ABCR-94-APCA

Bis unter die Waden reicht mir der Mantel, vielleicht Maßschneiderei: „f.lli Sonnino Roma“. Wie auch der andere Mantel den ich habe, der aber etwas kürzer und dunkler ist. Der indes trägt keinen Namen, aber den Schneider hatte ich kennengelernt. Der wohnte gleich neben dem ehemaligen Schwiegervater, für den er dann auch gemacht worden war. Nie getragen. Die Schulterbreiten sind unterschiedlich. Der erstere ist breiter in den Schultern, macht mich zum Trapez. Je nun, ich hab’ mich gestern spät abends im Spiegel studiert. Das Palästinenserfummel-Imitat baumelte nicht schlecht herab in das sich nach unten hin verjüngende Trapez. Irgendwann nämlich am Heiljen Abend fingen zunächst die Frauen an, abgetragene Kleider sich anzuprobieren, die – ich weiß nicht wer – zum Weitergeben mitgebracht hatte. Irgendwann machte der Mantel die Runde. Nachdem ich ihn anprobiert, bekam ich aus unerfindlichen Gründen einhellig den Zuschlag. All das subsummierend unter befriedigte Eitelkeit. Dem vaterlandslosen Verein hatten sich an dem Abend auch noch drei Österreicherinnen zugesellt. Eine sehr betagte Mutter, die über 20 Jahre in Fermo unterhalb Ancona gelebt und deren Mann im letzten Jahr gestorben, mit ihren Töchtern, die in der Gegend leben und sie seit kurzem (seit einer Woche!) in Amelia untergebracht haben. Und entdecken, daß die eine mit dem toskanischen Akzent in Haarlem aufgewachsen (Petrus Stuyvesant läßt grüßen) und ihr Sprechen plötzlich in ein Kannitverstan für mich verwandelte. Das Essen indes deckte die Breitengrade zwischen Libanon und Kolumbien ab. Vor der Feier bat mich noch die arg erkältete Neffenmutter, ob ich nicht den Neffenvater, ein Senegalese, vom Bus abholen und hinaufbringen könne. Der manchmal zu Besuch kommt. Bunte Welt, möchte man meinen. Zumal auch in der Atmosphäre des Romans ‚Unter dem Vulkan‘. In Quauhnahuac, diesem phonetischen Quasi-Palindrom. Worein sich manches mischt. Selbst Ugo, mein einstiger Hund, der nichts mehr kontrolliert in seinem Alter, dessen Herz schwach und dessen Ausscheidungen ihn einfach nur noch verlassen, wo’s pressiert. Wo Geoffrey sich auf der Straße liegend wiederfindet. Ich mir zwei Rippen breche (letztes Jahr). Und alles um das Eine kreist, in dem ein O-Ring sich in Bedienungsanleitungen flüchtet, ohne daß der eigentliche sich noch erhaschen ließe bzw. in den Willen einbiegen ließe, ihn noch zu wollen. Nein. Aber Fragen dann doch heute bei der Neffenmutter, weil gestern dort beim nunmehr 0-Ring Weihnachten und toute la famille war, während sie mir einen Kaffee bereitete und der Neffenvater, elegant gekleidet, davon erzählte, daß er tagsüber in Rom ein Automobil von Platz zu Platz fahre, auf dessen hinterer Ladefläche ein Werbeungetüm in die Luft ragt (auf ital. heißt das ‚vela‘, also schlicht ‚Segel‘). Suite VI in D-Dur – Courante [3/4].

2 thoughts on “ABCR-94-APCA

  1. 26. Dezember, und nachlesend Leicht verspätete Weihnachtsüberraschung: dass Bruno Lampe wieder schreibt. Hatte das Nachschauen wohl irgendwann nach Dezemberanfang aufgegeben; nun nachgelesen. Das Vergnügen, das Wort „apotropäisch“ zu assoziieren, trotz leicht divagierender Bestimmung, bevor es dem Diaristen wieder einfiel. Erinnerungsrest aus einem Seminar über Mysterienreligionen, Adenauer war damals gerade erst in der Wochenschau rheinaufwärts geschippert worden.
    Ich hoffe, Sie schreiben nun wieder weiter. Auch über die Passform getragener Mäntel.

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