… öffnete das kleine paket von meiner schwester. schon als ich es ansah, mußte ich lächeln. „vorsicht glas!“, „nicht werfen!“, „wehe dem, der dieses geschenk nicht sorgfältig behandelt!“, obendrauf in großen lettern: „an meine schwester….“
das erste, was mir entgegenfiel, war goldstaub in mengen, über und über im paket verteilt. ganze viele kleine schokiweihnachtsmänner, in dunkelgrün schwarz gekleidet. liebevoll eingepackt in eine kleine stofftasche aus samt eine tüte selbstgebacke cantuccini, dazu im nächsten stoffbeutel eine flasche vin santo. vier kleine in cellophanpapier gewickelte selbstgebackene lebkuchen, die sich in ihrer form zu einem adventkranz zusammenfügen lassen, inkl. der aus zuckerguß hergestellten kleinen kerzen obenauf. ja… und dann fand ich da noch etwas größeres, lachte schallend, als ich es auspackte. im sommer waren wir beide auf dem geburtstag meines bruders, stellten fest, daß wir beide das gleiche auto fuhren, sie hatte es sich gekauft, wir hatten nicht darüber gesprochen. in der nacht hinter ihr fahrend, ich schlief bei ihr an diesem wochenende, blitzte die kleine blanke auspuffblende an ihrem wagen so schön, daß ich bei ihr angekommen ausstieg, nur eines sagte: „auch so was haben will.“ „kannst mal sehen, welche wirkung eine blende hat, sie wertet das ganze kleine auto auf.“ „blende… im wahrsten sinne des wortes“, grinste ich. in eine große schleife eingebunden, auf der geschrieben steht, finde ich sie nun im päckchen: „damit du auch so was hast… viel spaß beim blenden.“ ganz unten am boden liegend eine kleine tüte aus pergamentpapier, so wie es sie früher immer am kiosk gab, die uns der mann hinter dem fensterchen mit bunt gemischtem füllte. das tütchen von oben bis unten mit liebevollen weihnachtswünschen beschrieben…. „liebe große schwester“…(…) … „deine kleine schwester.“ in der tüte eine bonbonkette.
das rührte sehr, obwohl sie die jüngere, kleine war, wurde sie immer für die große, ältere gehalten, was sie ihr leben lang ärgerte. ich war immer diejenige, die jünger aussah, und somit immer für die jüngere von beiden schwestern gehalten wurde. als ich das erste mal wählen ging, meine schwester mich begleitete, fragte man mich, ob ich auf meine mutter warten wolle, meiner schwester drückte man den schein in die hand…. oh, war sie wütend. heute ist sie damit versöhnt, wir sehen zumindest gleichaltrig aus. heute sagt sie das gern, und manchmal absichtlich: „meine große schwester.“
vorhin telefonierten wir, ich bedankte mich von herzen. traurig war sie, ihr sohn begeht das erste mal den heiligen abend nicht zu hause. „weißt du, das ist ja alles gut und richtig so, ich freue mich sehr für ihn, daß er sein leben jetzt auf eigenen grund stellt, diesen heiligen abend das erste mal mit m. allein verbringen will, aber es fühlt sich so komisch an, und es tut weh… mir als mutter tut das weh. ich brauch überhaupt nicht mehr für ihn zu kochen, er kommt, duscht, packt sachen, geht wieder… er braucht mich nicht mehr, ich fühl mich so wert:los, aber die kinder kommen ja am ersten weihnachtsfeiertag, sie werden das erste mal an weihnachten meine gäste sein.“
sie erzählte mir dann noch, daß sie es jetzt nach zwei jahren endlich geschafft hat, ein kind aus ihrer gruppe aus der familie rauszuholen, und in eine pflegefamilie zu geben. „du glaubst nicht, was ich jeden tag sehe, was eltern mit ihren kindern tun, ihren kindern antun. das jugendamt geht hin, kommt zurück, und sagt mir, daß alles in ordnung sei. die nachbarn wissen es, hören den jungen jeden tag schreien, und s i e schweigen. vor zwei wochen kam der junge, der vater brachte ihn, mit dick verbundener rechter hand morgens in den kindergarten. er war kalkweiß, stand eindeutig unter schock, ich nahm ihm den verband ab, mir wurde schlecht. ich rief einen krankenwagen, er hatte schwerste verbrennungen in der gesamten handinnenfläche. seit zwei jahren kommt dieses kind fast jeden morgen mit anderen erscheinungen körperlicher mißhandlung in den kindergarten. striemen von schlägen auf dem rücken, auf den armen, den beinen und unter den fußsohlen. blaue flecken überall, immer wieder hieß es, es sei gestürzt, oder der vater hatte andere ausreden parat. fünf mal war das jugendamt da, kam immer wieder mit derselben aussage zurück. er spricht immer noch nicht… die gesamte körperliche motorik ist unterentwickelt, er ist schwerst verhaltensgestört, wird sechs jahre alt.“ so zu handeln ist für meine schwester nicht nur eine berufliche gratwanderung, für die sie jetzt von ihrer obrigkeit auch noch verurteilt wurde, weil sie es wagte, sich einzumischen. „ich werde es nie verstehen, die leute sehen dieses elend, aber sie wagen es nicht zu handeln, sie wissen es, aber sie schweigen. und eines kann ich jetzt schon garantieren, es wird einen prozess geben, in dem der vater bein und stein schwören, daß er das nie wieder tun wird, und dann wird dieser junge in diese familie wieder zurück müssen, dieses ganze elend wird von vorn beginnen. seit 25 jahren mache ich jetzt diesen job, es ist immer wieder das gleiche spiel, nur das hier mit dem leben von kindern gespielt wird. wieso kann eigentlich jede dumpfbacke kinder in die welt setzen, für’s auto braucht man einen führerschein, für die waffe einen waffenschein, nur… einen elternschein, den gibt’s immer noch nicht.“