Über die Musik, für Aldous Huxley. Arbeitsjournal. Donnerstag, der 29. April 2010. Mit BuchFeierAbend und einer Frau an der Leine: O Haupt voll Blut und Wunden!

6.47 Uhr:
[>>>> Bach, Zweite Cellosuite (Janos Starker).]
Den Tip, und die Musik, verdanke ich, abgesehen von Bach, UF, der mir die Aufnahmen schickte. Seither ist Starkers sehr, finde ich, männliche Auffassung dieser Solosuiten für mich maßgeblich geworden. Es mag gut sein, daß ich auch in der Musik dem Sexismus anhänge. Und aber ach mein Cello. Ich erinnere mich, ganz zu Anfang meines nun unterbrochenen Cellolernens ein Instrument in den Händen gehabt zu haben, das meiner musikalischen Vorstellung von Anti-Proust so sehr entsprach, daß ich, der ABC-Schütze am Cello, vor ihm versagte, als wäre es ein Übervater Vatergott. Auf dem spielt man ja a u c h nicht, und m i t ihm spielen nur die Meister. Janos Starker. Mit Romanen, Leser, ist es nicht anders. Peter Wapnewski und Gottfried von Tristan. Nur mal an den Einstieg in die dritte Suite zu denken (hörend denken: auch das geht), wie das Prelude sich vorandrängt… – w i l l. Zu wollen, überhaupt, ist ein Schlüssel. Das Abendland mal wieder. „Ich soll Honegger erschießen”, sagte Arndt. Da war ich baff.
Wenn Texte beginnen, >>>> sich gegenseitig zu reflektieren; das hat Die Dschungel bisher kaum getan: die Zeiten engzuführen. Das wäre ein Projekt für stillere Clichys, als ich sie derzeit habe. Starkers Cello summt auf der C-Saite wie eine Hornisse. Nehmen wir an, die Bratschen seien Wespen, was ist dann die Geige? Schönes Bild für eine Erzählung. „Ist es Einbildung oder die Offenbarung tiefster Wahrheit? Wer kann es wissen?” >>>> fragt Aldous Huxley; der Link führt genau auf meine Taschenbuchausgabe, deren mein Exemplar nur noch fadenscheinig von alten Tesafilmstreifen zusammengehalten wird; manchmal muß man eine halbe Stunde lang blättern, wenn man sich einer vor Jahrzehnten gelesenen Stelle entsinnt, die man nie vergaß, aber nun wortgenau zitieren will, doch noch im Wiederlesen und Abschreiben verliert man sie wieder und muß abermals suchen: „Du glaubst, die Wahrheit gefunden zu haben; klar, bestimmt und unverkennbar wird sie von den Geigen verkündet; du hast sie, triumphierend hältst du sie. Aber sie entschlüpft deinem Griff, um sich in den Celli von einer neuen Seite zu zeigen und noch einmal, in Ausdrücken der vibrierenden Luftsäule Pongileonis. Die Stimmen leben jede ihr gesondertes Leben; sie berühren einander, ihre Wege kreuzen sich, sie vereinigen sich für einen Augenblick, eine anscheinend endgültige und vervollkommnete Harmonie schaffend, nur um sich wieder zu trennen. Eine jede ist stets allein und gesondert und individuell. „Ich bin ich”, beteuert die Geige, „die Welt dreht sich um mich.” „Um mich”, ruft das Cello. „Um mich”, betont die Flöte. Und jedes hat gleichermaßen recht und unrecht. Und keins will auf das andere hören. (…) Pongileoni blies, die Geiger zogen ihr beharztes Roßhaar über die gespannten Därme von Lämmern -” : es ist dieser letzte Satz den ich niemals vergessen habe, wohl aber seinen Schluß: – „die lange Sarabande hindurch sann der Dichter langsam über seine liebliche und tröstende Gewißheit.”Wie seltsam! Ich las das zuletzt, als ich um die siebzehn war. Und merkte jetzt erst, da ich die über vierhundert enggedruckten Seiten auf der Suche nach dieser Stelle eine nach der anderen umschlage, wie beeinflußt mich Huxleys Roman, genau dieser, Kontrapunkt des Lebens (Point Counter Point, dtsch. v. Herbert E. Herlitschka), zu haben scheint. Die Dialogführung, überhaupt: Geschichten durch die Dialoge hindurchzuerzählen; die Neigung zu semikolongetrennten Satzsegmenten; Gedanken in die Mitte von Erzählungen zu rücken; selbst die Art, Personen zu characterisieren. Und vor allem: Musik. Ich habe eine weitere Stelle gefunden, S. 286, mit „Die Musikalisierung der Prosadichtung” beginnt der Absatz, ich werde ihn später – aber heute wohl nicht mehr – zitieren. Denn ein Anruf लकs, der soeben einging, ruft mich abermals an das Terrarium. Abermals eine Unterbrechung des Gedankenraums, der doch nicht zuletzt Fühlraum einer fortschreitenden Sensibilisierung ist. –

8.59 Uhr:
[Am Terrarium. >>>> Bach, Vierte Cellosuite (Starker).]
Also die Musik. Und die Literatur. Musikalisierung der Prosadichtung. >>>> Dort, in einem Kommentar streifte ich das Thema zuletzt. Wenn bei meinen Romanen, vor allem den Romanen, immer wieder von Simultanität gesprochen wird, so ist es ein Irrtum zu meinen, sie verdanke sich der, was man so dafür hält, „Postmoderne”; es kommt vielmehr aus der Musik. Polyphonie. Wie konnte ich eine selbe Vielstimmigkeit im Roman erreichen, wie vor allem erreichen, daß ich die beiden Grundperspektiven allen Erzählens in eine einzige zusammenbekam, also das Er und das Ich, die Wirs dazu? Als ein erstes Ergebnis entstand >>>> der Dolfingerroman, der aber erst zehn Jahre später ein erstes Mal als Buch herauskam, weitere vierzehn Jahre später dann noch einmal. Für ihn schon hatte ich dieses Wort verwendet, das dann hier in Der Dschungel, nämlich im Tagebuch, wieder bedeutsam wurde: chorisch. Es ist nicht ganz ohne Irrtum, wenn meine Leser immer wieder danach fragen, ob ich nicht Hörbücher machen könne. Tät ich auch gerne, übrigens. Will nur keiner. Der Markt sagt: verkauft wird nur, was zweiter Hand, nämlich in erster schon gebestsellert ist. Bei den Elegien wird die Frage brennend werden.

Heute ist BuchFeierTag. Nicht nur wegen >>>> Selzers Singen im >>>> kulturmaschinellten Rauschgold, sondern ganz woanders ebenfalls, und auch dahin bin ich, freilich nicht als Vortragender, ebenfalls geladen: und zwar zur „Buch Release Party” der Südharzreise Frank Fischers, den Sie gewiß vom >>>> Umblätterer kennen – falls aber nicht, sollten Sie das nachholen. Also dahin fahr ich um halb sechs, trinke und plaudere, setze mich um halb acht wieder auf meinen Volvo (der Alfa steht in der Werkstatt) und radle an den Mehringdamm nach Kreuzberg, wo mich furchtbar viel Eierlikör erwarten wird. Aber ich sah nicht nur den, sondern wenigstens zwei schöne Frauen, die sich mir über Facebook avisiert haben. Die Löwin wird mit ihren Krallen spielen. Und in der nächsten Serengeti mir übern Nacken ziehen. Doch trag ich s o l c h e Striemen STOLZ.

An den Menschenjäger jetzt, da waren nicht a r g so viele Korrekturen anzubringen; allerdings plaudert der Text auch ein bißchen so daher; für sich alleine würde ich ihn nicht in einem Erzählband veröffentlichen, doch in d i e s e m, einem in der Komposition sehr speziellen, hat er eine wichtige Funktion. Welche, das werden Sie merken, wenn Sie den Band lesen werden. Im Herbst wird er da sein. Ich swinge meinen Kopf… nein!: e s swingt meinen Kopf zu Starkers Bach. Und nachher geht’s zur Post.

11.30 Uhr:
[Arbeitswohnung. >>>> Bach, Dritte Cellosuite (Starker).]Die Küche einigermaßen in Ordnung gebracht und für den Lauser und mich das Essen vorbereitet. Dabei immer weiter Starkers Bach. UF skypt: welche Aufnahme das denn sei? Er habe mir z w e i geschickt, eine frühe, ein späte. Hatte nicht die Zeit zu schauen, aber schätze, daß es (1992) die späte Aufnahme ist. Nach der „frühen” schau ich später mal. Jetzt sind die Anträge auszudrucken, nachmittags ist das Zeug zur Post zu bringen; wahrscheinlich mach ich das auf dem Weg >>>> zur Heidestraße. Vorher in jedem Fall an die vierte Arndt-Erzählung gehen, die mit Herrn Gottfried Benn. Das wird irre schön werden in diesem zweiten Erzählband: die Arndt-Geschichten, zweidrei mit Deters, dazu der Text Javier Otáloras zu Borges und alldas gemischt mit den phantastischen Erzählungen: feinfeinfein. Allerdings ist es (neudeutsch!) postmäßig ausgesprochen still seit gestern; die >>>> Gütersloher Undine ist, scheint’s, in Duldungsstarre verfallen, weder der Verlag noch die Theatertruppe geben einen Pieps. Soll ich ernsthaft nervös werden? Nö, da ‚hab ich keine Zeit zu’. Ach, müßt ich nicht so diskret sein! Wie heiter wär’s, mit شجرة حبة an der Leine >>>> im LCB zu erscheinen, Anzug selbstverständlich und Krawatte, und dann müssen die Damen und Herren schnell merken, daß das alles andere als ein devotes Dummchen ist, immerhin hat sie ihren zweifachen Dr. rerUNDnat, sondern daß sie brav stillsein sollten, wenn diese Löwin ihre Stimme erhebt, um stolz aus ihrer Serengeti zu berichten: >>>> Champagner aus Impalababies. Wer das für sonderlich grausam hält, sehe sein Mittagsschnitzel an und besuche danach einen Schlachthof.(Übrigens sollen auch Pflanzen schreien, wir hören es nur nicht. Arno Schmidt scheint das gewußt zu haben, als er Vegetarier „Planzenfleischer” nannte.)

13.55 Uhr:
Zu >>>> d e r Diskussion möchte ich eigentlich nur beitragen und im übrigen schweigen, daß ich einmal eine hochgebildete, w i r k l i c h hochgebildete (drei Studien abgeschlossen, Geigerin, Ärztin) Geliebte hatte, die sehr masochistisch war. Wir haben stundenlang über Bach gesprochen, den sie, eine Protestantin, liebte. Wenn sie sich schlagen ließ, wollte sie immer wieder diesen Choral aus der Matthäus-Passion hören:

Es war sogar umgekehrt: wenn sie ihn hörte, überwältigte sie das Verlangen nach körperlichem Schmerz. Ich stand dem einigermaßen hilflos gegenüber. In meinem >>>> Romanentwurf „Die Liebe in den Zeiten des Internets” (in Der Dschungel oft als DLZI abgekürzt – falls Sie suchen möchten), der nun seit dreivier Jahren unbearbeitet in einer bereits ziemlich umfangreichen Datei hier herumliegt, erzähle ich unter anderem auch diese Geschichte; als sich ein Lektor von Random House für sie einsetzte, knallten in München die Türen. Was >>>> MelusineB für eine Parodie hält, entspricht tatsächlich der Wirklichkeit; in dem Sinn habe ich Frau Melusine auch geantwortet.

Ich muß… nein, will in die Küche, um das Essen fertigzustellen.

17.33 Uhr:
[Arbeitswohnung. >>>> Bach, Dritte Cellosuite (Starker).]
Wieder Bach. Also, die Aufnahme von heute tags war die frühere, nämlich von 1992, während diese jetzt 1997 eingespielt worden ist. Sie ist sehr viel zahmer, ist mein Eindruck; aber ich bin in Hektik, mein Junge kam von der Schule viel zu spät, das Essen verbruzzelte fast, und jetzt, nach dem Mittagsschlaf, der Dusche, den Postsendungen bin ich geradezu schon zu spät. Muß zur Heidestraße los. Von dem >>>> Verlagsfest der Kulturmaschinen, 20 Uhr, Rauschgold, Mehringdamm, stelle ich vielleicht nachts noch ein paar Bilder ein; oder jemand anderes tut’s. Auf jetzt!

12 thoughts on “Über die Musik, für Aldous Huxley. Arbeitsjournal. Donnerstag, der 29. April 2010. Mit BuchFeierAbend und einer Frau an der Leine: O Haupt voll Blut und Wunden!

  1. Wozu diese Provokation? Warum müssen Sie die schönsten Gedanken immer mit pornografischen Bildern und Texten beschmutzen? Wen reißen Sie mit so etwas noch vom Hocker? Und dann noch das mit den Babys. Da wundern Sie sich ernsthaft, wenn Sie angegriffen und abgelehnt werden? Wer soll das mit Johann Sebastian Bach da noch ernst nehmen? Es ist eine Schändung, was Sie hier machen! Halten Sie sich endlich mal an die zivilisierten Sitten. Immerhin sind Sie ein Vertreter der Kultur und haben auch eine pädagogische Verantwortung. Sie können natürlich machen, was Sie wollen, aber wenn man Ihnen mit Steuergeld das Leben finanziert, haben Sie sich an die Umgangsformen zu halten. Meine Meinung.
    Das mit der Frau an der Leine schlägt allerdings dem Fass den Boden aus. Als wäre das ein Argument, dass die Frau einen Doktortitel hat. Es gibt auch perverse Intellektuelle. Wahrscheinlich gibt sogar mehr als bei einfachen Menschen, die zwar keine Universität besucht haben, aber dafür aufrecht sind.

    1. Volker Es muss aber ein Fake sein, so sehr wird das Pädagogen-Deutsch parodiert. Mammamia: „haben Sie sich an die Umgangsformen zu halten“ ! Aber hallo! Und vor allem: wenn man von Steuergeldern lebt! Zivilisierte Sitten, pädagogische Verantwortung! – Erst mal ausschlafen, sag ich mir da. Sonst schlaf ich durch.

      – Das Therapeutische („heilende Wirkung“) finde ich aber auch – – ermüdend.

    2. @MelusineB. Ich fürchte nur, daß viele Parodien Wirklichkeit sind. Es gibt einen trefflichen Satz Karl Kraus‘: „Wie klein Fritzchen sich vorstellte, daß Politik gemacht werde, so wird sie gemacht.“

      Als ermüdend habe ich Heilung noch nie empfunden, eher als erlösend. Denken Sie nur an Zahnschmerzen. Im erotischen Spiel ist sie zudem immer nur vorübergehend, schon fängt die Sucht neu wieder an. Es sind schnelle Gezeiten.

    3. Immer diese Moralisten … @H.W. (Gast)

      Zitat. „Das mit der Frau an der Leine schlägt allerdings dem Fass den Boden aus.“

      Was ist denn daran sooo schlimm? – In Hanover gehen immerhin tausende Männer mit ihren Frauen an der Leine spazieren!

  2. klassischer Verleser … „Die Küche einigermaßen in Ordnung gebracht und für den Leser [Lauser] und mich das Essen vorbereitet ….“

    Toll, dass es Humor gibt.

  3. À propos Cellosuiten Eine meiner liebsten Aufnahmen seit Jahren ist übrigens → diese hier von Paolo Beschi (auf Winter & Winter). Wunderbar direkt, ich möchte sagen fleischlich, aufgenommen – man hört nahezu das Kolophonium rieseln (definitiv aber z. B. die Finger auf dem Griffbrett) während Beschis Barockcello herrlich erdig und kraftvoll (aber hochdifferenziert) singt, brummt, kratzt und dabei frei von Romantizismus vibriert, ja atmet, dass man rasch vergisst, dass es so etwas wie eine glatt und matt gebürstete Interpretation dieser großartigen, wild leuchtenden Musik überhaupt jemals gegeben haben könnte.

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