Mütter. Das verbotene Buch.

Ich kann mich nicht konzentrieren. Denn dauernd stelle ich mir meine Mutter vor, die sich in dem Prozeß um das Buch, dessen Titel ich nicht nennen darf, gegen mich als Zeugin hat nennen lassen. Sie wird also auftreten wollen, um ihren leiblichen Sohn mitzuvernichten. Und ich stelle mir vor, wie sie mit dem Kläger beisammensitzt und die Lebens-Entfernung dessen plant, der vor einem knappen halben Jahrhundert aus ihrem eigenen Leib kam – und welch ein vibrierendes Zucken von Lust sie nun durchschauert, daß sie dieses ungeliebte Leben endlich aus der Welt bekommt. Wie sie sich für ihre Wehen rächt, sich daran erbaut, solche Schmerzen ganz umsonst ausgestanden zu haben. Ich schmücke diese meine Vorstellung mit jederlei Detail aus.Und sehe meine Mutter bereits im Gerichtssaal stehend, triumphierend über das eigene Fleisch. Ich kann und ich will nicht wegdenken. Ich will in diesen sehr kalten, in diesen gemütslosen Haß h i n e i n. Denn ich ahne, daß ich so Al Quaida begreife und von innen heraus schildern kann. Auch das ist ANDERSWELT.

Und noch etwas wird deutlich, nämlich abermals das, was ich schon früher die Wiederholung von Mustern nannte. Nach einem auch politischen Ehekrieg zwischen meinen Großeltern väterlicherseits landete meine Großmutter, indes sich der Großvater mit Nazi-Reden korrumpierte, im Zuchthaus. Daraufhin wurde mein Vater von dem seinen, der seine Frau höchstwahrscheinlich bei den Nazis denunziert hat, auf die NaPolA gegeben, die Elite-Schule der Nationalsozialisten. Als das ZwölfTausendJährige Reich zusammenbrach, kam meine Großmutter aus dem Zuchthaus frei und ließ sich sofort ihren Jungen holen. Da war der sechzehn. Und logischerweise ein (wahrscheinlich) strammer Hitlerjunge. Das hat meine Großmutter derart entsetzt, daß sie ihn verstieß. Doch nicht nur das: In sämtlichen Zeitungen, die unter Aufsicht der Alliierten erscheinen durften, sagte sie sich per Anzeige öffentlich von diesem Sohn los. Man nennt so etwas Kälte des Herzens. Meine Mutter hat mir immer in höchstem Stolz von dieser Frau erzählt. Sie hat meine Großmutter zutiefst bewundert, zumal die mit Theodor Heuss korrespondierte.
Ebendas wiederholt meine Mutter nun. Freilich o h n e Heuss.

12 thoughts on “Mütter. Das verbotene Buch.

  1. traurig
    endlos traurig
    aussichtslos?

    das physische und emotionale entfernen zwischen menschen ist üblich
    wenn dies menschen betrifft die einander liebten, einander gehörten (und so ist das zwischen kindern und eltern halt) dann entsteht eine leere die ausgefüllt werden will
    mit was auch immer
    neid, trotz, hass
    endloser schmerz inbegriffen
    ob der leere und ob der neuen fülle

    es tut mir so leid

    [meine welt würde zusammenbrechen, wenn meine liebevolle beziehung zu meinen eltern zerstört würde auch wenn ich mich auch gelöst habe (wie es normal ist) sind wir doch noch eine einheit und lieben einander sehr]

  2. seltsam, wieviel auf einmal, gerade eben beim lesen dieses textes. kaum zu fassen. das mag wohl eine weitverbreitete gegebenheit sein, in welcher form auch immer. gestern die postkarte meiner mutter, harmlos, aber. wer weiß? es sind wiederholungen, ja, hüben wie drüben. zwanghaft vielleicht. und es ist verachtung wie bewunderung gleichermaßen. das als größter aller schrecken.

    1. Meine Mutter hielt die Totenrede selbst. Auf meinen Bruder. Der perfektionistische Mann war am Tag seines 40. Geburtstags wegen eines läppischen „Fehlers“ bei einer Extremsportart umgekommen. „Wenn es einen Platz im Himmel gibt, mein Junge, dann halt mir einen frei“, sagte sie.

      Sie hat ihn sehr… ja, hat sie?… geliebt.

    2. weiß mans? kann man wissen? die wiederholungen liegen wie schleifen um uns, immer im weg, im blick.. tatsache ist – vielleicht? – daß wohl jeder tut, was er kann, womöglich sogar im besten sinne. auch im lieben. im zerstören.

    3. Im Zerstören gibt es nur dann Güte. Wenn es etwas e r r i c h t e t. Oder, besser: Wenn es singt. Shiva. – Und wieder. Und i m m e r wieder Homer:

      Die Götter wirken Ungemach, damit die Menschen etwas zu singen haben.

      Ganz ähnlich übrigens Chlebnikov. Davon erzähl ich im Wolpertinger. Was also hat meine Mutter singen lassen? Na gut: Oder wen?

      Na gut: Mich.

    4. – singen lassen? wie eine jukebox? oder besser? mehr? mit güte eben?
      – shiva, ganz recht. zerstörung errichtet immer etwas, ob wir wollen oder nicht, macht wege frei. singen und tanzen, warum nicht. nur die wieder und immer wieder sich wiederholenden wiederholungen sind so unnötig. irgendwann. wenn einfach nichts neues mehr darin wartet. lauert. warnt.

    5. schon klar. es war da und es ist neu, weil ich noch nicht da war. bleibt die hoffnung, daß die kraft reicht für genügend aufmerksamkeit. und abschied.

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