Von den Empfängen. Ein Gesellschafts-, doch nachher das Krausserjournal des Mittwochs, dem 9. November 2011. Sowie Christoph Hein.

4.57 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Mußte mal den >>>> CCleaner über die Laptops laufen lassen… Am Seitengerät läuft er noch. Auch >>>> Spybot ist fällig. Deshalb, obwohl ich geradezu maschinenstrikt um halb fünf hochbin, jetzt erst die ersten Zeilen des Arbeitsjournals. Es wird ansonsten wieder ein >>>> Melodientag werden. Bis Seite 302 bin ich gestern gekommen, habe also 302-abzüglich-Vorspannerei -> mithin 294 Seiten gestern gelesen, bevor ich zum FAZ-Empfang aufbrach:

Hotel de Rome am Abend, FAZ-geflaggt.


Nachdem ich Büning nun endlich einmal persönlich traf, doch für wirkliche Gespräche ist auf solchen Festen nicht Raum, und als ich mich dann mit ihr in den hinteren Raum durchwühlte, spottete Claudius Seidl um drei Nuancen zu laut: „Jetzt weichst du ihr nicht mehr von der Seite“, worin mitschwang, daß sie sich für >>>> den Pettersson-Text sehr eingesetzt, ihn durchgedrückt hatte, den die übrige Redaktion für „zu literarisch“ befunden, als daß man ihn in einer Wochenzeitung, der Frankfurter Sonntagszeitung nämlich, abdrucken könne; sowieso sei Pettersson nicht genügend bekannt, und was nicht bekannt, so die Mainstreamoktrin, brauche mit Recht nicht erwähnt zu werden; wir treten halt gern, was schon fällt. Jedenfalls flog der an sich für die Sonntagszeitung vorgesehene Text und kam >>>> auf der Schallplattenseite, nicht nur sanft auf, sondern die trug ihn. Auf der >>>> Netzpräsenz der FAZ steht er nach wie vor nicht. Als ich das vorhersah, stellte ich ihn in Der Dschungel ein. Sò.
Frau Merkel war da, wie sich das auch dann gehört, wenn Herr Berlusconi zurücktritt. Doch las ich eben, er habe den Rücktritt erst angekündigt. Nun werden wir sehen. Die Sonntagszeitung wurde zehn Jahre alt, deshalb war der Herbstempfang diesmal groß. Auch zu meiner Begrüßung schon war Seidl süffisant (und immer, immer eine Spur zu laut: als würde man sprechend rufen): „Das finde ich schön“, fast ein tapfer klang ganz von oben herunter drin mit, „daß du jedesmal zu den Empfängen kommst“, was zumal gar nicht stimmt; das letzte Mal war ich vor drei oder vier Jahren dort hingeradelt. Aber ich ließ mich nicht ärgern, sondern ihn stehen.
Dennoch fühlte ich mich nicht wohl, tu das nie auf solchen Zusammenkünften; immerhin habe ich keine Furcht mehr, sondern nehm die Tableaux als Feld & Labor für den Blick. Bezeichnend, wie wenig Frauen dortwaren, ich meine alldie, die nicht nur als Gattin dabeisind wie vornehm gekleidete, schimmernde oder glitzende Schatten. Ein paar aber schon, und auch schöne. Es >>>> ‚hatte‘ traumhafte Pumps und, gestreckt durch die schmalen, spitzen Heels, Waden im Sinne der Nächte, von denen >>>> der Ochs von dem Sommer spricht des Junis und Julis, August: „Da ist bei uns da droben so ein Zuzug/von jungen Mägden aus dem Böhmischen herüber…“. Das läßt sich von manchen Empfängen ganz ebenso sagen. Ich hatte auch Glück und ward, da ich so stand und schaute, von einer berückenden Russin besprochen, aber in elegantest auf Kontakte surfendem Deutsch; so muß man das machen, dachte ich, als ich ihr die erbetene… nein lidschlagser>>>>circte Visitenkarte reichte; aber ich reichte sie nicht, sondern steckte sie in das schmale Band ihres Gürtels, der schon weitere Visitenkarten mit ihrer Taille ver-, sagen wir: kuppelte; als Geste war das von mir, sofern man die Assoziationen meiner Erlebnisse hat, nicht völlig ohne Pikanterie. Eine dunkelhaarige, feueräugige, zugleich konziliantsanft blickende schmale Jugend voll heller Intelligenz und auf sehr langen Beinen. Joachim Unseld wiederum erzählte mir einsteils von einem Verlegerkollegen, der verlege ‚alles, was läuft‘ (AWL), sowie von dem – selbstverständlich in den USA geprägten – neuen Wort für wirkliche Bücher, also solche, die nicht digital, sondern traditionell erschienen: pbooks. (pbooks und ebooks – geben Sie zu, daß das ein herrlicher Reim ist -)
Ophelia Abeler schließlich, die längst anders heißt und, was ich gar kaum glauben mochte, Mutter unterdessen ist, aber eine Erscheinung zur Nacht, wie direktemang aus >>>> Tiffany‘s spaziert. Wir kennen uns seit >>>> TRAFFIC, Buchmesse 2010; hier liegen noch Exemplare herum. Auch da sei ein Hühnchen zu rupfen gewesen und nunmehr, an diesem Abend, ein nächstes, auf einer der Stangen ziemlich weit oben. Ich bekam die Hintergründe mit, aber bin, wenn es sein muß, diskret. Sonst werd ich mit Recht nicht mehr eingeladen. Sogar Helge Malchow saß und gab die Honneurs herum, Chef von Kiepenheuer & Witsch, der, als er noch Chef nicht gewesen, in meiner und Susanna K.‘s gemeinsamer Küche gehockt, vor dreißig Jahren in Frankfurt am Main, und meiner Mitbewohnerin die Augen eines ganzen Softmannes machte. Worauf sie ziemlich stand, ich weiß das, auf diesen gestoßenen Balg eines männlichen Rehs voll zielgerichteter Sanftmut. Wer hätte damals gedacht, in welch einer Macht die eines Tages leuchten würde? Manches, Susanna, wär anders gekommen, womöglich, hätt man das da schon gewußt – ach, was bin ich, Leser, naiv gewesen. Nein, von Iris erzähl ich jetzt n i c h t. Die war auch gar nicht da; ich mag nicht dauernd das Thema verfehlen. Geradezu abstrichslos fehlte aber Conradi.
Ich stand erneut in der Kunstmusik, aber kam nicht wirklich in ein Gespräch. Noch ein lockrer Austausch in der Zigarrenlounge bei einem Cigarillo –
(>>>> Bamberg, der Herr Direktor Goldmann undsoweiter) (aber auch C., aus Bamberg, simste, der ich >>>> die siebte Elegie gewidmet, indirekt, nämlich als dort angesprochene Frau) (Bamberg zu Bamberg, das fand ich fast mystisch, wie das so direkt hintereinanderging) – dann –
ging ich.
***
Das sind so Betriebsnudeleien. Man lernt da viel, auch wenn, was man lernt, Bestätigungen sind.
***
Wovon es auch schöne, intime, erwachsene gibt: Solch ein Stolz, als mein Sohn gestern, bevor ich aufbrach, zum Celloüben hierwar und ein Duo spielte, dessen Pianist in den Boxen zugangwar:

Streichinstrumente fordern einem sehr vieles ab; jetzt erst, nach so vielen Jahren, beginnt das Instrument, unter den Händen dieses Elfjährigen zu klingen, wirklich zu klingen. Ich schnitt mit, so berührt war ich. So stolz eben auch, und so glücklich. Vater sein dürfen.

6.13 Uhr:
Zurück an den Krausser. Neben mir rippt‘s Harnoncourts Neunte von Bruckner für UF; meine alten CDs hatten Fehler; ich ergatterte die Klangbox für sozusagen dreifuffzich plus Porto im Gebrauchtnetz. Des Materiales Tauschwert zerfällt in buchbare Mehrwerts, die negativ sind. Übrig bleibt DAS WORT, das im Ohr zu Klang wird. Sofern wir‘s begreifen:

Die Griechen nannten diejenigen, die von Musik nichts verstanden, Ignoranten – egal, welche Fähigkeiten sie sonst besaßen.
Krausser, >>>> Melodien 185



8.37 Uhr:
Dauernd schleppte ich >>>> das da mit mir herum und wartete auf Gelegenheit wie auf Diebe. Sie kam indes nur immer real. Weshalb ich jetzt, sozusagen und ohne male y penser, nachdrücke.

11.21 Uhr:
Das ist ein geradezu unfaßbares Buch:

Atemlos lese und lese ich, berührt, je ergriffen, aufgeregt, immer schneller werdend, mich aber immer wieder unterbrechend, um etwas herauszuschreiben und dazuzunotieren. Der reine Wahnsinn. Wie kann solch ein Roman nicht permanent in aller Mund und Geist sein? Man müßte Wände einreißen vor Wut, wenn man mit ansieht, was dem gegenüber gepriesen wird – welche Kleinheiten, miesen Gutgemeintheiten, welches Herumgeschicker und Gedöns. Es ist einfach zum Kotzen, entgülte es einem nicht dieses Buch-selbst: wie ein Geschenk, das salbt.
Bin auf der Seite 400 angekommen. Muß aber jetzt unterbrechen: Fußpflegetermin in einer halben Stuunde, und ich bin noch gar nicht angezogen, noch habe ich Zähne geputzt –

12.47 Uhr:
So, zurück. Vor einem Geschäft hing tatsächlich ein Plakat, auf dem

ALL YOU NEED IS EAT
zu lesen war.
Mittagsschlaf. Danach gleich mit dem Krausser weiter, und abends wird in der Akademie der Künste der neue >>>> Horen-Band vorgestellt, diesmal zu Heinrich v. Kleist. Es wird eine Art Abschied sein von Johann P. Tammen, einem, wie Katharina N. das gestern nannte, der wenigen wirklichen Lichter am Himmel des Betriebs, will sagen: es schaut in ihn hinab, so hebt man das Antlitz zu ihm auf und ist dankbar:

22.15 Uhr:
Seite 601. Allmählich ermüden die Augen, trotz ihrer >>>> Neuheit. Harnoncourts großartige Aufnahme der IX. Bruckners gehört, mitsamt den Fragmenten des vierten Satzes, Expressionismus pur. Davor Gesualdos Missa Papae Marcelli, die in Kraussers Roman eine Rolle spielt. Danach Mahler IX unter Tennstedt, dann die X in Barshais Rekonstruktion und Komplettierung. Seitdem wieder Stille, wieder allein das Melodienbuch.
Aber die Nervosität stieg und wurde kurzfristig sogar etwas wie Angst: noch steht keine Zeile fest des Typoskripts, geschweige, daß ich schon Sprecher oder gar einen Termin für die Aufnahmen (und was denn?) hätte… – Ich unterdrückte den Panikimpuls mit dem mir ständig zuhandenen Satz: ein gutes Pferd springt knapp. Aber je nun. Mir kam die Idee, man müsse Kraussers Melodien, worin sich Biografien befinden, mit seinem Puccini parallellesen und daraus dann etwas verquicken; dann wiederum dachte ich: wozu ein Studio? ich baue die O-Ton-Ästhetik des >>>> Ricarda-Junge-Stückes jetzt noch aus. Ich zieh die Konsequenzen. Eventuell sprech ich auch alles selbst. Das schwirrt mir hin und her durch den Kopf. Wobei es wirklich reizvoll wäre, sämtliche Sprecher außerhalb eines Studios aufzunehmen, mit „natürlichen“ Geräuschen, Störungen, aber auf Musik nachher gesampelt. Mal sehen.
Weiterlesen.

(Zum >>>> Horen-Abend bin ich nicht gegangen; ich muß einfach weiterlesen, muß durchkommen, kann mir keinen Leerlauf mehr leisten und schon gar nicht einen Christoph Hein; der würde mir aufs Gemüt schlagen, nachhaltig, wenn nicht schlimmer. Es gibt Menschen, die ertrage ich nicht, da bekomme ich Atemprobleme und gastrische Invasionen der Speiseröhre oder werde aggressiv, was noch schlimmer ist. Hein gehört zu denen, seit er mich, seinerzeit wegen >>>> MEERE, mit einem Vergewaltiger verglich, im SPIEGEL. Einen solchen Liebesroman derart mies zu denunzieren – das werde ich ihm mein Leblang nicht verzeihen. Damit hat er sich schwer vergangen. Und soll nun straflos bleiben? Wird auch noch öffentlich an den Eiern gekrault? Ah und dann! dann sah ich diesen Menschen mit Gerhard Schröder beisammen: nie lakaite jemand tiefer: seine Stirn schlug ans eigene Schienbein, so gnadenlos dienernd vor der Macht. Bleibt mir vom Leib!)

[Jacobo Peri, Euridice (1600).]

0.20 Uhr:
Okay: vier Stunden Schlaf jetzt. Ab jetzt. (Melodien, S. 626, und noch ein paar Krausser-Interviews im Netz gelesen).

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