[Händel, Agrippina. Der unfaßbare Michael Chance. Laut mitpfeifend. Was einem den folgenden Gedanken so distanziert überhaupt erst erlaubt. Denn es ist die Musik, die die Emotionen in sich saugt. Ein für allemal, er hatte recht, ist’s Orpheus, wenn es singt.]
Um die Flucht vor dieser Frau durchzuhalten, um nicht rückfällig zu werden, um ihre Einflußnahme auf mein Leben ein- für allemal abzustellen (was wegen meines Jungen und wellengefügter Interventionen nun nicht mehr restlos möglich ist), war genau ein Charakterzug durchzuformen und zu füttern, den ich eben von der Mutter h a b e (der Vater war ein schwacher Mann): Diese unbeugsame, kaum je versiegende, meine Umgebung meist irritierende, bisweilen aber ängstigende Energie, die mich noch heute täglich kaum fünf Stunden schlafen und beim Erwachen nicht selten aus dem Bett s p r i n g e n läßt, der ich es ebenso verdanke, daß ich, mit zwei Stunden Leistungssport dazwischen, problemlos und jeder Idee eines Wochenendes ledig zehn Stunden hintereinander arbeiten kann und die mich am Abend direkt vom Schreibtisch und ohne spürbare Ermüdung meiner Konzentration ins Konzert oder in die Oper gehen läßt; oft schreibe ich nach der Aufführung noch einzwei Stunden weiter, hör den Schwarzmitschnitt ab und formuliere dabei die Kritik. Dazu bin ich ein ziemlich aktiver Vater. Abgesehen von den Besuchen in der Lützowbar und neuderdings der Strandbar Mitte, aber auch da habe ich meist den Skizenblock dabei, ist mir der Begriff von Freizeit fast nicht nachvollziehbar. Ich kann ihn denken, aber nicht fühlen. All das verdanke ich einer verabscheuten Mutter, die reiner Wille war und noch jetzt in zwei Amateurorchestern spielt, Kunstveranstaltungen initiiert & moderiert und überdies eine politische Karriere begonnen hat. Mit über 75.
[Diese Erbschaft ist obendrein inhuman, da ich dieselbe Unermüdlichkeit auch bei anderen erwarte. Schwäche kann ich nicht ausstehen. Überkam sie mich selbst, wurde sie immer sofort Depression. Den Vater allerdings, den liebte ich.]