Claudio Bohórquez, Cello solo. Konzertnotizen um Britten.

Johann Sebstian Bachs Suiten für Cello solo aufzuführen, ist unterdessen ein heikles, weil belastetes Unterfangen; die Stücke haben eine Bedeutsamkeit bekommen, etwas Beethoviges, ja Mekka-artiges, wohin man pilgert wie, freilich dort anders, nach Bayreuth in den Parsifal. Alle kommen sie nämlich, die Cello-Jünger, um zu hören und, na ja, zu nörgeln selbstverständlich. Kein Großer, der nicht seine Interpretation vorgelegt hätte, seit Pablo Casals die Suiten zum Schlager der E-Musik machte, wozu sein (spät)romantischer Gestus so überaus geeignet war. Bald aber kamen die sachlich-nüchternen, die intellektuell analysierenden, die „historisch“ aufführenden Interpreten und diejenigen, die wieder Tänze daraus machten oder, Giganten ihrerseits, massiv hindurchstapften. Rostropowitsch, Yo Yo Ma, Janos Starker, Pierre Fournier, Mischa Mayski, Jacqueline du Pré: Jede(r) mochte ihre/seine Interpretation zum Schatz hinzutun. Bisweilen sind die Unterschiede nur noch graduell, selten gravierend; nur noch „musiziert“ jedenfalls können die Suiten kaum mehr werden. Das ist ein Problem. >>>> Gestern abend, als >>>> der ausgesprochen jugendlich wirkende Bohórquez zwei der Suiten zu Gehör brachte, ging das so weit, daß einiges (offenbar musikmasochistisches) Publikum überhaupt erst n a c h dem Britten kam, mit dessen erster Cellosuite der Abend begann. Man wollte „den Bach“ hören, und Piazzollas von Bohórquez fürs Cello transkribierte, sozusagen zwischengeschobene Tango-Etüden nahm man als eine Art virtuoser Fingerübung mit; dabei waren genau die, nach dem Britten, die eigentlichen Stücke, um Bohórquez Stärken zu zeigen: hohe musikalische Intelligenz, Eleganz und einen Witz, wie man ihn auch bei Sollima hören kann. Die Bach-Suiten nahm Bohórquez makellos, auch wenn – sehr selten – ein Ton nicht zwar nicht getroffen wurde, sondern einfach nicht anklang; darüber spielte der Cellist mit geradezu Grandezza hinweg, ja diese ganz filigranen Fehler gaben dem Spiel sogar Größe. Die Suiten klingen ausgesprochen klar bei Bohórquez, bisweilen gläsern durchsichtig, dabei aber nicht etwa nüchtern, sondern sanglich; gegen Nüchternheit steht schon sein Temperament, das eine Abschlußphrasierung durchaus mal wirft wie die Tolle auf dem Kopf: nicht ohne – freilich warmherzig jungenhafte – Eitelkeit in einem kurzen, genau auf den Punkt verklingenden, aufklingenden Glanz. Nie wird das sentimental, und man hört – Percussion fürwahr – die Finger klopfend auf die exakten Saitenstellen fallen. Hinzu kommt, daß Bohòrquez’ Rogeri-Cello ganz besonders schön in den tiefen Lagen klingt: wie der Cellist das um den Zusammenhalt der Stücke einsetzt, ist fulminant unwiderstehlich.
Der eigentliche Höhepunkt aber war Brittens Erste Cellosuite. Bohórquez lud sie mit seinem Temperament geradezu auf, manchmal mit einer sehnsuchtsweiten, kurz aufschreienden Bewegung, dabei indes immer analytisch und in dieser klaren Diktion, so daß die Stücke niemals zerfallen; im Gegenteil, sie fangen auf typisch brittensche Weise an zu leuchten und stehen ganz gleichberechtigt neben Bach, was nun nicht einfach ist; ja ob sie nicht eigentlich, so fragt man sich, die „bessere“ Musik seien: angemessener, will das heißen, der Gegenwart, noch gänzlich unhistorisiert und von Weihe unbelastet, vor allem unideologisch – was die Neue Musik nach 1945 meint, aus der nur recht wenige Musiken für Cello solo gleichberechtigt neben Brittens Suiten Bestand haben dürften: etwa Dallapicollas Ciaconna, wohl auch Bernd Alois Zimmermanns Cellosonate. So daß man sich fragt, weshalb Brittens zudem klanglich wunderschöne Suiten nicht längst die Podien uneingeschränkt erobert haben, sondern nach wie vor ein wenig gelegentlich aufgeführt werden. Es braucht wohl diese neue Cellistengeneration, ganz ähnlich der neuen Sängergeneration um etwa Quasthoff und Prégardien, Juliane Banse und Christine Schäfer, um von den gängigen Perspektiven auf das, was und wie gute Musik sei, den Staub wegzublasen. Wenn die Leute in den Britten strömen, statt daß wie gestern zu Bach gepilgert wird, wird es erreicht sein. Ironisch gab Bohórquez dem im Kleinen Saal des Konzerthauses Berlin jubelnden Publikum Prokovjevs miniaturen Kindermarsch hinzu: auch d a s ein Fingerzeig.

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