Ausgerechnet Friedenau. ناهید ODER Eines Lustherrn Arbeitsjournal am Montag, dem 8. August 2011.

8.14 Uhr:
[Fiedenauer Serengeti. Joni Mitchell, Jugdement of the Moon and Stars.]
Zweiter Latte macchiato. Man kann von einer Friedenauer Serengeti sprechen, die aber eigentlich ein Berliner Niavaran genannt werden muß. Was einen wie mich weich macht: ausgedehnt. Downtown nämlich sind auch E-Gitarren erträglich, zumal nach der Morgenarbeit mit Ligetis Violinkonzert und anderen Aufnahmen. Doch dachte ich: ich weck diese Frau besser nicht hardcore, davon hatten wir gestern nacht mein ganzes Horn voll, und man sollte sich nicht überessen: >>>> Fülle will langsam erobert werden, so, wie man beim ersten Tauchen die Tiefe langsam gewinnt, schon, siehe Ligeti, der Ohren, also des Druckausgleichs wegen. Mir geht >>>> diese Erfahrung nicht aus dem Herzen, weshalb ich bereits vorgestern mit >>>> Atlantis Berlin telefonierte, um einen Termin zu vereinbaren. Da ich am 21. August eine Lesung in Spandau habe, kann ich erst am übernächsten Crashkurs teilnehmen. Ein solcher aber muß es sein. Langsame Gangarten, vor allem beim Lernen, liegen mir nicht. Also einmal zehn Stunden am Stück, dann neun Stunden am Stück, vorher das theoretische Lehrmaterial durchgeackert, und sonntagspätabends bereits nicht nur den Anfänger-, sondern auch den Open-Water-Schein in der Tasche.
Bis dahin tauche ich durch Körper und Texte: gestern knapp sechs Stunden am zweiten Jungenroman gesessen, nicht viel Erzählung zuwegegebracht, aber Einfälle zuhauf und die dann immer wieder kursiv in den Fließtext hineingeschrieben. Heute geht’s gleich damit weiter, vormittags; nach dem Mittagsschlaf Szenenwechsel: Zusammenstellung >>>> der Essays: was in Italien halt liegengeblieben ist, aber dringendster Erledigung bedarf. Wenn diese Frau denn mal aufwachen wollte. Es macht den Eindruck, daß sie um ihre Möse zusammengerollt schläft, obwohl sie sie, sozusagen, hinausdehnt. Nahid.
>>>> BRSMA hat mich mitgenommen, gestern abend, na gut, es war schon 22 Uhr. Aus Diskretionsgründen nenne ich den Namen des Restaurants hier nicht, schon weil die Familie strenggläubig ist. Aber die Wollust, die einem die Sünde bereitet – Übertretung in fast jeder Form -, ist ungeheuer. Deshalb kann man nur beten, daß uns dieser Begriff erhalten bleibt, und das Gefühl: Freiheit ist, internalisierte Gesetze zu brechen. Nichts anderes taten wir, Nahid und ich, mit einem multiplen Ausbruch, der sie jammern machte.
Eine Familienfeier, die zugleich – und imgrunde allem voran – Geschäftsessen war. Wie der Freund prophezeit hatte, ging der Blick über die Burka her und hin, die diese Frau aus IchAhneWelchem Grunde trug; ich ahne des weiteren, daß Strenggläubigkeit hier ganz besonders ein Spiel der tiefsten Verderbtheit ist. Immerhin hatte BRSMA mit Herrn F. und seinen Compagnons zu verhandeln, die alle mit Familie erschienen waren; das Ganze war nicht ohne Mafiosität. Übrigens waren nur wenige Frauen verschleiert. Eine eigenartige Mischung aus fixierter, ja musealisierter Tradition und losgelassener Weltlichkeit. Der Freund dazwischen mit seinem tiefen Lachen, das mich immer an eine jugendliche Spielart des Grafen von Weißenfels erinnert: es gibt seines-, des Lachens, -gleichen nicht zweimal auf der Welt –
Herr F. tat, ganz Feudalfürst, eine Bewegung mit der Hand, die wie dieselbe war, mit der Arafat seinerzeit seinem christlichen Berater – der grau wie ein ZK-Funktionär gewesen war, und so grausam wirkte – gestisch übers Maul gefahren war, das aber auch sofort verstummte. Ich habe dies s c h o n einmal wiedererlebt, nämlich >>>> mit Šahrzād. Hier indes wies die Bewegung die Frauen Männern zu, als wär es choreografiert gewesen, so daß die paradiesischen Geschöpfe folgten wie in einem Tanz.
Nur die Verschleierte blieb abseits stehen, immer noch in der Tür, dunkel, dunkel, und dunkel leuchtete der Blick. Er verdunkelte den ganzen Speiseraum, durch den die fünf oder sechs livrierten Kellner eilten. Unsere Gruppe hatte am Boden auf Kissen Platz genommen in einer Art offenem, ziemlich geräumigem Separée. Zwischen uns standen Tische von kaum Kniehöhe. So sah die Dunkle, muß ich sagen, auf mich herunter – was wie eine Aufforderung zum Zweikampf war. Der hier dann endete in einer Erschöpfung, aus der Nahid immer noch nicht wachwerden will.
Welch Glück, dachte ich heute morgen, daß ich den Laptop bei mir hab, heute wie fast immer. Seit sechs bin ich auf, habe Musik erst mit Kopfhörern gehört, den Cinchstecker aber dann gezogen, als ich die Frau wecken wollte, und die Musik spült nun immer noch aus den integrierten Böxchen des Geräts: erstaunlich, wie präsent ein solches Leise sein kann. Ich weiß nicht mehr, wann und wie mich Nahid aus dem Keis zog, mit sich zog, sich dann, und wo, seltsam fließend vor mich auf den Boden plazierte und meinen linken Fuß auf ihren gebeugten Kopf tat, der ich leidlich dabei das Gleichgewicht hielt. Danach ist nur noch Wirbelndes, Biegsames, Strömendes und ein zimmervoll Geruch nach Frau, mich zu ertränken; er stand bis zur Decke, aber Nahid, ohne zu sprechen, verlangte, daß ich Steuermann blieb. Auch wenn ich tauchte.
Ich weiß bis jetzt nicht, ob sie deutsch spricht.

[Ligeti, Cellokonzert.]
Ah. Sie regt sich. Ich habe nachgesucht: ناهید.

20.04 Uhr:
[Gérard Grisey, Quatre chants pour franchir le seuil, .]
Ab mittags bis eben durchgearbeitet, ein bißchen was einkaufen gewesen zwischendurch und die Tomaten für den Salat auf dem geschlossenen Laptop-Deckel geschnitten, um meditierend weiter diese Musik zu hören… jaja, selbstverständlich ein Holzbrettchen unter den Tomaten mit einer Rinne für die Flüssigkeit. Seltsames „Abenteuer”: zu tun, auf was nur Lebensfremdlinge kommen.
Der Profi rief an, aber ich bin zu weich gestimmt, nach wie vor, um heute noch ausgehn zu mögen. Als stürmte zugleich ein Meerwind.
Über römische Ausschachtarbeiten nachgedacht für ein großes Wasserbassin in der Massimo, als ich mir die Hände mit Vicco turmeric cremte. Die leuchtende Haut der rasend Verliebten: blendend durchschlägt das Licht selbst die Tür. Als hätt ich was genommen.

Arbeitsfortschritt:
Jungenroman II, bis TS 8 (einzeilig, Rohling).

6 thoughts on “Ausgerechnet Friedenau. ناهید ODER Eines Lustherrn Arbeitsjournal am Montag, dem 8. August 2011.

    1. @Nahid. Die Tür. Ja. Die Stelle, im Entwurf, lautet:
      Sondern kaum lag die Haut nur ein Stückchen frei, oder das bloße Fleisch, kam da ein Leuchten heraus, ein unglaubliches Gleißen, daß das ganze Zimmer im Nu taghell wurde.
      Wir wichen zurück.
      Das Klavierspiel setzte aus.
      Wahrscheinlich war das Licht bis zu ***s Vater ins Zimmer gedrungen. So hell war das. Dieses Licht durchdrang jede Tür.
      Schon hörten wir Schritte.
      Es ist nicht ganz auszuschließen, daß ich die dem zugrundeliegende Idee Dir verdanke.

    1. @Alfons Felisch. Sie haben recht. Ich hab nur auf die Jahreszahlen gesehen (das zweite war das Cellokonzert von 1966). Korrigiert.
      Solche Fehlangaben geschehen, wenn man die gespeicherten Aufnahmen von Festplatte durchhört und nicht wählt, wie das bei Schallplatten und CDs nötig ist. Hab’s korrigiert. Danke.

  1. Jenes in bodenlose Himmel stürzende Arrangement… … ist, wie keinesfalls nur wir beide wohl wissen, nicht ohne das sichtliche Setzen einer Schwelle möglich, die zu überschreiten Gefahr bringen *muss*. Schon alleine zur Steigerung des Kontrasts war die in *dieser* Umgebung nur scheinbar fehlplatzierte offenbarte Weltlichkeit daher eine notwendige Voraussetzung sinnlicher Jagd, die Herr F. – Sie haben ihn erlebt – als alter Grandseigneur und versierter Großanpflanzer verbotener Früchte selbstredend meisterhaft in Szene zu setzen wusste.

    Und wenn Sie, mein Lieber, jetzt beginnen zu ahnen, dass unser Besuch keineswegs profanen Verhandlungen diente, so ahnen Sie noch nicht einmal *annähernd*, wie schwierig es war, die *Richtige* für das – soviel wenigstens darf ich verraten, ohne meines jetzigen ewigen Lebens fürchten zu müssen – Ritual zu finden, dessen überaus williger Protagonist Sie und diese der Muschel der Venus geraubte unvergleichliche dunkle Perle wurden. Unser… nennen wir ihn ruhig «Freund»… also unser Freund, Herr F., wurde ihrer gewahr und schließlich habhaft nach langer, metikulöser Recherche entlang einer lateralen Bastardlinie vorgeschichtlicher Königinnen, deren Stammbäume eine lange Historie sorgsamer Manipulationen durch die Kitabim aufwiesen. Nebst einer Handvoll obskurer Todesfälle. Letzteres jedoch muss uns im Gegensatz zu aus der Geschichte getilgten Matriarchaten am östlichen Steiß Afrikas nicht bekümmern. Saba, müssen Sie wissen, war mitnichten ein Einzelfall – die Nachfahren der am Ende der ozeanischen Venusblütezeit Unterworfenen in dieser Region büßen bis heute furchtbar für die prähistorische Niederlage. Vom vormals göttlichen Arsch verblieb nur ein elender Haufen Scheiße, in dem nicht mehr divin gevögelt sondern nur noch erbärmlichst gestorben wird, was für ein verdammter Jammer. Aber Verzeihung, ich schweife ab.

    Keinesfalls durfte die Auserwählte übrigens eingeweiht werden – ja bis *heute* ahnt sie meines Wissens nicht das geringste. Zumindest wäre ihr das zu wünschen: gegen das nunmehr in Gang gesetzte ist die Alchemisten und Konsorten dank eines trotteligen Bestrebens nach Einheit und Reinheit nie gelungene Chymische Hochzeit ein naiver Kindergartengeburtstag. Eros – das heißt: der, genauer: *diejenigen*, die wir so bezeichnen oder dafür halten – ist ein maßloser, dunkler, wilder Gott. Notabene: wir habe es hier nicht zuletzt auch mit einem Schlag Menschen zu tun, die seit ältester Zeit bestrebt sind, das Universum in eine gewaltige, unbeherrschte Musik zu verwandeln, eine die diesen Namen wahrhaftig verdient. Muss ich noch erwähnen, dass diese große Entropophonie höchst spezifischer *Instrumente* bedarf?

    Höchst bemerkenswert übrigens, worauf am Folgetag Ihre Stückwahl fiel.

    Haben Sie bereits den Umschlag erhalten?

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