Sonnabend, der 3. Juni 2006. Gelnhausen.

8.11 Uhr:
[Hotel Burgmühle. Enormes Rauschen des Baches, dessen Wasser direkt unter meinem Zimmer eine Steigchen herabstürzt.]Bin traurig, gestern abend war ich sogar ärgerlich: >>>> Prothoe, auf die ich mich so sehr gefreut habe, kommt nun offenbar doch nicht. Wahrscheinlich, weil ich, wie ich vorgestern erzählte, im Netz so rasend mit dem Comtess’chen gespielt habe, das ich gestern in Nürnberg auf traf in einem wirklich fantastischen Raum, einem Lokal direkt am Hauptbahnhof. Von dem werd ich sicher noch öfter erzählen, und sicher wird er irgendwann in mein Dichtung eingehen. Aber das ist’s nicht, was mich jetzt beschäftigt, sondern: Wieso sprechen Frauen nicht, wenn Ihnen etwas nicht paßt, sondern ziehen sich sofort schweigend zurück? Prothoe nimmt nicht einmal das Telefon ab, reagiert nicht auf Messenger-Anfragen – einfach nur Schweigen. Daß ich sexuell nicht treu bin, weiß sie doch, ich schreibe das immer wieder, spreche auch offen darüber – zumal ich diesmal sogar willens war, mich weitergehend einzulassen. Nachdem nun mit Ω alles wieder aus, und zwar endgültig aus zu sein scheint und da gar keine Hoffnung mehr ist, nachdem überdies die Prozesse um das verbotene Buch wieder aufgenommen werden, weil der Kläger nun Weiteres will, hatte ich als symbolischen Akt eine erotische Fotografie Prothoes als Desktophintergund auf meinen Laptop gelegt. Weiter kann man doch eigentlich nicht gehen. Oder ist’s so, daß alles nicht „so schlimm“ gewesen wäre, hätte ich nur getan, was ich tat, aber nicht darüber geschrieben? Man wird für Offenheit sanktioniert, ich finde das nicht erträglich und bin nicht bereit, mich dem allgemeinen Konsens anzupassen, der die doppelte Moral w i l l.
Ich brauche eine Frau, die damit umgehen kann, daß ich nicht treu bin, sexuell also – am besten eine, die ihrerseits in einer Beziehung oder einer Liebe steckt, die sie mitträgt: die mir meine Art läßt wie ich ihr ihre (ich erwarte ja meinerseits nicht Treue, es macht mir wirklich nichts aus, wenn eine Geliebte auch anderwärts ‚spielt’) – und vielleicht träte dann auch ein neues Lieben in die Möglichkeit, eines, das sich entwickelt und allmählich entfaltet und dann, ganz unvermerkt, d a ist. Dann wäre – vielleicht – auch die Treue da.
Ich werde also d o c h allein sein die nächste Woche, werde also d o c h wieder abstinent bleiben müssen, von einem Besuch des Comtess’chens einmal abgesehen, den es mir angeboten hat für den Fall, daß Prothoe nicht da ist. (Selbstverständlich habe ich der jungen Dame von Prothoe erzählt, selbstverständlich habe ich ihr gesagt, Prothoe und ich würden eine Woche lang uns ineinander verwühlen – aber auch schon meine Skepsis ausgedrückt, weil Prothoe seit >>>> meinem Tagebucheintrag von vorgestern so auffällig distanziert war, aber natürlich nicht drüber sprach, und dann eben ganz verstummte).

Ein schönes, wenn auch kleines Hotelzimmer ist das hier. Trotz der (praktikablen) Beengung hat es ein breites Bett, was ich immer sehr wichtig finde und was mir nicht das Gefühl gibt, in einer Zelle eingesperrt zu sein. Und wieder ein Fernseher, den ich leider nicht vom Schreibtischchen runterkriege, weil kein Platz ist. So glotzt mich die graue, geriffelt aussehende Mattscheibe widerlich an. Ich werde nachher was suchen, das ich drüberhängen kann. Denn ich will bis mittags am Libretto arbeiten. Die kleinen LaptopBoxen hab ich bereits aufgestellt, aber die Musik des gleichsam schäumenden Baches ist jetzt zu schön, als daß ich sie übertönen lassen wollte.
Zum Kirchentag selber: Na ja. Aber >>>> Ricarda Junge ist hier, das ist nun eine wirkliche Freundschaft, seltsam, zwischen Frau und Mann geworden. Einen glänzenden Vortrag hat Ricarda bei dem Empfang gestern abend gehalten, brillant formuliert, eindrücklich, mit einem mir sehr angenehmen Pathos. Mit einigen ihrer Aussagen bin ich nicht einverstanden, bzw habe prnzipiell-poetologische Zweifel, aber darum geht es nicht, das ist Inhalt, und Inhalt ist erst einmal zweitrangig bei Kunst; zumal in sich alles schlüssig und von daher schön ist, was Ricarda sagte. Ich druckte diesen Text aber auch sofort ab: eine bessere Grundlage, um über Poetik zu sprechen, kann ich mir kaum vorstellen. – Wir werden uns mittags treffen (auch sie arbeitet jetzt in ihrem Hotel), dann kommt mein kurzer Auftritt, dann werden wir reden: auch über ihre poetologische Position, denke ich.
Wir saßen lange zusammen, sie, ihre Eltern, der nette Fahrer ihres Vaters und ich. Nachts versuchte ich noch einmal, Prothoe zu erreichen. Und schlief, sexuell ziemlich mich bäumend, dann ein.

Ich komm hier über einen t-mobile-Hotspot ins Netz. Meine 400 Freistunden bewähren sich. Aber die Verbindung ist furchtbar instabil. Dauernd fliege ich raus. Etwa ein Bild hochzuladen, was ich für diesen Eintrag hier tun wollte, führt zu ausgesprochen unerquicklichen Verzögerungen Wiederholungen Abstürzen von Beiträgen. Man kommt sich wie im Mittelalter vor. Zum Surfen mag’s reichen, auch dazu, Post anzusehen, nicht aber für Arbeit. Verzeihen Sie deshalb, wenn dieser Beitrag erst so spät erscheint.

10.02 Uhr:
[Nach dem Frühstück. Britten, Erste Suite für Cello solo.]
Nun endlich doch, aber traurige Nachricht von Prothoe:(…) Nenn mich unentschlossen, wechselhaft oder unstet. Es wäre nicht ungerechtfertigt, denn ich möchte (…) nicht nach Bamberg kommen. Der Wunsch danach überdauert die Euphorie nicht. Bitte antworte mir nicht, ich schäme mich für meinen Wankelmut.Spontan in mir der Beschluß, morgen meinerseits nach Greifswald zu fahren und zu kämpfen. Aber da Prothoe ja nicht einmal mehr auf SMS’e reagiert, was täte ich dort, wenn ich ankäme und doch nicht einmal ihre Adresse weiß? Arbeitstechnisch allerdings wäre es egal, ich habe die Bahncard 100, und Bahnfahrten sind Arbeitszeiten… Ich werd mir das ernstlich durch den Kopf gehen lassen.
Jetzt aber will und muß ich was tun.

NACHTRAG
Vormittags durchgearbeitet, ab mittags ins Örtchen.Gespräch über mein Verhältnis zu Gott auf der Lila Couch, die rot war. Ricarda Junge hat mit ihrem Mobilchen ein Bild davon gemacht und will es mir später mailen. Dann stell ich’s ein. Ich wiederum machte vom TribünenWagen herunter eines von ihr; momentan klappt aber die Verbindung der Medienverwaltung meines Handys zum Laptop nicht, keine Ahnung warum. Also hol ich das alles später in Bamberg nach.