Weinen. Eigentlich will ich nur weinen. Es geht aber nicht. Ich hätte dieser Frau nicht wiederbegegnen dürfen, ich dürfte ihr an sich n i e wieder begegnen. Wie sie jetzt, von Paris zurück, die Treppe hochkam, alle Kinder voller Erregung, der Zwillingsbub hatte immer wieder schwer nach der Mama geweint, das Zwillingsmädchen gefragt, wie sie jetzt hochkam: strahlend, eine Göttin, die W e l t im Atem, leuchtend vor Schönheit, und ich stand schon da, alles gepackt, um sehr schnell zu gehen, ihre Freundin bei ihr, ebenfalls voller Lachen, „wieso gehst du schon?“ „ich habe dir einen Käse mitgebracht.“ „den will ich gar nicht haben.“ „was ist denn los?“ „du weißt, was los ist“ und weg bin ich mit weichen Knien und einer entsetzlichen Atemnot, überhaupt Not: ich bin nichts, habe nichts, ich habe alles alles verloren. Betrinken will ich mich. Hab A. eben angerufen, „ich kann mich dir so nicht zumuten“, wir waren für unseren letzten Abend verabredet, aber was bin ich dort denn da? ein Haufen, mehr nicht, ein Elend, vermurkster Möchtegern-Schriftsteller ohne Rang, eine klägliche Erscheinung, jämmerlich, öde, verlassen, weil unwert. Wäre nicht mein Sohn, ich ginge. Aber diese Option habe ich nicht.
Ich darf dieser Frau nicht wieder begegnen, ich darf dieser Frau nicht begegnen, ich darf dieser Frau nicht begegnen, ich darf dieser Frau nicht begegnen; zur Strafe schreibst du tausendmal in dein Hausaufgabenheft: ich darf dieser Frau nicht begegnen, ich darf dieser Frau nicht begegnen, ich darf dieser Frau nicht begegnen, ich darf dieser Frau nicht begegnen, ich darf dieser Frau nicht begegnen, ich darf dieser Frau nicht begegnen, ich darf dieser Frau nicht begegnen. Wer, außer mir, hätte denn verdammt nochmal das Wissen, um die Eurydike Křenek /Kokoschkas zu inszenieren? Aber auch das ist den Bach hinuntergegangen.
Es ist wohltuend, dies hier zu schreiben, es dämpft, sediert, als würde ich, was ich nicht vergessen kann, hinausströmen lassen, und das fließt dann auch, statt der Tränen vielleicht, kann sein (seit dieser zweiten Trennung von der Frau habe ich noch nicht wegen der Trennung geweint) – doch das Beruhigende ist, daß sofort der innere Motor anspringt, der eine Form dafür will, der es bändigen will, indem es es behaut wie einen Stein, der zur Statue werden soll und wird. Den ich dann verhängen kann und beiseitestellen, vielleicht: solange ich der Frau nicht begegne. Es ist alles gut, wenn ich ihr nicht begegne, es tut mir nichts weh, ich kann mich verlieben, ich kann Nähe herstellen zu anderen Frauen, Vertrauen, Hilfsbereitschaft, ja Freude – nur, wenn ich der Frau wiederbegegne, geht das alles zu Bruch, zu Staub, wird Scherbenmoräne und eine Asche, die naß ist. Weshalb sie nicht verweht, sondern haftet.
Diese anderthalb Tage mit meinen verlorenen Zwillingskindlein – „Papa auch nicht weggehn“, sagte das Mädchen, als ich nach einer erhaltenen SMS endlich sagen konnte, gleich sei die Mama da – waren gut für mich handhabbar, ich hatte keinen Schmerz, sah nur die beiden Kleinen und meinen Jungen, arbeitete nichts, übte Cello, las etwas, war mit den Kleinen am Spielplatz und und und – – das war problemlos. Ich bereitet sogar das Abendessen für die Kinder schon vor, so daß die Mama es nur noch warmmachen und, na gut, die Fischstäbchen braten muß. Aber ich ahnte schon, was käme, sagte zu meinem Jungen: „Du, die Mama hat sich eben per SMS gemeldet, sie ist schon am Alex, ich würde gerne schon los“; er: „jetzt soll ich allein auf die Kleinen aufpassen?“ Es war eine Art stiller Vorwurf. Also blieb ich. Und setzte mich dem aus, dem ich mich nicht aussetzen d a r f. Ich darf dieser Frau nicht begegnen. Ich darf dieser Frau nicht begegnen.
Wenn ich endlich, wenigstens, weinen könnte.
Heute ein Arbeitsjournal zu schreiben, wäre lächerlich.