Das sind, wenn man sie bemerkt, große Momente dieser Inszenierung, wie sie das vorgeblich persönliche Geschick und persönliche Haltungen auf die Verfassung der Welt überträgt, und immer mit diesem etwas bitteren, doch süßen Lächeln, darin sich Weisheit gern verbirgt – oder weil wir sie anders nicht zu erkennen vermögen. Sie kommt uns drin entgegen, in dem sie sich ganz ebenso verniedlicht, wie das Mohrlein verniedlicht ist, vor dem die ethnische Korrektheit, die neuerdings sogar Mark Twain hintübersäubern will, immerhin achtsam haltgemacht hat. Bloß hat man ihm ein blaues Antlitz gegeben und die dicken Lippen weißgeschminkt. So winkt uns das Kind, noch bevor der Vorhang des vermeintlichen Rokokos gehoben. Und pinnt gleich „Ist‘s ein Traum?“ daran, dabei schon das Ende des Stückes im Händchen, nämlich das Spitzentaschentuch, mit welchem winkend das Mohrlein durch die letzten Operntakte abflitzt. Da aber hat sich sowohl das Palais noveau als auch das unterdessen zum Beisl-Séparee verwandelte Schlafgemach der Marschallin längst ins Ewige hinaufgehoben, und ein blaues Firmament schimmert, dunkelrund und weitblau, um die Liebenden herum; hoffnungsvoll unter dem Anstoß leuchtet es schmal, aber hell – eine geradezu erlösende Abstaktion, auch wenn wir wissen: ach, es wird der junge Octavian bald selbst ein Feldmarschall und in Wald und Kammer auf Jagd sein, und das naive Sophiechen wird‘s dann
, nunmehr Frau Gräfin Rofrano und nimmer, nimmer noch naiv.
Manchmal verharrt das Stück retardierend in der Aktion, was möglicherweise der Wiederaufnahme geschuldet ist, die, nach so langer Zeit, einer Neueinstudierung gleichkommt, durch aber eine andere Hand, nämlich Gundula Nowacks, etwa wenn die beiden Intriganten das quasi inflagranti ertappte Jungpaar schnappen und lange, zu lange rufen müssen, bis endlich jemand herkommt; auch das herrliche Durcheinander des Foppens von Akt III ist nicht immer recht getaktet, oder halt nicht
mehr, wogegen wirklich kaum zu merken war, daß diesen Ochs – auf dem fiesen Umweg über seinen Sänger – ein Hexenschuß erwischt hat. So dann noch zu singen, meine Güte, drei Chapeaux! Achtbar die Marschallin Lioba Brauns, wenn auch, wie häufig, eine Spur zu alt: Wir müssen doch fühlen, daß Octavian mitnichten werde ihr letzter „Bub“ gewesen sein – in Zeiten des da noch höchst ungefesselten Patriarchats eine folgenswerte Leidenschaft, übrigens, dieser beachtlichen Frau zum erigierten Jüngling. „Sie wissen zwar nicht, was sie tun“, habe Madonna gesagt, „das aber durch die ganze Nacht.“ Reife, schließlich, hat sie selbst. Die muß sie sich nicht holen. Der Einfall aber, sie am Ende des Ersten Aktes sich seitlich auf den Sessel setzen zu lassen, von wo sie kurz ins Publikum schaut, ist für die Intimität ihrer Wahrheit zu resignativ, auch zu bedeutsam, zumal dazu der Vorhang fällt; da bleibt Götz Friedrichs Regie uneingeholt: Frau v. Werdenberg, bereits für den Kirchgang gekleidet, wendet sich auf ihren eleganten Schuhen herum und läßt noch einmal ihren Blick durch das ganze Zimmer. Denn wir, wir sind da von keiner Bedeutung: so stolz ist sie allein.
Fehllos, vollkommen, Kathrin Görings Hitzsporn Octavian, so absolut ideal für die Rolle und Partie, wie es auch Eun Yee Yous in ihrer zauberhaften Erscheinung dieses naiven Zickleins wäre, wär es ihr denn möglich, die ganze Partie in hellerer Lage zu singen: Nicht, daß sie nicht, wo es drauf ankommt, die wirklichen Höhen, und klangschönst, erreicht hätte. Das durchaus. Doch insgesamt ist die Stimmfarbe, vor allem in den Mitten, zu nahe an Octavians, über dem sie eigentlich schweben müßte alle Zeit. Und in Akt III stand sie in der Tür, als wär sie nervös nicht des Geschehens halber, also als die aufgeregte, hin- und herverwirrte Sophie, sondern wie eine Sängerin, die ihre Partitur verfolgen will und auf präzisen Einsatz spannt.
Glänzend Gaston Riveros Sänger.
Vital bis in die schönsten Tiefen Jürgen Linns auskomödierter Ochs und von verblüffender Chuzpe Jürgen Kurths Farinal, triumphierend schmetternd, als der Tag beginnt, und niedergeschlagen mies, wenn der gehemmte Verkauf seiner Tochter den Aufstieg bedroht, und bitter dann, so auch gesungen, sein wohlfeiles „So sind sie halt, die jungen Leut“, worauf Lioba Braun leider kein „Ja, ja“ zu entgegnen weiß, dessen Klang die ganze spezielle, von ihrem Leben erfüllte Marschallinnen-Färbung aus leichter Bitterkeit, Güte, Raffinesse und freundlicher Herablassung enthalten kann und sollte. Wenn irgend einer Person der Literatur wäre ein wirkliches Grabmal zu setzen, dann ihr, und auf dem Wiener Zentralfriedhof nämlich. Wir schmückten jährlich dort den Stein.
Ihr auch zuliebe wäre zu wünschen gewesen, daß Ulf Schirmer, Generalmusikdirektor und Intendant des Hauses, hätte die Möglichkeit gehabt, mit diesem großen Orchester Hofmannsthals und Straussens Oper so neu einzustudieren, als wäre das Stück noch nicht schon hundertmal gespielt. Wahrscheinlich aber hat ein Farinal modern dagegen buchgehalten. Oder die Gewerkschaft.
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Richard Strauss
DER ROSENKAVALIER
Komödie für Musik in drei Aufzügen
Text von Hugo von Hofmannsthal
Gewandhausorchester Leipzig.
Musikalische Leitung Ulf Schirmer | Inszenierung Alfred Kirchner | Bühne Marcel Keller | Kostüme Joachim Herzog | Choreinstudierung Alessandro Zuppardo | Einstudierung Kinderchor Sophie Bauer.
Lioba Braun – Jürgen Linn – Kathrin Göring – Jürgen Kurth – Eun Yee You – Katja Beer – Martin Petzold – Karin Lovelius – Matthew Anchel – Keith Boldt – Torsten Süring – Dan Karlström – Gaston Rivero – Andreas Reinboth.
Chor und Kinderchor der Oper Leipzig.
Die nächsten Vorstellungen:
>>>> Freitag, 06.01., 18:00 Uhr.
>>>> Sonntag, 19.02., 15:00 Uhr.
Für Karten bitte die Links anklicken.
Repertoiretheater und zu viele Wörter.
Wenn Sie mehr Bilder brauchen. Empfehlen wir Ihnen >>>> Comic-Sites.
(Aber schön, daß es Ihnen gelang, das Wort “Repertoire” >>>> aus der Überschrift ganz fehlerlos zu übertragen.)
So einfach ist es nun doch nicht: auf der einen Seite die Kulturträger/Besserwessis, auf der anderen die Umzuerziehenden mit der Rechtschreibschwäche?
Ansonsten stehe ich eher auf Marvel und Image.
“Besserwessis”? Interessant. Aber jetzt lassen Sie sich immerhin ein. Also wär es doch fein, begründeten Sie Ihre Kritik an der Kritik. Dafür ist die Kommentarfunktion ja geöffnet; >>>> unter anderem dort wurde gezeigt, wie das sinnvoll und der künstlerischen Sache dienlich ist. Wenn Sie hingegen nur nörgeln wollen, ist Die Dschungel der völlig falsche Platz. Für so etwas gibt es die >>>> Plauderblogs. Um es kurz zu sagen: Anspruch ist gefragt, Selbstanspruch.