich habe Lust auf ein Gedicht.

21.19 Uhr:
„Du hangelst dich von Provisorium zu Provisorium“, sagt mein Zahnarzt und starrt in meinen Mund und klopft und pocht und bohrt und baut wieder etwas provisorisch auf.. „So ist mein Leben“, sage ich. „Nirgendwo sonst“, sagt er, „kann man das so gut beobachten wie an den Zähnen.“ Und da, die Lücke, nein, da baue er k e i n Provosorium mehr, das m ü s s e gemacht werden, sonst hätten wir mit ziemlich blöden Folgeschäden zu tun. Und lacht. Ich: „Ich habe aber kein Geld.“ „Dann schreibe ich auf den Behandlungsplan: Härtefall. Sò!“ „Ich will das nicht. Dazu bin ich zu stolz.“ „Du ziehst einen Jungen groß, und du machst das verdammt gut. Und du arbeitest wie ein Besessener. Du hinterläßt was, und zwar nicht wenig. Du hast das R e c h t. Ob du willst oder nicht, ich schreibe das auf den Behandlungsplan. Dann zahlt man dir nämlich sogar die Keramik.“ Kein Widerwort mehr möglich. Dann kommt mein Junge dran. Wirklich bricht da nur der eine Zahn, und zwar vorbildlich, durch. „Da müssen wir gar nichts machen. Daß das mal blutet ist normal bei dem Kawenzmann. Aber guck mal, hier: das ist genau der Platz, den das braucht.“
Danach zum Friseur, nein, nicht ich selbst, so viel Achtung hab ich vor Handwerksberufen, die nicht zu verarschen; aber mein Junge sieht schon seit Wochen nach Verlotterung aus. Er braucht Struktur, und Struktur wird leichter gehalten, wenn man sie symbolisiert. Wir treffen einen Deal: Er bekommt ein Rieseneis, und das Haar wird nicht s e h r kurz, aber Schnitt kommt hinein. Handschlag drauf, ich bin da völlig unsentimental. G ut sieht er jetzt aus, klar und geradlinig, vor allem: klug. „Bist du jetzt sauer auf mich?“ frag ich, als wir wieder hier sind. „Und wie!“ ruft er und grinst. Dann telefoniert er mit seiner Freundin und schießt ab. Morgen will er hier übernachten. Ich hab Pressekarten für das andere Cellokonzert bekommen, ich verlinkte schon drauf. Da gehen wir morgen hin um sechs. Wir zwei Männer. Cello haben wir geübt, dann habe ich gekocht. Und alles wurde aufgegessen. Soviel zu den Frauen.

2 thoughts on “Arbeitsjournal. Donnerstag, der 30. April 2009.

  1. also herr herbst ich mische mich ja höchst ungern in ihr privates ein aber wenn ich so mitbekomme, welche art von liebe sie so quält, so kann ich nicht umhin ein paar sätze dazu fallen lassen zu müssen.
    nun ich selbst bin ja auch ein manchmal etwas sehr zu extremismen neigender mensch und das hatte zur folge, dass so manche frau das auf dauer irgendwie nicht packte.
    wenn ich so mitbekam wie sie einerseits der sexuell dominante mann sind, der andererseits sicherlich auch geistig zu dominieren kann und überdies auch noch einen arbeitstag von etwa 12 – 16 stunden täglich praktizieren, so ist es zumindest für mich kein wunder, wenn eine frau anfängt rückhaltlos zu streiken.
    sie schöpfen doch damit auf allen ebenen ab oder aus und wo bitte käme da noch eine frau zum zug ?
    ich denke selbst wenn sie soviel verdienten, dass sie in einer luxushütte wohnen
    könnten und 5 autos vor der türe stünden, wäre es für eine frau schon nicht einfach, neben ihrem glanz zu bestehen.
    ich kann mir nicht vorstellen dass diese frau sie nicht liebt, ich glaube diese frau flieht ihrem anspruch auf erdrückende eindringlichkeit.
    so wie ich das sehe, haben sie irgendwo halt abstriche zu machen an ihren allzu übermässigen selbstanspruch und imgrunde gespräche dahingehend mit der frau zu suchen – sie sollten eh mal ihren kopf frei machen für literatur und ihre liebe zur musik und sonst gar nicht mal viel mehr.
    irgendwie wollen sie immer für alles sorgen und übernehmen sich doch dabei –
    so hochmoralisch das ist, so amoralisch kann das von jemand anderem aufgefasst werden.
    vergessen sie mal ihre pflicht und gehen sie aus ihrem korsett raus, das sie doch nur behindert – dieses geradezu neurotische sich stets an ordnung und konzepte binden müssen, an strukturierten abläufen, an schematismen.
    bitte löschen sie dieses post, ich will nicht privat mailen – ja schon fast aus enttäuschungen heraus und weil ich auf dauer krankheitsbedingt auch kaum korrespondenzfähig bin.

    b

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