Fünfter Tag vor den Kalenden. Dies comitialis.
Er erreicht die Via Flaminia. Aurora bereits auf der Höhe des Marineministeriums. Aber selbst wenn er sie erreichte, wie soll er sie packen, wie sie würgen, jetzt, mit nur noch einer Hand und nur vier Fingern?… Kaum hatte er sich die Frage gestellt, lösen sich die vier Finger von der Hand und rollen auf der Erde, als wären’s vier Würstchen.
„Macht nichts… Ich werd’ sie mit den Füßen anspringen… Mit Kopfstößen auf sie zu rennen… Den Schädel ihr in den Magen stemmen… Erlöschen soll sie mit der Kälte meines Todes… Hauptsache, ich erreiche sie… Sie daran hindern, die Welt wieder zu entzünden… Catin! Catin! Catin!”.
Herr L. erreicht den kleinen Palast von Papst Julius, kommt am Gitter des Monte Parioli vorüber, läßt die kleine runde Kirche des Vignola hinter sich. Fliegen nur noch so… Herr L. gewinnt an Boden. Vor dem Stadion spürt er, wie sein Körper sich nach links beugt. Obwohl er kein Gefühl mehr für seinen Körper hat, begreift er, daß ihn das rechte Bein nicht mehr trägt, es löst sich ab…
Er legt an Geschwindigkeit zu, um leichter zu werden… „Vielleicht schaff’ ich’s ja doch“, denkt Herr L. Er erinnert sich an die Idee eines Yankees in dem Zug, mit dem Philéas Fogg quer durch die Vereinigten Staaten fuhr, nämlich steife Züge zu bauen, die bei entsprechend hoher Startgeschwindigkeit keine Brücken mehr brauchen, um Flüsse zu überqueren.
„Wenn ich noch schneller werde, brauche ich meine Füße nicht mehr“. Er hat den Platz vor dem Ponte Milvio erreicht. Er fällt nach rechts, und da das Gelände dort abschüssig ist, rollt das Bein ein ganzes Weilchen und verliert dabei Stücke von sich, schließlich bleibt es am Rand des Bürgersteigs liegen.
Ein paar Lumpen bleiben liegen. Der Strohhut macht sich selbständig wie das Rad eines Bollerwagens. Der Mantel zuckte und bebte noch, als bedeckte er ein paar frisch geworfene Welpen.
Aurora betritt den Ponte Milvio zwischen den Statuen des Johannes von Nepomuk und der Maria Immaculata, „macula non est in te“, und jenseits biegt sie nach rechts in den Viale di Tor di Quinto. Blaßblau fließt der Tiber unter den Brückenlampen dahin. – Alberto Savinio, Il signor Münster (ad hoc übersetzt)
L. ersetzt den Herrn M. auf seinem „Spaziergang“ heute morgen, jedoch weit jenseits der Aurora, obwohl er sie dann in den Viale di Tor di Quinto begleitete. Mein Fußweg war derselbe. Ein bißchen Schweiß aber nur verlor die Stirne. Die Straßendirne Morgenrot, oder das Abendrot des Weines. Gleichviel, um fünf ohne Wecker und vor der Zeit auf den Beinen gewesen. Vielleicht auch auf den Beiden, wie anfangs die Beine hingetippt dastanden. Ich stehe auf Beiden. Und beiden, dem M. und der Aurora, war ich ja nach-gegangen. Daß ich diesen Gang machte, wird sicher mit dieser Stelle zu tun haben, auch wenn mir erst im Nachlesen klar wird, daß ich ihn wohl deshalb unternahm. Ich hatte nur die vage Erinnerung an die Flaminia, aber die geht auch jenseits des Tiber noch weiter und kommt fast bis hierher, führt also am Soratte und an Narni vorbei. Gut, diese Verortungen sind mir immer sehr genehm. Und die Stelle eignet sich auch für M. in Berlin, den Eos-Selbander, den auf einen Brief und auf mich wartenden. Den Wartenden vom Wartenden. Nein, hier ist nicht der Wartesaal der Weltgeschichte. Hier warten nur Geschichten.