Nadia. In Afrika. Buenos Aires im Kongo. Berlin.

Heute arbeiten die Arbeiter auf dem Grundstück des Sanften nicht. Ich stelle dennoch mein Fahrrad gegenüber an die Hauswand, bin ja fünf Minuten zu früh. Will hinüber, vielleicht doch durch die Absperrung KINDER HAFTEN FÜR IHRE ELTERN ein reiner Unsinnssatz, sagte Gregor. Durch die langen verklebten Sperrbahnen rotweiß, die das herausgerissene Gatter ersetzen, hindurchschlüpfen an den riesigen Containern vorbei. Am Boden gucken vielleicht find ich was das mich erinnert. Da fällt mein Blick, ich will das Rad anschließen, an den Hausrand, die kleinen hineingehämmerten Steine des Bordwegs. Gleich da liegt eine Buchseite, nicht herausgerissen, herausgefallen einfach; ein schlecht verleimter Papierstoß wird das gewesen sein. Ich nehme die Seite auf, 147/148, sie ist eingeknickt, von einem Fußabdruck dreckig. Ich beginne zu lesen und bin eine Minute lang fort.

Nun kamen auch die anderen Personen näher, betasteten neugierig Nadias Schultern, vergruben ihre Finger in ihrem Haar, tuschelten und lachten. Im Handumdrehen hatten sie in der Berührung, in Mimik und Gestik eine gemeinsame Sprache gefunden und der Rest war einfach. Die Pygmäinnen spielten Nadia vor, was mit ihnen geschehen war, und sie begriff, dass die Frauen von ihren Männern getrennt worden waren, dass die Männer für Kosongo Elefanten jagen mussten, nicht wegen des Fleisches, sondern wegen der Stoßzähne, die er wahrscheinlich an Schmuggler verkaufte. Wenn sie es richtig deutete, gab es noch eine zweite Gruppe Männer, die für den König in einer Mine weiter im Norden Diamanten schürften. Daher stammte sein Reichtum. Die Männer bekamen für ihre Arbeit Zigaretten und etwas zu essen und durften hin und wieder ihre Frauen sehen. Lieferten sie nicht genug Elfenbein oder Diamanten, trat Kommandant Mbembelé auf den Plan. Es gab viele Strafen, Leute wurden umgebracht, aber am meisten fürchteten die Frauen, dass man ihnen ihre
Kinder wegnahm? dachte ich. Doch die Seite 149 verloren wie der Sanfte, der immerhin auch nach dem Süden wollte. War er übergesetzt nach Marokko? Von dort weiter, immer weiter, bis zur Elfenbeinküste hinunter? Ist ihm der furchtbare Mbembelé, nachdem er seinen Dienst im Osten quittiert hat, in einer der Brachen begegnet, die für Buenos Aires ein neues Afrika sind? Wird er dort Nadia treffen? Nimmt sie ihn an den Samt ihrer Brust? Ach Geliebte, wird er träumen, nachdem er für die Nacht direkt an der Spree einen Unterschlupf fand, ach Geliebte, deine rosenschwarze Haut…

[Ich pinne die Seite an die Wand links neben den Ofen.]

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