A.D. VI Non. Mai. Anno 2762 a.u.c.

Sechster Tag vor den Nonen. Dies fastus. Compitalia [Fest der Straßen-Laren, man brachte Opfer an den Kreuzungen (= competa)]. Es beginnt der Argestes zu wehen [so ein Wind aus WSW]. Die Hyaden gehen auf (Ovid). Morgens gehen die Hyaden auf. Nördliche Winde (Columella).
Für „Argestes“ hat der Kalender in Übereinstimmung mit Columella einen Nordwestwind. Aber alles Nachschlagen zeigt nur in diese nördliche Richtung (mal das west-/östliche beiseite lassend), ohne aus dieser zu kommen. War ja auch kein Wind heute. Also. Gestern abend rief noch der Freund aus Berlin an. Ob ich denn wieder käme in diesem Jahr. Ich werd’s wohl ihm zuliebe tun. Das wäre dann in diesem Sinne auch ein „mir zuliebe“. Das Telefonat am Ende im Abschiedsschlenker noch zu begründen, gebrauchte er das Wort „Sehnsucht“. Wir schreiben uns selten, eigentlich wäre ich an der Reihe, und versprach es noch einmal. Wir hören selten voneinander. Scheinbar brauchen wir das auch nicht unbedingt. Wir erkennen uns ja immer gleich wieder. Nachts träumte mir dann (seit langem geschieht es selten, daß ich mich erinnere). Zunächst ein Traum im Traum. Eine alte, hagere, lange, dünne Frau in schwarzen Kleidern kippt nach hinten in meine Arme. Und ist tot. Später passierte dasselbe in der Traumwirklichkeit. Wie im Traum, dachte ich. Erklärte es den Umstehenden. Die im wirklichen Traum wirkliche Tote wurde wirklich nach draußen auf eine Wiese gebracht (wo heraus? aus kaufhausähnlichen Umgebungen). In der Nähe ein halbnackter Mann, dessen Körper dort in sich gekauert lag, wie wenn einer auf der Seite liegend etwas liest: alles angewinkelt und ein bißchen wurstmäßig. Der übernahm dann die Rolle dessen, der Anstoß nahm an der Nähe des Todes da auf der grünen Wiese. Tatsächlich war er der einzige. Alle anderen Beteiligten hatten nur die Sorge des Wegschaffens und Wegholenlassens. Des Entsorgens. Ich selbst sah nur diese schwarzen Rücken, die in mich hineinsanken. Keine Gesichter. Nun ja, von so einer Traumwurst lassen sich sicher herzhafte Scheiben abschneiden. Es kommt mir alles schon fast banal vor. So denn auch der restliche Tag. Der das Übliche brachte. Und wieder so wichtige Sätze bei Kafka. Über Beziehungen, und vor allem Ehe. Ich bin müd’ es wiederzugeben. Müd’ auch aller Emphasen, im nachhinein. Denn ich hatte T. heute wieder per skype. Hatte ihr geschrieben. Bißchen emphatisch wieder. Aber Die leichte Möglichkeit des Briefeschreibens muß – bloß teoretisch gesehen – eine schreckliche Zerrüttung der Seelen in die Welt gebracht haben. Es ist ja ein Verkehr mit Gespenstern undzwar nicht nur mit dem Gespenst des Adressaten, sondern auch mit dem eigenen Gespenst, das sich einem unter der Hand in dem Brief, den man schreibt, entwickelt oder gar in einer Folge von Briefen, wo ein Brief den andern erhärtet und sich auf ihn als Zeugen berufen kann. Wie kam man nur auf den Gedanken, daß Menschen durch Briefe mit einander verkehren können! Man kann an einen fernen Menschen denken und man kann einen nahen Menschen fassen, alles andere geht über Menschenkraft. Briefe schreiben aber heißt, sich vor den Gespenstern entblößen, worauf sie gierig warten. Geschriebene Küsse kommen nicht an ihren Ort, sondern werden von den Gespenstern auf dem Wege ausgetrunken. Durch diese reichliche Nahrung vermehren sie sich ja so unerhört. Die Menschheit fühlt das und kämpft dagegen, sie hat, um möglichst das Gespenstische zwischen den Menschen auszuschalten, und den natürlichen Verkehr, den Frieden der Seelen zu erreichen, die Eisenbahn, das Auto, den Aeroplan erfunden, aber es hilft nichts mehr, es sind offenbar Erfindungen, die schon im Absturz gemacht werden, die Gegenseite ist soviel ruhiger und stärker, sie hat nach der Post den Telegraphen erfunden, das Telephon, die Funkentelegraphie. Die Geister werden nicht verhungern, aber wir werden zugrundegehn. (Kafka an Milena, gegen Ende, und im Grunde bin ich mit Kafka tatsächlich zuende; weiteres werde ich vorerst nicht lesen). Das Zitat ist aber nun kein Schweißtuch der Veronika, das mir selber vom Gesicht abgezogen worden wäre. Aber mit dem Finger kann ich dennoch zeigen: So eine Nase habe ich auch. Die Türen sind so offen wie die Nebel undurchsichtig sind.

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