Wir liefen über Görings Grundstück. G. hatte vorher, noch im Auto, gefragt: „Hast Du den Nerv für einen schlechten Witz?“ Ich: „Na dann!“ Er: „Ribbentrop war auch da.“ [Mein berüchtigter Großonkel erschuf mir zu meinem Schaden öffentliche Identität: Obwohl ich mit dem Mann gerade siebten Grades verwandt bin, wirft sein Name noch jetzt mit Schuld nach mir. Ich habe darüber geschrieben, aber das Buch ist verboten worden. Egal.]
Jedenfalls ist es nicht ohne zynischen Geschichtswitz, daß ich nun mit G. bisweilen hierherfahre und mich – wohlfühle. Görings Anwesen, an der schmalen Ostseite des Sees, indes G.’s Häuschen am Westzipfel liegt, wurde dreimal gesprengt: von ihm selbst, als die militärische Niederlage absehbar war, von der Sowjetarmee, die das Gebiet überlief, und ein drittes Mal von der NVA. Nun liegen durch den Wald verstreute, von Kletterpflanzen überwachsene oder aus Bennesselbüschen hervorleuchtende, knochenweiß verwunschene Steinbrocken herum, bisweilen läuft man über einen breiten Treppensims, die Wandreste eines Swimmingpools schimmern wie blaue Türen unter dem Laubwerk durch, alles macht den Eindruck verfallener Geschichte und duftet: Oh ja, dahin möcht man zurück. Nur die stumpfen Steinsäulen, die zu Seiten der Einfahrt auf das Anwesen erhalten geblieben sind, lassen die brutale, ignorante Grausamkeit ahnen, die hier Bauherr gewesen ist. Genau das haben die Sprengungen vernichtet: architektonische Erinnerung, die sich durch eine falsch-emotionale ersetzt… so, wie man über Trümmerstücke des SPQR geht, berührt vom Finger einer idealisierten Geschichte, die wie für das vom Humanismus reklamierte Griechenland völlig vergessen läßt, daß es sich um Sklaven- und Vasellenreiche handelte. An die Stätte eines Mannes, der dem Teufel jedes schwere Wasser reichte, ist heute der Vorschein heiler Natur getreten, durch die die Reste einer märchenhaften Kultur, versteckt in moosige Steinstumpen, locken.
Sprengung als ein Verdrängungsakt. Palast der Republik.