Arbeitsjournal ohne Geister. Dienstag, der 1. November 2011. Was von Romanen b l e i b t. Mit einer angehängten Rezension. Und Brossmanns Quatervois.


[Dies ist der 14.399ste Beitrag in Der Dschungel;
der 14.400ste ist, ganz unspektakulär,
>>>> das da.]


4.54 Uhr:
[Arbeitswohnung. Frank Gerhardt, Klarinettentrio (2002).]
Dann erschienen mir – außer >>>> d e n Gespenstern da – keine >>>> weiteren Geister mehr, und ich hab nun Süßzeugs genug, um bis Weihnachten durchzuhalten. Schade eigentlich, also für die Anderswelt, auf deren Öffnung ich mit Krausser >>>> gewartet habe (nach 22 Uhr gab ich es auf), doch >>>> davon vorabentschädigt worden bin: So hatte ich Melancholia bis gestern nicht gesehen. Mir war gar nicht der Einfall gekommen. Dabei liegt er vielleicht sogar nah. Jetzt müßte der Film drauf abgeklopft werden. Aber ich muß mit >>>> dem Krausser voran. Daß, wiederum, Geister unterdessen Drogen nehmen, >>>> aus Verzweiflung über die glaublose Welt, das scheint mir ausgemacht zu sein.
Latte macchiato, Morgenpfeife, Kraussers >>>> Thanatos. Weitermachen, Herbst. Erstmal wird jetzt gelesen, dann >>>> die Mikropolis-Kritik für >>>> die komisch auf abdruckfähige Länge gekürzt, dann noch einmal der Opernaufsatz für >>>> Theater der Zeit durchgegangen. Danach wieder Krausser. So denn der heutige Tag.

7.10 Uhr:
[Maderna, Grande Aulolia (1970).]
Eine der vielen Anmerkungen, die ich seinerzeit, 1996, in Kraussers Thanatos an die Ränder gekritzelt habe (ich habe das Buch seinerzeit für die, erinner ich mich, Schweizer WELTWOCHE besprochen):Ein Maßstab zur Beurteilung von Texten: Wieviel bleibt an Stimmung zurück, läßt man das Buch mal liegen.Rückwirkend, nach nun fünfzehn Jahren, war da wenig übrig, das aber doch: wie da EIner auf dem Hang sitzt, mythische Figur, und hinabblickt. Alles übrige ist verschwunden, noch jetzt, kommt auch nicht plötzlich wieder, wenngleich ich bereits auf S. 271 bin.
Ich werde meine seinzeitige Kritik nachher hier drunter als Kommentar einstellen, nachdem ich feststellen mußte, sie sei >>>> dort nicht miterfaßt worden. Was mich wundert. Aber sowieso: die fiktionäre Website liegt nun schon lange unbetreut brach. Ach, hülfe ihr doch jemand auf! Ich selbst bekäm es, allein auf mich gestellt, nicht hin.
Erst aber noch weiterlesen jetzt. Wenn ich unterbreche, in einer halben Stunde, um in Wien die Löwin zu wecken, ist Zeit genug danach und eh ein Schnitt.

8.45 Uhr:
[Anton Urspruch, Viertes Fantasiestück für Klavier.]
Also gut: >>>> das da muß jetzt um etwa die Hälfte gekürzt werden. Und im Laden des Feuerlöschservices, der stets meine Post annimmt, wenn ich die Klingel nicht höre, lagen Kraussers >>>> Melodien. Fettes Taschenbuch von rororo, angenehmer in der Hand, viel angenehmer, als das ungelenke Hardcover von Luchterhand, das ich zur Zeit lese.

9.25 Uhr:
Schon fertig: 3465 von erbetenen 3500 Zeichen. Ich kann schon schnell sein, wenn ich will.
Jetzt an den Opernaufsatz für THEATER DER WELT.

[Rolf Riehm, Das Schweigen der Sirenen (>>>> Zagrosek).]

11.56 Uhr:
Jetzt ist auch der Opernaufsatz fertig und soeben hinausgeschickt. Da seh ich zur Uhr und stelle fest: allerpünktlichst zum Mittagsschlaf.

15.07 Uhr:
{Zemlinksy, Sinfonietta.]
Ein furchtbar unangenehmer Typ, dieser Konrad in Kraussers „Thanatos“; tapfer halte ich ihn seit 300 Seiten aus. Aber es wird schwierig, ein bißchen widerlich, zumal da nicht eigentlich wirklich jemand anderes ist, der das aufheben könnte. Eine Frage, die ich mir so noch nie gestellt habe: Weshalb soll ein Leser seine Lebenszeit für solche Ekelpakete vertun, wenn nicht insgesamt der Stil eines Buches ihm ausgleichende Lust schenkt? Immerhin, es gibt kosmologische Ideen, die manches für sich haben. Aber dieses antiquariatsstaubige, dabei süßlich (ja, ich rieche das!) nach Alkoholmißbrauch miefende Verdrängungsmännchen? Ich hoffe, dennoch, auf einen Entwicklungsroman. Wie gern ich den Typen schlachten würde!
Extrem tief geschlafen, nachdem mich ein Anruf des Profis herausriß: dann nämlich ziemlich irre geträumt. Ich müßte aber einiges hinzuerfinden, um davon etwas wiederzugeben, tät es auch gern, aber hab nicht die Zeit – – – / Oh, soeben geht eine Einladung ans Marbacher Literaturinstitut hier ein…

[Beat Furrer, Phaos für Orchester.]

15.35 Uhr:
So, jetzt habe ich Ihnen meine damalige Thanatos-Rezension, nachdem ich sie noch einmal las, so gut wie ohne Korrektur >>>> hierdrunter eingestellt.

17.36 Uhr:
[Sascha Brossmann, Quatervois: Four-TRack Magnetic Tape Arrangements.]
Jetzt, tatsächlich ist Fahrt in den Roman gekommen, der Umblätterer >>>> hatte recht; allerdings schon ein wenig vor der Seite 311. Jetzt läßt sich auch der Typ aushalten, weil er endlich etwas tut, auch wenn‘s ein Mord ist. Interessanterweise spiegelt die Sprache genau das wieder, wird enorm flüssig, ja leuchtet, fast fiebrig mitunter. Also jetzt ist das toll. Ich merk‘s daran, daß ich nicht dauernd nach anderem schaue, das zu tun wäre…
Je öfter, übrigens, ich Brossmanns elektronische Musik höre, desto intensiver wirkt sie. Auch sie ist jetzt archiviert, was bei mir immer heißt: zu meinem Hort genommen.

5 thoughts on “Arbeitsjournal ohne Geister. Dienstag, der 1. November 2011. Was von Romanen b l e i b t. Mit einer angehängten Rezension. Und Brossmanns Quatervois.

  1. Publizierende Extremindividualisten Maxim Biller schreibt unter der Überschrift ICHZEIT in der FAZ: “Übersteigerter Individualismus hat immer etwas Neurotisches. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, dass publizierende Extremindividualisten automatisch jede Form von Gruppenzwang, Massenidiotie und Ideologie ablehnen.” Da müßten Sie doch, lieber ANH, ohne weiteres zustimmen, habe ich recht?! Und ist Krausser auch einer von diesen, die zudem noch eine ganze literarische Epoche geprägt haben sollen, glaubt man Biller?
    http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/unsere-literarische-epoche-ichzeit-11447220.html

    1. @Schlinkert. Daß Krausser sie geprägt hat, wage ich zu bezweifeln. Und Biller prägt nicht, weil er sowieso identisch ist.
      Was Krausser tat und tut, das ist: eigenwillig zu sein, und zwar mit scharfer Rigorosität. Das spricht sich in allen seinen Büchern aus, mitsamt einem Genie, von dem wir alle noch nicht wissen, ob es halten wird. Aber wie antwortete er einmal der Frage, was er denn dazu sage, daß man ihm Größenwahn vorwerfe? Nun: “Erst kommt der Wahn, dann kommt die Größe.” Sein Werk zeigt, daß einiges dara n ist.

    2. @ANH Nun ja, Biller nennt in seinem Werbetext in eigener Sache die, die er nennen will und die Treibstoff bieten für seine steile These, wir alle lebten seit 25 Jahren in einer Ich-Epoche der Literatur. Er macht insgesamt eindeutig ein WIR auf wie ein Fass, nämlich Leser, Schriftsteller, Kritiker (in dieser Reihenfolge). Mit Leser meint er aber nur einen bestimmten Typus, der eine bestimmte Art von Literatur benötigt, wie Drogensüchtige ihre Droge. So kann der Leser unvermittelt mitleiden bei diesem armen, vom Leben geprügelten Ich – nun, wer Kitsch mag, wird also bedient. Die von Biller so belobhudelten Romane (und er tut einigen Unrecht mit dieser eindimensionalen Belobigung) sind ja alle solche, die das reale Ich des Autors mit seinen realen Erlebnissen in den Mittelpunkt stellen; Biller spricht in bezug auf Jörg Fausers Roman ‘Rohstoff’ sogar davon, daß sein Leben als Junkie “eine gute literarische Investition” gewesen sei, ja er behauptet, viele der besten, wichtigsten Bücher der letzten zweieinhalb Jahrzehnte seien ohne den extremen persönlichen Einsatz ihrer Verfasser nicht denkbar gewesen. In früheren Zeiten seit Anfang des 18. Jahrhunderts floss Seelenbefindliches zunächst in ‘Eigene Lebensbeschreibungen’ bzw. Biographien, eines der ersten Roman-Beispiele ist der psychologische Roman ‘Anton Reiser’ (1785 – 90) von Karl Philipp Moritz, mit dem sich der Autor sehr offen ins Licht der Öffentlichkeit rückte, allerdings wider Willen. Biller spricht in bezug auf die seiner Ansicht nach heute epochemachenden Romane davon, nur ein kräftiger Erzähler-Ich [sic] könne die faszinierende, den Leser mitreißende Illusion erzeugen, daß der Erzählende und der Schreibende ein und die selbe Person seien. Moritz wählte die damals immer noch ein wenig in Verruf stehende Romanform, um diesen Eindruck zu vermeiden, dennoch aber kenntnisreich aus eigener Erfahrung erzählen zu können. Die Leser allerdings ließen sich nicht auf eine Trennung ein und wollten daran glauben, Moritz sei in der Tat Anton Reiser; sie wollten also das im Roman erscheinende Ich nicht als rein poetisches akzeptieren, sondern nur als das Ich des Autors a l s Text. Diesen Typus des Lesers, nennen wir ihn den voyeuristischen, gibt es auch heute noch, er ist auf Sensation aus, auf das Inhaltliche, auf Intimes, Peinliches, Schreckliches usw., und da mit diesem Leser auch unter dem Label der Gegenwartsliteratur gutes Geld zu verdienen ist, stürzten und stürzen sich die Verlage auf diese Art Text. Biller verkennt durchaus nicht, daß große Literatur immer ein Tagtraum aus Buchstaben ist und es nicht zwingend nötig ist, sein eigenes Ich bis zur Kenntlichkeit zu entblößen – sein Beispiel aus den Tagen der realistischen Literatur ist ‘Anna Karenina’ – doch er läßt keinen Zweifel daran, daß der Autor immer von sich selbst spricht, so oder so. Dies direkt zu tun scheint Biller jedenfalls Gewähr zu sein für große Literatur, ja er sieht sogar den revolutionären literarischen Geist einer neuen, unideologischen Schule am Werk; das sei so viel Ich und Freiheitsdrang und tolle Literatur wie lange nicht mehr. Wie gesagt, der Text ist ein Werbetext, auch in Billers eigener Sache. Die Leser, denen es egal ist, aus welcher “Epoche” ein Werk stammt, werden ihm aber nicht folgen, denn eben diese schauen auf die Qualität der Texte und nicht darauf, wieviel Blut und Schleim aus ihnen heraustropft.

  2. Helmut Kraussers „Thanatos“. Von Alban Nikolai Herbst.

    [Geschrieben für die WELTWOCHE.
    Dort erschienen im Frühjahr1996.]
    Das ungebändigte Leben <<<<

    Stets wird Büchern wie Helmut Kraussers neuem Roman „Thanatos“ mystizistisches Raunen vorge­worfen. Dahinter steht eine Angst, die sich, in mora­lische Prämissen geschnürt, mit naivem politischen Glauben an Freiheit des Willens klammert. Krausser attackiert den. Ja die Konzeption, die er entwirft, trägt kaum mehr Aufgeklärtes, sondern behauptet wenn nicht mythische, dann psychiatrische Tragik. Das bereitet Unbehagen. Kein Wunder, wenn auf dieses Buch eingeschlagen werden wird.
    Konrad Johanser hat sein Institut mit Fälschungen zu Ruhm gebracht. Obwohl diese noch unentdeckt sind, wird ihm gekündigt, und er verkriecht sich, zumal gerade seine Ehe zerbricht, in einem abgele­genen Dorf. Dort trifft er seinen schwerstpubertie­renden Neffen Benedikt und sieht sich als jungen Mann in ihm, identifiziert sich zusehends. Es kommt zu einer fürchterlichen Katastrophe.
    Indessen ist sie durch noch etwas anderes, Unheim­licheres, bewirkt: Mit Johanser ist höchsteigen Tha­natos hierhergekommen und sieht von einem Baumstrunk hinab ins Tal. „Sein Gesang be­herrschte die Erde, und sein Fuß schabte den Takt…“
    Selten ist ein Klappentext wahr. Doch im Umschlag dieses Buches stimmt ein Satz: „(…) der Todesgott steht von Beginn an über der Handlung, ob wirklich oder nur als Projektion des Antihelden ist unge­wiß.“ Eben dieser Ungewißheit verdankt es sich, daß Kraussers Roman vielleicht nicht in allem gelingt, aber sich doch aus der sonstigen kommunikativen Verständigungsware heraushebt. Krausser jammert nicht. Er poetisiert Unheil. Das gibt seinem Text eine böse aggressive Energie.
    Leider macht nicht das den Lesern es schwer. Son­dern das vom Verlag als „Mut zur Langsamkeit“ gepriesene Erzähltempo ist anfangs schlichterdings zäh. Die oft verblasen-neoexpressionistische, zu­gleich provinziell-tumbe Handlung windet sich durch gestelzte oder ungewollt komische Formulie­rungslandschaften („…weil Kuchen in Johansers Speiseplan eine seltene Sache war…“) und staut sich vor Altklugheiten („Ist die Politur der Schön­heit abgegriffen, kriecht Billigkeit ans Licht“). Dann wieder dümpelt die Erzählung, brackwassert… und braucht einen deftigen Schub Pornografie, um sich ins Erzählbett zurückzuergießen. Das ist alles nicht schön, und ich kann mir Leser denken, die die Sa­che verärgert nach 70 oder 132 Seiten aufgeben werden.
    Denen kein Vorwurf. Auch ich hätte, wäre ich nicht durch den Rezensionsauftrag gebunden gewesen, bei folgendem Satz resigniert: „…selbst von ihren intimsten Zonen besaß er eine so exakte Vorstel­lung, daß ihm jede Überprüfung pedantisch schien.“ Das tut weh, keine Frage.
    Warum sich dem aussetzen? – Weil in so etwas Kunst versteckt sein kann. Weil sie entdeckt werden will, wozu nicht nur bei Krausser manch germanistoider NATOzaun überklettert werden muß. Seien wir ein­mal ehrlich: Wer hat nicht gelitten unter dem Bil­dungskitsch und den verquasten Parataxen im „Tod in Venedig“? Wem haben die dumpfen Stelzungen Gustav Anias Horns nicht bisweilen die Ge­schmackswärzchen verätzt?
    Aber was liegt an einem Text, der sich aufwandlos hingibt? Der restlos ausbalanziert ist, und jeder Satz stimmt bis in den poetischsten Ton? Was bleibt da­von zurück? Anders als zehn Elftel aller gegenwär­tigen Literatur wittert Kraussers „Thanatos“ dauer­haft nach. Was allerdings dableibt, ist unangenehm. Es leuchtet giftig visionär. Den Roman strukturiert eine – um einen seiner ungenannten Paten zu zitie­ren – ausgesprochen schiefe Geometrie. „Das schwere Licht – es kommt langsam. Es gleicht ei­nem schmelzenden Käfer.“
    Nämlich erzählt Krausser eine im Wortsinn unge­heure Verwandlung. Mehr noch vollzieht sich in seinem Buch, was meistens nur beschworen wird: – daß ein Mörder sein Opfer wird und schließlich ist. Krausser legt hierfür von allem Anfang an Spuren. Und Fehlspuren. Bereits die romantischen Bil­dungsschnipsel, die er prahlend offeriert, täuschen. Hinter dieser Ästhetik stehen weniger Rückert, Hölderlin, Bonaventura, als die von diesen gepräg­ten Symbolisten („erpelgrüner Samt“), besonders aber Lovecraft, nämlich Chthullu: „Die Stadt ist (…) aus Stein gebaut, doch sind die Mauern von zwei­felhafter Konsistenz, fühlen sich flüssig an (…), es scheint quallenartig, ein Ätzgift. Ohne daß man zu­sehen könnte, ist alles in ständigem Wechsel und Auflösung begriffen.“ Und auch das ist nur vermit­telt wirksam, über Clive Barkers „Hellbound“ etwa. Manche der von Krausser entworfenen Bilder und Horrorsentenzen sind direkte Produkte der Video- und Filmindustrie, ob nun „Lifeforce“ oder Pinkel­szene, ganz dasselbe, – doch in dem Gewebe, das sie und die aufgeedelten Bürgerbildungszitate der „klassischen“ Romantik umspinnt, verbirgt sich Thanatos möglicherweise tatsächlich. Eine sado­masochistische Postmoderne durchdräut den Ro­man. Die Drohung bewahrt ihn vor esoterischem Kitsch. „Was (Thanatos) gezählt hatte, listete er auf Papieren, die er dem Aktenkoffer entnahm.“
    Weil Krausser Ausdruckskünstler ist und ihn ganz offensichtlich Übergänge interessieren (ein von aparten Sexualfantasien unterminierter Bildungs­bürger verwandelt sich in ein aknegeplagtes Puber­tätshascherl und wird zunehmend selbst pubertär), darf seine Sprache nicht glatt und schon gar nicht – in ästhetischem Sinn – „erwachsen“ sein. Imgrunde hat Krausser einen inversen Entwicklungsroman ge­schrieben, also eine Regression zum Thema gehabt. „Wir erst erschaffen, was gewesen ist.“ Und ob­wohl in der 3. Person erzählt, ist das Buch doch Rollenprosa. Denn dieser Autor arbeitet nicht mit Distanz, sondern mit Nähe. Oft bricht die scheinbar sichere Perspektive hinweg, und Ich-Sätze sind un­vermittelt in den Text geschnitten. Insofern muß die Sprache regredieren. Was viele scheinbare Unsäg­lichkeiten und Stelzungen mehr als nur hinreichend erklärt. Freilich nicht alle. Aber die Mißgriffe kon­trastieren grellschöne Manierismen („Ein Rest Himmel irrt umher“) und dramaturgisch eindrucks­volle Satzschnellen. Selbst Charaktere treten auf, etwa der Schrull, der im Moor den Eingang zur chtullhschen Dritten Zone bewacht. Und auch auf Formulierungen wie „losches Grün“ muß man erst einmal kommen. Noch werden sie bei Krausser mit Entgleisungen bezahlt. Nur gibt es derzeit nicht viele junge Autoren, die den Mut haben, unbe­kannte Strecken überhaupt noch zu fahren. Helmut Krausser hat ihn. Bei aller Verstimmung, die einem sein Buch bisweilen macht, ist es doch lebendig, wie je nur Irrtümer sind. Und außerdem: Dort „hauste Schönheit, die sich aus ihrer Nähe zur Wahrheit er­gab.“

    ANH, Feburar 1996.
    Schöppingen und Frankfurt am Main.

    Helmut Krausser: >>>> Thanatos – Das schwarze Buch
    Roman, Luchterhand Verlag München 1996

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