Sie haben den Gegenstand ihrer Trauer als Libido-Objekt besetzt. Davon läßt man freiwillig nicht. Verarbeitung bedeutet aber – Trennung.
(CX).
Das Literarische Weblog, gegründet 2003/04 von den Fiktionären.<BR>Für Adrian Ranjit Singh v. Ribbentrop.
Sie haben den Gegenstand ihrer Trauer als Libido-Objekt besetzt. Davon läßt man freiwillig nicht. Verarbeitung bedeutet aber – Trennung.
(CX).
nicht un-wahre worte, gelassen geschrieben…
und doch meine ich sie haben verarbeitet, wie kaum wer anderer, und wollen dennoch nicht los kommen… oder etwas provokanter: dürfen sie überhaupt loskommen?
Sie haben verdinglicht. Kein anderes Beispiel ist (zynisch formuliert, Die Dschungel geben es zu:) schlagender als das Berliner Holocaust-Denkmal. Die Deutschen haben aus den Opfern Dinge gemacht, – steinerne gesichtslose sarghafte Götzen, denen sie ihrerseits opfern.
Während eines Vortrags sprach ich einmal von der „negativen Selbstheroisierung der Deutschen“. Das ist der direkte Effekt dieser Verdinglichung, daß es bei der Heroisierung, also der heldischen Auserwähltheit, b l e i b t. „Keiner war jemals so furchtbar wie wir“ bedeutet eben a u c h: „Es reicht niemand an uns heran.“ (Ein besonders zynischer Neben-Witz ist dabei, daß Hitler Österreicher war und die Deutschen ihn gegen alle politische Korrektheit bis heute für sich allein reklamieren.)
„Auschwitz“ bleibt unser! Dialektik, zynisch „Keiner war jemals so furchtbar wie wir“ bedeutet eben a u c h: „Es reicht niemand an uns heran.“…
Und das soll auch so bleiben!
Die Deutschen haben ihre Geschichte tatsächlich nicht verarbeitet. Gleichwohl haben sie sie „bewältigt“, auf das sie den größtmöglichen moralischen Mehrwert abwirft: Keine andere Nation fühlt sich moralisch legitimierter, mögliche (oder nur behauptete?) Völkermorde militärisch(!) zu verhindern, als die der Deutschen. Das ist gegenwärtig und zukünftig die geschichtsphilosophische Mission Deutschlands (siehe Jugoslawien-Krieg). Niemals ließen sich Hegemonialinteressen geschickter wiederbeleben, als unter dem Deckmantel der historischen Läuterung.
Geschichte wiederholt sich nicht, und wenn, dann nur als Farce. Den Ruf als GröVaZ (Größter Völkermörder aller Zeiten) lassen die Deutschen sich jedenfalls nicht nehmen.
Gleichzeitig ist damit das wirkliche Dilemma der deutschen Geschichte mit der Folge der Unentrinnbarkeit auf den Punkt gebracht. Wie kann einerseits dieses Grauen eingeordnet, relativiert werden, vielleicht unter Verweis auf all die ebenfalls Millionen, für die andere namhaft zu machen sind? Kann es ja nicht. Mit der Folge aber des Ausweises der Einmaligkeit, ja des pervertierten „Auserwähltseins“. Ein Ausweg ist nicht wirklich zu erkennen, außer man hielte dieses Dilemma bewusst aus. Geschichte als Last ohne Belohnung.
Ich halte das für grunsätzlich falsch. Übrigens auch für unmenschlich gegenüber unseren und überhaupt gegenüber Kindern. Mit welchem Recht maßt sich eine Nation an, Buben und Mädel mit Schuld zu stigmastisieren? Was nicht verarbeitet werden kann, wird verdrängt, und Verdrängtes kehrt wi(e)der.
Es ist auch egal, ob es sich um 6 oder 10 Millionen Opfer handelt, numerisch ist das Problem nicht zu fassen. Und auch nicht durch die – unwahre – Aussage, die Deutschen seien die gößten Völkermörder der Geschichte; jedenfalls nicht, wenn in relativen Zahlen gesprochen wird. Die Vergleiche sind insgesamt ungut. Aber es gab den Vökermord an den Katharern durch die römische Kirche, es gab den Vökermord an den Indianern durch die einwandernden Europäer, ebenfalls Christen. Es gab den Völkermord an den Atzteken durch Spanien, gleichfalls Christen. „Neu“ war die industrielle Zurichtung, aber als solche ein Reflex des Hochkapitalismus, eben der Verdinglichung, die sich nun gegenüber den Opfern wiederholt. Von Völkermorden in Kriegszeiten will ich gar nicht erst reden, da haben sich die USA wahrlich keinen Ruhm geholt.
Was nun aber Ex-Jugoslawien anbelangt, so läßt sich eine ungeschicktere Politik als die deutsche sicher nicht vorstellen; es ist nicht ganz von der Hand zu weisen, daß eben die deutsche Inervention es war, die maßgeblich am Beginn es Abschlachtens stand und es mit ausgelöst hat.
Eine historische Rolle als Kriegsverhinderer sähe ich für Deutschland wirklich gern, aber da ist das Maul immer vor der Handlung, die in diesem Fall Haltung wäre. Gegen die Irak-Intervention sein und zugleich Überflugrechte erlauben, kann nur bigott genannt werden. Die Haltung der Deutschen in diesem Kriegs“verhinderungs“fall entspricht exakt ihrem Verhalten zur „Vergangenheitsbewältigung“ genannten Verdinglichung der Opfer.
P.S.: Übrigens ist es schon problematisch, von „die Deutschen“ zu sprechen. Wer genau ist damit gemeint? Auch zum Beispiel mein Sohn, im Januar 2000 geboren?
„Größter Völkermörder“… … ist ja keine quantitative, sondern eine qualitative Aussage über einen industriellen, fabrikmäßig organisierten und durchgeführten Massenmord, auf den sich „die“ Deutschen in dem oben gemeinten, zynischen Sinne, durchaus einiges zu Gute halten können: „Das macht uns so schnell keiner nach!“ und neuerdings: “Wer es aber versucht, bekommt es mit uns, d.h. unseren Soldaten zu tun! Schließlich haben wir unsere Lektion gelernt.“ Manchmal reicht schon die unbewiesene, und wie sich herausstellte, falsche Behauptung, da versuche es jemand (siehe Scharping 1999).
Der Hinweis auf Jugoslawien bezieht sich also auf die Begründung für die deutsche Kriegsbeteiligung. Das ehemals pazifistische Motto „Nie wieder Krieg – Nie wieder Auschwitz“ wurde um seine erste Hälfte gekürzt und so in ein kriegslegitimierendes Motto umdefiniert. Und niemand anderes als eine ehemals friedensbewegte Partei konnte diesen Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik durchsetzen.
Das es einzig und allein um knallharte politische und ökonomische Interessen geht, ist fürs Gemüt zu profan, ein bisschen moralische Selbstrechtfertigung kann die „deutsche Seele“ schon brauchen, wenn man wieder in den Krieg zieht. Und „Nie wieder Auschwitz“ ist nun mal die beste Feder mit der man sich schmücken kann, um sich selbst und den anderen etwas vorzulügen.
Deutschland als Kriegsverhinderer? Nein! Ob Krieg oder nicht Krieg, ist eine Frage der Macht, die Moral nur zur Selbstrechtfertigung kennt. Und da wir nun mal im Kapitalismus leben, setzt man sich für Frieden oder Menschenrechte eben nur dann militärisch ein, wenn das Ganze für uns einen deutlich höheren Profit verspricht als der status quo. Ansonsten gestattet man allenfalls Überflugrechte…So kleinlich wollen wir ja nicht sein…
Etwas anderes ist die Frage nach Schuld.
Das alle Welt und nunmehr auch wir selbst in selbstzerstörerischer Weise uns, d.h. alle Deutschen und alle nachfolgende Generationen, unter das Verdikt einer Kollektivschuld stellen, halte ich für einen Popanz. Diese Nebelkerze haben schon immer diejenigen in die Debatte geworfen, die gerade nichts mehr mit der deutschen Vergangenheit (soll heißen: mit dem tausendjährigen Reich) zu tun haben und auch nicht mehr daran erinnert werden wollten. Die Unterstellung eines Kollektivschuldvorwurfs versucht von Fragen nach Verantwortung abzulenken. Schuld „hat“ immer nur das Individuum für sich selbst, niemals das Kollektiv. Und Schuld vererbt sich nicht. Verantwortung, und das heißt hier: historische Verantwortung trägt das Individuum (in je unterschiedlichem Maße) aber als Mitglied eines Kollektivs, und dazu gehören nicht nur die jeweiligen Zeitgenossen, sondern auch ihre Nachfahren.
Daher haben Kinder niemals die Schuld ihrer Vorväter und -mütter, aber sie stehen in einem Verantwortungszusammenhang. Das kann durchaus auch eine Last sein, der man aber nur entfliehen kann, in dem man sich bewusst außerhalb des Kollektivs stellt. Als Deutscher müsste man dann allerdings die Staatsangehörigkeit wechseln. Versucht man diese Last zu verdrängen, kann man sich sicher sein, dass sie irgendwann wiederkehrt.
Die Frage ging nach der Verarbeitung der Geschichte: Wenn „Verarbeiten“ also „Trennen“, „Sich lösen“ bedeuten soll, muss das zu verarbeitende Gewesene zuerst als etwas eigenes angenommen und nicht abgelehnt werden. Das impliziert eben nicht Schuld, sondern die Anerkennung einer historischen Verantwortung, die gegenwärtiges und zukünftiges Handeln beeinflusst. (und nicht zur Instrumentalisierung in dem oben beschriebenen Sinne benutzt wird.)
Insoweit bin ich völlig einverstanden. Nur irren Sie, was das „nicht-individuelle“ Übernehmen von Schuld anbelangt. Mir ist in der dritten Klasse zum Gaudi und Hohn sämtlicher Mitschüler von meinem damaligen Klassenlehrer exressis verbis gesagt worden, ich würde eines Tages genau so gehängt werden wie mein „Großvater“ (der tatsächlich nur ein Großonkel 7. Grades ist, aber das sieht man ja meinem Namen nicht an). Ich habe also sehr deutliche und nie vergessene Erfahrungen mit dieser Art von Schuldzuweisung an Kinder.
(Übrigens schreibe ich darüber in meinem verbotenen Buch; es ist hoch interessant, daß bei allem Presserummel auf diesen tragenden Aspekt niemand je eingegangen ist. – Und selbst für diesen Hinweis könnte versucht werden, mich straflich zu belangen.)
Das ist allerdings perfide. Die Aussagen zu Schuld und Verantwortung sind normativ-anthropologisch zu verstehen. Das in der Realität immer wieder unzulässige Schuldzuweisungen vorgenommen werden, steht außer Frage. Ich wollte nur auf eben diese Unzulässigkeit hinweisen und bin der Meinung, dass es sich dabei um (nicht zu verharmlosende) Ausnahmen handelt. Wobei der Satz Ihres Klassenlehrers allerdings an Perfidität kaum zu überbieten ist. Einem Kind im Alter von acht, neun Jahren gräbt sich diese Erfahrung natürlich sehr tief ein.
Mir sind auch Aussagen gegenüber Kindern bekannt in der Form: „So etwas wie du wäre im dritten Reich vergast worden“ und das stille Einverständnis des Sprechers damit war dann nicht zu „überhören“ gewesen. So wie in Ihrem Falle (vermutlich?), fühlt sich das Kind natürlich schuldig, denn warum sonst würde jemand so etwas zu ihm sagen. Das Kind „trägt“ dann nicht nur eine diffuse, ihm unverständliche Schuld, aufgrund derer es vergast werden müsste, sondern auch die Schuld, dass es dafür nun „leider“ zu spät ist.
In Abwandlung einer Kohl’schen Formel könnte man hier von der „Schuld der späten Geburt“ sprechen.