Der Vielen jauchzendes Glück nährt sich aus der Einzelnen Not.

Blinzeln. Es hatte geregnet, hat geregnet, die ganze Nacht hindurch, und ich wußte – sie wußte – nicht mehr, wo sie war. Angekommen als eine andere, gestern, vor einem Jahr? Nicht länger Mutter. Nur noch Flucht. Immer diese Tropfen, säuselig, seltsam dichtsüß, etwas, das mich verspinnen ließ. Geschlafen im Kokon, gewiegt. Ich weiß nicht mehr, wie ich hineinfiel, wollte vergessen. Ich hörte Stimmen, die streichelnde Hände, die selber Mutterhände waren. Ich hätte mißtrauischer bleiben müssen. Gegen sie, gegen mich. Ich war gelaufen, erinner mich, weggelaufen, weitergelaufen, meine Kinder waren schon tot.
Es ist lange her, daß ich lief, eine Wiese, eine Höhe, ich erinner mich nicht. Kein Wald mehr. Ich war von festen Böden, über Steine in eine Öffnung gelaufen, hinter der es nicht Boden mehr gab, nicht Decke, nicht Seiten, nicht Richtung. Wo also liege ich hier? Sucht man mich noch? – Ein Jubelschrei, so kam es mir vor, als sie meinen Unterschlupf entdeckten, die Tür öffneten, aufrissen wohl: „Haben wir dich?!“
Noch stand ihnen das Blut auf dem Kinn.
Und die ich gestern getötet hatte, krümmten sich noch im Sofaschlaf vor dem Fernsehgerät.
Da war ich durchs Fenster schon wieder fort – paar Schüsse hinter mir – nicht mehr –
Es war die früheste Dämmerung.
Auf den Wiesen stand nabelhoch Nebel. Es war, als schwömme ich aus dem blaschenden Blaulicht heraus, tauchte unter den Wagen hindurch, deren Motoren noch liefen; die Türen standen sperrangelweit auf, und die Schützen hockten im Anstand dahinter. – Sie jagen in Horden, seit Jahrhunderten feige:
Ein Biß nach links beißt sie weg, ein Biß nach rechts – so lief ich – sie lief, so sehe ich mich – lief mit geschlossenen Augen, hörte von innen, die Verfolger von innen: eine Gemeinschaft –
– inwendig Volk.

So durchschnitt ich das erwachende Meer dieses Morgens –
sah schon das Land, doch auch sie schon waren wieder nahe heran.
Ihren Menschengeruch wurde ich gar nicht mehr los. – Ich rannte weiter.
Ich hockte mich bauchflach in die Kuhle.
Stapfen.
„Hier ist sie!“ Das mechanische Schnappen der Hähne. Ein paar vorbei. „Hier! Die Fährte!“: Ein andrer. – Hochschnellen, weiter, Flatteratem, sie standen überall, ich hetzte im Kreis, sie kamen von vorne, von hinten…
„Hier ist sie jetzt!“
„Dort!“
„Schneidet ihr den Weg weg!“
Ich fand ein Gebüsch, ich drückte die Flanke hinein. Es roch nach altem Atem und Konserve und Moos und Metall.
So wollte ich schlafen.
Schlafen? – Nichts merken, hinüberschlummern.
Blinzeln. Es hatte geregnet, hat geregnet, die ganze Nacht hindurch, und ich wußte – sie wußte – nicht mehr, wo sie war. Angekommen als eine andere, gestern, vor einem Jahr? Nicht länger Mutter. Nur noch Flucht.

Ein Jubelschrei, so kam es mir vor, als sie meinen Unterschlupf entdeckten – die Tür öffneten, aufrissen wohl – Und sahen auf mich hinab:
„Bringt sie um!“
Sie schossen, ich ersehnte es schon.
Wer stirbt, muß einig werden mit den Mördern.
Ich ging in die Knie. Mir tobte der Schmerz, in den Knien, den Schenkeln – dann trafen sie meine Schulter, links –
sie schossen mich langsam kaputt!
Ich wußte ja: das ist Haß – das wird kein schneller Prozeß, den ganzen Schmerz zerfetzten sie mir, Splitter, Schrapnelle, es seufzen die Winde.

Ich sah meine Kinder noch einmal, drei, erst erschossen, dann mit den Äxten zerteilt, die Köpfe flachgeschlagen.
Dann hier ein Bein – ein Lauf – da der vertrocknete Stempel über der Schnauze – das ganze Gras, umher, darunter – rote, ins Schwarze verschrumpelte Kruste.
Die andere Schulter platzte.
Meine Ohren platzten.
Die erste Axt blitzte, da atmete ich noch.
Jubelnd traten sie mir in die Weichen, triumphierend rissen sie mir das Gedärm aus dem Bauch.
Stießen mir die Faust ins Geschlecht und zogen das Geschlecht heraus.
Lachten. Standen johlend bis zu den Waden in meinem schäumenden Blut.

Nie sah, nie h ö r t e ich solches Glück.
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herbst & deters fiktionäre

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