5.03 Uhr:
[Giordano, Fedora.]
Mit etwas Mühe, aber pünktlich auf; ich lag ja mal wieder erst kurz nach eins im Bett. Hatte mich für nach dem Billard für das zweite Binddate des Tages noch im Silberstein verabredet. Soll man nicht machen: entsprechend war das dann nämlich, obwohl mein Nachtrag von gestern, den ich gleich noch aus dem Notizbuch übertragen will, etwas anderes vermuten läßt. Aber ich hätte schon der permanenten Duzerei wegen mißtrauisch sein müssen, vor allem, wenn mir eine, die ich gar nicht kenne und sie kennt nicht mich, als SMS unter anderem folgendes schickt: …und sie will heute noch einen kuss von ihm, als teilreisekostenerstattung. schon am forderungen stellen? ja. Nachmittags hatte sie im Chat noch gefragt, ob mein Profilbild auch meinem Aussehen entspreche. Und dann kommt ins Silberstein eine flippig auf sagen wir auf 16 hergemachte 35jährige, ziemlich untersetzt und in halbgepunkten Klamotten. Das kann ich ohnedies schon nicht leiden, wenn jemand eine solche Teenigkeit mimt und sich das nicht nur nicht mehr leisten kann, weil das verlebte Gesicht etwas ganz anderes sagt, sondern sie m e r k t noch nicht einmal, wie sofort alles im Gegenüber auf Distanz geht.
Göttinseidank kam der Profi hinzu, war allerdings eher genervt von der Situation, von der mir die Frau dann später vorwarf, ich hätte „einen Freund als Hilfe beigezogen“. Absurder ging das dann gar nicht mehr. Jedenfalls werd ich mich beim Profi nachher entschuldigen müssen; ich werd ihn anrufen. Gegen Ende des Abends wurde ich dann auch verbal ärgerlich und sagte der Frau, was ich von ihr hielte. Sie hatte doch mein Profil gelesen, kannte mein Bild und hätte wirklich spüren können, wie unpassend wir sind. Vielleicht, daß sie als spätgewordenes Girly in die SzeneClubs paßt, nicht aber zu einem wie mir, der auf Haltungen und Stil hält und d a v o n benommen werden kann. Als ich sie, um noch irgendwas zu retten, nach dem fragte, was sie tue und wo ihre Seele sei, wurde sie völlig verhuscht und wich wie eine Halbwüchsige aus, die nicht weiß, was sie im Leben einmal tun will. „Was sind Ihre Leidenschaften? Was gestalten Sie oder w o l l e n Sie gestalten?“ Und sie immer weiterhin mit dieser blöden Duzerei. Dennoch hätte es völlig genügt, hätte sie wenigstens ein Hobby genannt, ‚ich reite gerne’, ‚ich steige auf Berge’, ‚ich helfe anderen’, irgend sowas. Aber nichts.
Als sich das Gespräch so entwickelte, stand der genervte Profi auf und ging. Ich blieb mit dieser Person noch sitzen, die mir dann in halbherzigem Gegenschlag Arroganz vorwarf und ähnliches mehr, wovon mich aber auch g a r nichts erreichte. – Doch, wie gesagt, ich hatte letztlich selbst schuld: Z w e i Blinddates an einem Tag, das tut man wohl auch nicht.
Etwas war dann aber d o c h schön: Der Profi hat mir, von seiner Gefährtin besorgt, einen Mini-Flacon meines alten geliebten Parfums mitgebracht, Patou pour homme, über dessen Duft er freilich sagte: „Das riecht wie ein Bordell in Bagdad.“ Über mein neues anderes, Arabie von Serge Lutens, hatte er sich witzigerweise seinerzeit folgendermaßen geäußert: „Das riecht wie ein Bordell in Beirut.“ Also wird schon irgendwas daran sein.
20.05 Uhr:
Mit ARGO gut vorangekommen, mit VERBEEN gut vorangekommen, also auch dann kein Grund zur Klage, wenn auf meinem Tisch vor der Couch in diesem Arbeitszimmer etwa 15 cm ungeöffneter (Rechnungs-)Post liegen, seit etwa einem Monat. Ich sagte gerade zu Eisenhauer im TORPEDOKÄFER (er bat mich um eine SAN-MICHELE-Kopie): „Ich war immer meisterhaft im Verdrängen. Hätte ich mich allem ausgesetzt, was an Schrecken so auf mich zukam, nicht einer der großen Romane wäre geschrieben worden.“ So halte ich es weiter: die Katastrophe d a n n angehen, wenn sie direkt nicht nur erst vor der Tür steht, sondern schon drinnen in der Wohnung. Dann werde ich mich, irgendwie, zu wehren wissen. Es ist diese Haltung so ziemlich das Gegenteil dessen, was idiomatisch mit „Spare in der Zeit…“ beginnt. „Spare in der Zeit“ bedeutet nämlich immer: auf das Unmögliche verzichten und das Leben pragmatisch betrachten. Der Pragmatismus ist aber das Ende jeglicher Intensität. Oder wie Eisenhauer eben fragte: „Was ist von allen Zeiten seit der Antike geblieben?“ Er gab die Antwort selbst: „Horaz, Petrarca, Kleist, Gandhi – alles Inseln der Intensität.“ Solch ein Satz läßt nicht nur hoffen, nein, er macht einen ganz gewiß. (Wie er drauf kam, erzähle ich später. Aber erzähl es Ihnen ganz bestimmt. Jetzt will ich los.)