Die Menschen ins Glück stürzen: Arbeitsjournal am Sonntag, den 9. Mai 2010, mit einer – heute – LESUNG IN FULDA. Red Corridor Gallery. Wo Frauen sind, ist Sinn. Außerdem zu uns balzenden Hähnen. Und ganz frisch ein Döntjes zur Thalia-Buchhandelskette.

5.43 Uhr:
[Am Terrarium.]
Die Zwillingskindlein schlafen noch, mein Sohn übernachtet bei einem Freund, will aber muttertagshalber bereits gegen neun/halbzehn wieder hiersein, und लक kam soeben heim aus der Nacht; ich bin seit Viertel nach fünf auf. Vor der schwarzen Ledercouch steht auf dem kniehohen Eichenholztischchen mein Laptop, rechts am Boden daneben, abgeschliffene Dielen, steht der Kumb Kaffees, die Morgenpfeife ist in der Küche angeraucht. Ich mag den Vormittag noch hier verbringen, gemeinsames Frühstück, um Blumen zu kaufen, werde ich gegen neun mal schnell losradeln: mit dem Volvo, denn der Alfa steht in der Werkstatt. Als ich aufwachte, war mir des Condors spöttischer Vorwurf im Sinn, auf den ich, >>>> wie’s sich gehört, soeben spöttisch reagiert habe. Auffällig auch d a bei ist, wie klug derzeit meine Trolle argumentieren: es kommt dabei expressis verbis eine Haltung zutage, die ich respektiere; nicht zuletzt ihretwegen ist >>>> die Diskussion unter dem vorgestrigen Arbeitsjournal für mich eine der spannendsten geworden, die es in Der Dschungel bislang gab; sie zog sich auch in der vergangenen Nacht noch weiter. Wiederum >>>> spricht chSchlesinger etwas an, das mich parallel tatsächlich beschäftigt hat; ich werde darauf nachher eingehen. Denn er hat recht: Wo Frauen ist, ist Sinn.
So hoffe ich, heute abend vielen Frauen zu begegnen:

>>>> Red Corridor Gallery
Löherstraße 19
36037 Fulda
19 Uhr

Meine SBahn zum Spandauer ICE geht um 14.11 Uhr, ich habe den Rucksack bereits gestern gepackt; wenn ich frühmittags in die Arbeitswohnung radle, ist eigentlich nur noch der Bart auf anderthalb Tageslängen zu bringen, sind Achselhöhlen und Skrotum zu rasieren, na sowieso und weil man nie weiß; außerdem ist wegen der Garderobe nach dem vorausgesagten Wetter zu sehen…

– oh, mein Zwillingsmädlein kommt und mag gekuschelt werden und gewiegt. 6.19 Uhr.

6.55 Uhr:
[>>>> Bach, Suiten für Violoncello solo (Paolo Beschi).]
Musik des Tages. >>>> BRSMA hatte recht: man muß >>>> diese Aufnahme unbedingt empfehlen; ich weiß jetzt auch, woher dieser zwar im Tonumfang etwas eingeschränkte, dafür aber expressivere, weil härtere Celloklang rührt: Beschi spielt auf einem Barockcello und spielt das Instrument sicher so, w i e man es spielte: ohne Stachel zwischen die Unterschenkel geklemmt, auch ist der Griff, mit dem der Bogen geführt wird, ein anderer: er wird nicht ums Ende des Frosches, sondern etwas mehr Richtung Mitte von oben gefaßt. Daß auf dem Barockcello gespielt wird, erwähnte BRSMA bereits selber, aber ich überlas das offenbar. Jedenfalls meine ich, daß man d i e s e Aufnahme unbedingt haben muß, und es lohnt sich auch die kleine Spielerei, in den Digitalplayer, wie ich soeben tat, die Interpretationen alternierend zu laden, diese >>>> und jene, und sie miteinanderzuhören.

Also ich erwachte mit dem Gedanken an „das Genie”, und sofort hatte mein Unbewußtes einen Aphorismus für mich bereit, der noch in der Ungefähre des Traumes flirrte, so daß ich ihn konturierte, während ich Kaffeepulver in den Filter schäufelte, und am Laptop ausformulierte, während der Kaffee durchgluckerte. Ich werde ihn aber erst morgen einstellen, einfach weil das heute zu viel würde; ich möchte gerne den >>>> Hinweis auf die Lesung favorisiert halten. Dann sah ich in meinen Nachtmails, daß sich >>>> Zazie – die den >>>> Kulturmaschinen, nachdem sie das für >>>> der horen Panoramen der Anderswelt schon getan hat, nun auch für >>>> „Azreds Buch” für den Umschlag ein Bild zur Verfügung stellt – sich >>>> dort zu André Heller geäußert hat, den ich in meiner >>>> Benetton-Fantasie erwähne. Ich habe bereits reagiert und darf Ihnen ankündigen, daß es ganz sicher auch für ihn hier einmal eine Musik des Tages geben wird. In meinen kleinen, vor Jahren für den NDR geschriebenen, eingesprochenen und ausgestrahlten >>>> Kleinen Poetiken gibt es zu Heller bereits einen Text; vielleicht übertrage ich ihn später einmal auch in Die Dschungel… – habe ich nicht sogar Mitschnitte davon? Da sehe ich einmal nach, wär ja hübsch, sie über Die Dschungel, vielleicht auf dem Umweg von YouTube, wieder zugänglich zu machen, auch wenn mir die Schützer des Urheberrechts dafür den Hals umdrehen – bezüglich meiner eigenen Texte, tja, die aber ansonsten im RundfunkOrkus verschwunden blieben… Doch noch sind, erst einmal und bevor meine Familie gänzlich erwacht, nachträgliche Korrekturen zum Azred zusammenzustellen und an die Kulturmaschinen hinauszuschicken, weil heute dort der Buchsatz begonnen wird.

8.28 Uhr:
>>>> Das da hat auch einen – aus einer angenommen weiblichen Perspektive betrachtet – höchst komischen Aspekt: Da ich immer sehr deutlich mache, >>>> wie gerne ich der Arterhaltung diene, fühlen sich andere Hähne angelockt und balzen dann mit mir um die Wette. Auch s o läßt sich verstehen, weshalb Die Dschungel Herrn chSchlesinger den Eindruck eines Männerwohnheims macht, und s o gesehen ist das, auch eben aus der angenommenen weiblichen Sicht, ein sehr schöner Eindruck. Und ist, abermals eben, voll genetischer Komik. Daß ich dieses verstehe, schafft einen der seltenen Momente, in denen ich bedaure, keine Frau zu sein – einfach weil ich das v o l l e Ausmaß unserer männlichen Komik nicht genießen kann. Denn ich bin nicht gemeint.

11.38 Uhr:
[Arbeitswohnung. Henze, Erstes Streichquartett. Cigarillo & Pfefferminztee (kalten).]
Blumen gekauft, Brötchen gekauft, und jedes Kind empfing seine, als ich zurückkam, bereits wiedererwachte Mutter mit einem Sträußchen Schneeglöckchen, das ich ihnen noch schnell in die eine Hand und beide Händchen drückte. Dann gemeinsam gegessen, dann trieb es meinen Großen bereits wieder hinaus. Und auch ich packte zusammen. Kurz bevor wir frühstückten, kam noch ein Anruf >>>> aus Fulda: die dortige Thalia-Buchhandlung, deren einer Mitarbeiter die Einführung in den heutigen Abend spreche, habe von mir gar keine Bücher vorrätig; ob ich nun nicht doch noch mehr mitbrächte, als ich gewollt habe? Das ist mal wieder eine typische BuchhandlungsSchildbürgerei, wobei Thalia eh ein ziemlich eigenes Unternehmen ist. Wenige Leser wissen das, aber Verlage, die bei Thalia vertreten sein möchten, müssen ihm einen wenigstens vierstelligen Umsatz garantieren, sonst kommt man nicht ins Sortiment. Daß so etwas besonders für kleine Verlage überhaupt nicht möglich ist, liegt auf der Hand. Ich hatte mich von daher sowieso schon über Thalias >>>> Selzer-Engagement gewundert, mich allerdings gefreut: vielleicht gibt es ja, hatte ich gedacht, einen aufmüpfigen Filialleiter in Fulda, einen mit Zivilcourage für den eigenen Literaturgeschmack. So zerplatzen einem Illusiönchen, für die man von den Pragmatikern ohnehin ausgelacht wird. Das Blöde ist, daß ich nur noch vier Selzer-Bücher hierhab und es viel zu spät ist, um noch Nachschub von den Kulturmaschinen zu holen.
Egal. Man kann ja übers Netz bestellen.

[Donecker, Streichquartett (Mitschnitt
der Uraufführung, Frankfurtmain 1986).]

15 Uhr:
[ICE Berlin-Fulda.]
Irgendwann möchte ich einmal etwas über Flieder schreiben, lilanen Flieder, in Büschen mit viel lappigem Grün – und wie frühjahrstypisch nach altem Deutschland diese Blüten für mich sind: die flachen Lauben an den weiten Seen… aber wir fahren jetzt an knallegelben Rapsfeldern vorüber, und der Flieder ist bereits so, als wie ich ihn empfinde: eine Erinnerung. Sehe ich an den U- und SBahnböschungen hinauf, tun sich dort kühle verschwiegene Orte auf, deren Eingänge Vorhänge aus Fliedern sind (dazu eine andere Süße, die Süße des Waldmeisters in hellem Bier). Ich habe auch sofort die Gerüche in der Nase, sie müssen noch gar nicht dasein.
Zur Lektüre: Frank Fischer, Die Südharzreise, um sie nun g a n z zu lesen. Zur Lektüre: Frank Fischer, Die Südharzreise, um sie nun g a n z zu lesen. Aber erst einmal… eine Stunde lang schlummern; leider habe ich keinen Tischplatz erwischt und kann die Füße nicht hochlegen.

13 thoughts on “Die Menschen ins Glück stürzen: Arbeitsjournal am Sonntag, den 9. Mai 2010, mit einer – heute – LESUNG IN FULDA. Red Corridor Gallery. Wo Frauen sind, ist Sinn. Außerdem zu uns balzenden Hähnen. Und ganz frisch ein Döntjes zur Thalia-Buchhandelskette.

  1. Männerwohnheim = Bullenkloster.

    “Die Dschungel” ist weiblich, der Untergrund ist auch weiblich, weil “Die Erde.” Da können sich Männer vor der Stadt tummeln wie sie wollen, sie kommen nicht wirklich hinein. Männer sind in der Stadt nur als Wächter zugelassen, wohnen in für sie abgegrenzten Arealen, dürfen sich auch nur innerhalb dieser bewegen. Männer die die Stadt unerlaubter Weise betreten, werden gefangen genommen, sofort kastriert, danach werden sie wieder vor die Stadtmauer gesetzt. Außer an Beltaine. In dieser Nacht dürfen Männer, die ausgesucht werden, weil sie besondere Verdienste erworben haben, an dem Ritual, welches streng geheim ist, teilnehmen, danach müssen sie die Stadt wieder verlassen, dürfen sie nie wieder betreten. Es gibt einige Männer, die das Recht erwarben, in der Stadt leben zu dürfen, es sind die Weisen, die ein gottesfürchtiges Leben über viele Jahrzehnte führten. Ganz selten erblickt man außerhalb der Stadt eine der Frauen. Es sind die Priesterinnen der Dörfer, die in der Stadt ausgebildet wurden, denen alle dort lebenden männlichen Dorfbewohner unterstellt werden. Und die Frauen? In den Dörfern lebt jeweils nur eine einzige Frau, das ist die Priesterin.

  2. Der Genauigkeit halber merke ich an, dass das Urheberrecht Ihnen niemand nehmen kann noch will, das Verwertungsrecht ist es, das Sie dem NDR für Geld verkauft haben, und außer der eigenen Verdienstabsicht und -notwendigkeit wird nichts und niemand Sie dazu genötigt haben. Und wenn auch jeder Autor mit Recht sich wünscht, dass die eignen Texte möglichst oft aufgeführt werden, so sind die Öffentlich-.Rechtlichen glücklicherweise noch nicht derart verkommen, nur noch (vergleichsweise billig) zu wiederholen anstatt (vergleichsweise teuer) neu zu produzieren.

    1. @Lupus. Welch ein entzückender Mensch Sie sind. Vor allem sind Sie gerade in Hinsicht auf den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk, für den ich seit über zwanzig Jahren arbeite, von schon – allein vielleicht, weil sich das reimt – berückender Ahnungslosigkeit.

    2. Denken Sie doch, was Sie wollen. Ich denke, dass jemand, der es mit dem eigenen Urheberrrecht zu Recht so genau nimmt, dass er vor einer Uraufführung prüft, ob sie auch ganz im Sinne des Textes sei, dessen Urheber er ist, Polemik gegen das Urheberrecht dezent formulieren oder, wenn ihm das Dezente nicht so liegt, sogar drauf verzichten könnte. Und insbesondere nicht, da denke ich: wider besseres Wissen, Urheber- und Verwertungsrecht vermengen, wenn’s grad passt. Und da sich zahlreiche Autoren, darunter nicht wenige Begabte und Befähigte, um die Fleischtöpfe der Öffentlich-Rechtlichen drängen, steht es doch jedem frei, an anderer Stelle zu publizieren, ohne dass dem NDR Sendelücken drohen.

    3. @Lupus zum Urheberrecht. Wenn Sie sich einmal die Vertäge anschauen, die man mit Sendeanstalten schließen muß – es sind Knebelverträge; die Senderjuristen wissen sehr genau, in welcher Situation sich die meisten Autoren befinden -, wird Ihnen schnell klarsein, auf welche Weise Verwertungsrecht in die Urheberrechte zurückschlagen. Aber darum geht es mir gar nicht, sondern: wenn eine Sendung einmal ausgestrahlt wurde und dann niemals mehr wiederholt wird, verliert man jedes Verwertungsrecht: solche Rechte müssen gepflegt werden, ansonsten geht Werk unter. Ich sehe das aus einer künstlerischen Perspektive, keine andere interessiert mich, und ich frage mich: wie sorge ich dafür, daß meine Arbeiten am Leben bleiben. Das bleiben sie ganz sicher nicht, wenn sie in den Archiven verschwinden. Wenn ich, um das zu verhindern, ein Gesetz brechen muß, dann w e r d e ich es brechen, völlig egal, welches. Das ist eine reine Überlebensfrage. So, wie die Armen in der Dritten Welt s e l b s t v e r s t ä n d l i c h kriminelle Akte begehen werden: das ist ihr R e c h t.

    4. Solche Verträge kenne ich, dito die Wiederholungsgewohnheiten der ARD-Anstalten und des Deutschlandradios, die ich so erbärmlich schlecht nun auch wieder nicht finde. Mir ist auch gleich, ob Sie Ihr Stück bei youtube einstellen oder nicht (und ob sich der NDR dran stört, werden Sie merken und gewiss berichten).

      Mich stört dies Polemische “auch wenn mir die Schützer des Urheberrechts dafür den Hals umdrehen – bezüglich meiner eigenen Texte”. “Die Schützer des Urheberrechts”, die Sie damit anscheinend irgendwie treffen möchten, dürften kaum etwas dagegen haben, dass Sie als Urheber mit Ihren Produkten umgehen (ich gehe jetzt mal von dem Fall aus, dass die Sendung keine weiteren Urheber mit entsprechenden Rechten hat). Die Inhaber des VERWERTUNGSrechts können aber sehr wohl was dagegen haben. Polemik ist schön, Genauigkeit aber auch.

      Und ich bleibe dabei, dass niemand gezwungen ist, sich auf die Verträge der Öffentlich-Rechtlichen einzulassen. Geldverdienen ist eine Überlebensfrage, natürlich. Verglichen mit den Knebelbedingungen der “Arbeitsagenturen”, die den Gnadenerweis ALG II vergeben, auch verglichen mit viele Verträgen, die “mittlere”, qualifizierte Angestellte in Wirtschaftsunternehmen unterschreiben, eben weil auch sie überleben müssen, sind die Verträge der Öffentlich-Rechtlichen für ihre freien Autoren (sofern es ihnen gelungen ist, dort ein Stück unterzubringen) so entsetzlich nun auch wieder nicht. Und vor allem nicht für Hörspiel und Feature. Schlimmer sind da schon die Gepflogenheiten der Zweit- und Drittverwertung kleinerer journalistischer Beiträge aller Art, wie Korrespondentenberichte u.ä. Dort mal einen Blick hinzuwerfen, liegt näher als sich mit “Armen in der Dritten Welt” zu vergleichen. Aber das ist vermutlich weniger Ihr Thema, Sie beklagen ja sogar die Honorare der FAS, die über denen der meisten Tages- und Wochenzeitungen liegen. Oder was hat der Freitag Ihnen gezahlt? (Hat er schon? Mussten Sie mahnen?)

  3. Schneeglöckchen??? Kennen Sie das? Dass eine Belanglosigkeit Sie den ganzen Tag verfolgt, wie eine alberne Schlagermelodie und was Sie auch tun, Sie werden sie einfach nicht los. So ging es mir heute – war den ganzen Tag unterwegs – wegen der Schneeglöckchen zum Muttertag. Das kann doch nicht sein, das müssen doch Maiglöckchen gewesen sein, oder?

    1. @MelusineB jetzt sitz ich hier und grinse. auch in meinem kopf klingelten den ganzen tag über immer wieder die schneeglöckchen…

    2. Lily of the valley Da reiche ich Ihnen die Hand. – Im Übrigen auch für Ihren Beitrag bei http://taintedtalents.twoday.net/stories/6329507/ Es stimmt nicht nur, dass es ein unfertiges Bild war, sondern auch, was Sie – differenzierend – über Narben schreiben. Ich schrieb parallel, so dass ich Ihren Beitrag erst las, als ich meinen eingestellt hatte. Deshalb hier: Vielen Dank für diese erhellenden Gedanken.

    3. Schneeglöckchen. Sie haben selbstverständlich recht. Ich wußte nur glöckchen, dann suchte ich nach Bildern, verglich und schrieb halt, fälschlicherweise, Schneeglöckchen. Es sind, sinnvollerweise, Maiglöckchen. Ja.

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