Arbeitsjournal. Montag, der 18. September 2006. Hall in Tirol/Innsbruck. Bamberg.

8.22 Uhr:
[ICE Innsbruck-München.]
„Das war s c h o n fordernd“, sagte eben beim Abschied im Bahnhof >>>> Urs Heinz Aerni, der heute in der Frühe nicht – wie ich – bereits um kurz vor halb fünf zu Bett ging, sondern erst um halb sechs. „Ich bin so müde, daß es fast wehtut.“ Ich meinerseits hatte immerhin z w e i Stunden Schlaf; dumm war, daß ich mich nachts an der Bar von Oliver zu nacheinander zwei Whisky Sour überreden ließ (neben allerlei Hochprozentigem sonst und einigen Bieren), so daß mein Mobilchen, als es mich weckte, sich mit meinem Kopfschmerz zusammentat. Eine ungute Allianz, die sich aber Göttinseidank nicht als politisch haltbar erwies; am Frühstückstisch war ich bereits wieder ziemlich fidel. Nun, nachdem wir aus Hall davonchauffiert worden sind und am Bahnhof Innsbruck noch einen Espresso nahmen, sitze ich im Zug, schau noch etwas hinaus in das tief schmutziggrau wolkenverhangene Tal und sinniere. (Einstellen werd ich dies hier in zwei Stunden in München, wo eh knappe drei Viertelstunden Aufenthalt zu überbrücken sind).
Wunderbare Tage waren dies, vollgepfropft mit Literatur und so gut wie gänzlich ohne Konkurrenzvorbehalte. Offenheit, Freundschaftlichkeit, viel Witz, viel Ernsthaftigkeit für die eigene und die Arbeit der anderen zeichneten das Festival aus. Alte Fronten wurden völlig aufgelöst, und was mich am meisten erstaunt, was aber auch irgendwie normal ist: Bei mir Wichtigen zähle ich unvermittelt zu den Lyrikern. „Ich mach das erst seit einem halben Jahr, ich bin noch gänzlich nervös“, sag ich zu Oliver. Er wendet drauf ein: „Das ist nicht wahr, sondern du dichtest seit Jahren. W a s neu ist, ist nur, daß du dich nun auch für d i e s e Form entschieden hast.“ Im übrigen habe ich selten einen Kollegen getroffen, mit dem mich derart unmittelbar nicht nur die poetische Arbeit verbindet und eine sehr ähnliche, sehr existentielle Haltung ihr gegenüber, sondern eine geradezu körperliche, sich dauernd auch über Berührungen vermittelnde sinnliche Sympathie. >>>> Olivers neues Buch liegt jetzt neben mir, ich will drin lesen während der Fahrt; dann aber werd ich dringend auf den >>>> Menninghaus wechseln müssen (da die öffentliche Schönheitsdiskussion in Frankfurt am Main bereits für diesen Freitag abend ansteht) und vor allem die PETTERSSON-Arbeit fortsetzen.
Für mich kamen bei >>>> Sprachsalz noch zwei Einladungen zu nächsten Literaturfestivals heraus: fürs Frühjahr 2007 in Wien, für den Frühsommer 2007 in Hausach. Letztres ist pikant, da meine Mutter dort lebt und alles andre als unbekannt ist, mit der ich doch seit vier Jahren jeden Kontakt unterbunden habe. Es wird nicht zu vermeiden sein, daß man sich in dem kleinen Schwarzwaldort über den Weg laufen wird. Also werd ich da dann s c h o n mit etwas Bangen hinfahren. „Ich frag dich, weil ich vermute, daß deine Mutter ein Grund für dich sein könnte, mir abzusagen“, sagte Oliver, als er fragte. Das muß natürlich Unfug sein: solch Privates hat h i n t e r Professionellem zu stehen. So sagt’ ich ihm das auch. Und sagte zu. Der Veranstalter hingegen des mit Hausach und Hall locker assoziierten Festivals in Leukerbad hat während dieser drei Tage um mich einen Bogen gemacht.
Mit Aerni hab ich verabredet, daß er für mich gegen Courtage – wie bereits für andere Autoren – als Veranstaltungsagent tätig wird. So lassen sich eventuell Österreich und die Schweiz endlich für Auftritte öffnen. Ich selbst mag da nicht mehr tätig werden, mich nicht mehr selbst vermitteln; das geht ohnedies meist schief. „Der hat’s wohl nötig“, heißt’s sonst nämlich schnell; als ich zwanzig/dreißig war ließ sich das durch heiße Sporne schmelzen, jetzt aber geh ich auf 52, hab allmählich einen Ruf und keine Lust mehr drauf, daß jemand weiterhin „junger Mann“ zu mir sagt.
Sò, ich geh mal eben ins Zugbistrot, um eine Zigarette zu rauchen…

… und >>>> aus seinem neuen Buch erste Oliver-Gedichte zu lesen, da find ich auf die Titelseite des Buches eine wunderschöne Widmung geschrieben, die mich mit wärmender Freude erfüllt und mit Stolz – etwas, das uns beide verbindet („Ich lasse mir meinen Stolz nicht nehmen“, sagte Oliver gestern nacht, als >>>> Renk, er und ich über Kritiker sprachen und die infame Art, in der sie oft, wenn sie böswillig sind, zu persönlich erniedrigenden Formulierungen greifen)… … indes draußen die Wolken dichter und dichter werden und dunkler, voll einer Drohung aus Herbst.
ABER: Stolz als ein poetisches Prinzip, das den Dichter mit seiner Dichtung verbindet. Interessant auch, was mir aus dem vorgestrigen „Gedichtrupfungsgespräch“ mit Lewitscharoff und Aerni noch einfällt: „Was du in den Elegien über Männer und Frauen schreibst… das ist wichtig, das ist ganz wichtig.“ Und Renk kam gestern nacht auf die Idee für einen neuen Verlag: „Man müßte ihn PathosVerlag nennen!“ Immer mehr in meinem Denken, wie eine Bohnenranke, umschlingt diesen Begriff. „Was ist mit ‚Pathos’ gemeint, w e l c h e s ist gemeint“, fragt Renk, „man muß d a s doch sehen! und differenzieren.“ Zunehmend hab ich ein Problem mit dem Geulke, dem Gefrozzel in der Dichtung, dem sich nicht zugebenden, diesem aus Ängstlichkeit hinterm Grinsen der Texte maskierten Ernst, dem ironisch-Uneigentlichen, allzu witzig Pointierten, sich in die humorige Publikumsgunst Grätschenden – nahezu körperlich unangenehm wird mir dies. Und es ist, nach diesen Tagen, klargeworden, daß ich mit den Gedichten weitermachen werde, daß sie n i c h t nur ein Seitenpfad sind, den ich, um von der Romanprosa auszuruhen, eingeschlagen habe.

10.17 Uhr:
[ICE München-Bamberg. Stehend.]
Mein Tauschzug steht bereits da, so kann ich den Münchner Hotspot nutzen und nicht nur diesen Arbeitsjournaleintrag in Die Dschungel stellen, sondern auch die Bilder dazu hochladen – geh ich übers Mobilchen ins Netz, ist die dann sehr langsame Verbindung dafür fast immer überfordert. Um 10.46 Uhr erst wird’s weitergehen. Hab kurz vor München noch ein Gedicht, eine Variation, begonnen.

Ach so, wer sich unter Ihnen insgesamt sich ein Bild von diesem Sprachsalz 2006 machen möchte, schaue bitte >>>> hier nach.

17.45 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Hab versucht zu schlafen, ging aber nicht. Also hab ich die Arbeit am PETTERSSON wieder aufgenommen. Und es läuft sogar. Zwischendurch etwas Korrespondenz mit Frankfurt wegen der Besetzung und ob ich in Berlin aufnehmen sollte (sofern ich van der Ahe und Mellies bekomme). Irgendwie stinke ich, komme mir ziemlich ungepflegt vor, sitze aber lieber am Schreibtisch und ackere, als daß ich mich duschte. Nicht mal die Reisetasche hab ich ausgepackt. Bin nur am Laptop nicht phlegmatisch. Aber die Musik hat mir auch sehr gefehlt. Es tut gut, ihr zuzuhören.

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