8:41
Zum Glück haben wir großes Haus. Denn ich habe ein Problem: erst kam der Tischler, der die neue Schiebetür fertig streichen muß, die er vor einem Jahr montiert hat, dann kam die Putzfrau. Alles heute morgen um diese Uhrzeit schon. Und: meine Kaffeetasse ist leer. Also müßte ich mich in den Wohnbereich hinab begeben, was aber auch heißt: freundlich all die Leute grüßen zu müssen, vielleicht sogar mit einer lockeren Bemerkung auf den Lippen. Das ist mir unangenehm. Wahrscheinlich werde ich diesen Sprung ins soziale Leben wagen müssen, falls ich nicht riskieren will, an Koffeinmangel zugrunde zu gehen. Aber ich kann ansonsten unbehelligt meiner Arbeit nachgehen. (Meine Frau ist allerdings schon lange daran gewöhnt: sie nimmt von mir kaum noch Notiz, es sei denn am Morgen, wenn wir uns das erste Mal am Tag sehen, oder wenn sie meine Hilfe braucht. (Außerdem: Wenn man vor der Südseite des Hauses steht, dann schlafe ich unten rechts, und sie oben links.))
14:37
Der Tischler brauchte nur ein Stündchen für seine Arbeit, die Putzfrau ist auch schon länger fort. Ich weiß nicht, ob meine Frau noch Buch für Buch einzeln abstaubt, vor einer halben Stunde tat sie’s noch. So daß ich beschloß, allein Mittag zu essen und mir einfach eine Stulle zu schmieren und die halb schon schwarz gewordene Banane endlich zu verdrücken, statt zu warten. Zur Strafe (für mich? (warum Strafe?)) habe ich den größten Topf hervorgeholt, den wir im Haushalt haben. In den werde ich später am Nachmittag Pflaumen werfen, die ich zuvor mit dem Messer aufschneiden werde, um zu prüfen, ob nicht noch ein Wurm darin ist. Pflaume um Pflaume. Vielleicht ja eine Strafe für die Pflaumen (aber wieso eigentlich Strafe?), die weichen, die süßen, die Pflaumen. Und ab und zu heimlich ein Fingerchen hinein…
Ich glaube, die Idee ist mir deshalb gekommen, weil ich keinen Alkohol mehr hier im Arbeitszimmer habe. Denn für die zu kochende Marmelade fehlte noch Zucker, also mußte ich unbedingt Zucker holen fahren. Natürlich möchte sie nicht, daß ich trinke.
21:24
Ich sitze nun da wie eine Hausfrau! Erschöpft! Habe gleichzeitig den Geschirrspüler geleert, Pflaumen aufgeschlitzt und die Kerne wie Grabsteine aufeinander gehäuft… Steine, Steine, Steine… am Ende hatte ich 5 Kilo Pflaumen. Nebenbei auch noch Abendessen gekocht. Und hinterher dann der Abwasch der Töpfe. Wer bin ich denn, wenn nicht ich? (Merkwürdige Frage, als müßte ich mich vergewissern… doch: muß ich, dauernd!).
Das kenn ich, lieber Lampe, das Gefühl unsichtbar bleiben zu wollen, wenn die Putzfrau im Haus ist. Bei uns kommt sie immer Mittwoch gegen 15.00 Uhr und bleibt bis 17.00 Uhr. In der Regel bin ich 16.30 Uhr aus dem Büro verschwunden und kurz vor fünf zu Haus. Ich warte dann immer im Auto, höre Radio, bis sie an mir vorbei geht. Natürlich sieht sie mich nie, weil ich immer etwas eingerutscht im Fahrersitz liege. Betrete ich dann unser Haus kommt meine Frau mir entgegen und fragt: „Du musst doch die Putzfrau getroffen haben und hast ihr doch hoffentlich gesagt, dass sie immer vergisst die Türklinken abzuwischen? Nein, ich bin gerade angekommen“, antworte ich und verschwinde im Bad, während meine Frau es sich wieder in ihrem Arbeitszimmer gemütlich macht und durch die Tür ruft:
„Bier ist im Keller!“
Meine Putzfrau hingegen. Die ich mir schon seit vier Jahren nicht mehr leisten kann. Dennoch halte ich sie. Hat etwas Mütterliches. „Mit diesem Kessel können Sie doch nicht mehr kochen!“ ruft sie etwa und hat auf eigene Kosten einen neuen besorgt. Den sie auf den Herd stellt. Bisweilen sortiert sie in meiner Arbeitswohnung Medikamente aus, ordnet sie, wirft weg. Mein Schreibtisch kann so wüst aussehen, wie er will, sie nimmt die Papiere beiseite, nimmt die CDs beiseite, die Typoskripte und Bücherstapel und säubert die Platte. Dann legt sie alles wieder so hin, wie sie es vorfand. Über den massiven Kabelsalat am Boden zwischen Schreibtisch und Musik-Rack lacht sie bisweilen auf eine seltsam verzweifelte Art, die mich annehmen läßt, es wär ihr das alles liebgeworden. Manchmal kann ich sie nicht bezahlen. Dann zuckt sie die Schultern und sagt, das sei ihr auch schon so gegangen. Manchmal wird sie energisch: „Aber diese Flaschensammlung da, die ist bitte beim nächsten Mal weg!“ Und ich folge wie ein Sohn. Sie weiß sehr genau, was zu meiner Arbeit gehört und was schlampig ist – selbst wenn das zuweilen seinerseits unhygienische Arbeitschaos (Asche, Kippen, umgekippter Kaffee) eine sehr viel geringere Schlamperei ist als mein notorisch ungeputztes Bad. – Ein guter Anlaß das, ihr mal zu danken.
Ich beneide Sie beide, Herrn Reichenbach wegen der bierverstauenden Frau und Herrn ANH wegen der unparteiischen Putzfrau… denn bei mir ist die erste Putzfrau meine Frau, die kein Pardon kennt, auch nicht dort, wo Arbeit ihr Ausrufungszeichen setzt, die zweite – angeheuerte – Putzfrau (in diesen Sommertagen morgens, weil’s am Nachmittag sonst arg ins Schwitzen ginge) beeilt sich ansonsten, mir schnell den Fußboden mit all den Kabeln als ersten fertig zu machen… hinterher dann vielleicht kontrollieren, ob nicht wieder die Anschlußbuchse fürs Telefon schief hängt, sonst gibt’s weder E-mail noch Internet noch Anrufe…