B.L.’s 20.9. – nicht lüster, lustra tragend

11:31
Heute mit captatio benevolentiae dasjenige, was ich vor 25 Jahren schrieb an dem Tag, als ich meine Frau kennenlernte:

20.9.81 SO
Fi
9.15 Im Bett liegend. Sto pensando. Cosa fare oggi? Dove trovare un posto tranquillo per leggere, scrivere. Fantasie su ragazze. Conflitto nella testa. Geht meine Angst, Frauen anzusprechen, ihnen gegenüber meine Wünsche zu äußern, auf einen verdrängten Inzestwunsch zurück? Ich weiß noch, wie ich K. [meine Schwester] einmal bat, mir später, wenn sie einmal größer sei, ihre Titten zu zeigen.
Tutti dormono. Quello che è arrivato ieri, è già partito senza dire una parola. E fuori il chiasso della strada.
Mi amo!
Ach so, noch etwas von gestern abend. Als ich den Arno entlang spazierte, kam mir die Idee, doch alles was ich sehe, als mein Eigentum zu betrachten, daß die anderen dort nichts zu suchen hätten. Dies als Gerüst für die labile Psyche. Dann daraufhin in Höhe des Ponte S. Trinità der Gedanke: alle Punkte, die ich auf der Landkarte markiere, sind Punkte, an denen ich gepennt habe. Wäre das also für eine Ersatzhandlung: reisen, neue Orte beschlafen. Mit welcher ich auch diese Orte eintrage, markiere.
16.55 Groddeck ist eine Lektüre, die am Anfang meiner zaghaften Schritte weg vom Vaterhaus hätte stehen sollen: per capire che cos’è la vita. Seit ca. 14.30 sitze ich hier nämlich auf meinem Bett mit Groddeck.
Nachdem ich das heute morgen im Bett geschrieben hatte, ging ich erst mal unter die Dusche, um mich frisch zu machen und zu wichsen. Außerdem stellte ich [fest], daß die alte schwarze Hose hinten ziemlich durchgescheuert [ist], also der Cord ist weg. Zog aber doch nicht die neue an. Auf dem Flur, während ich auf den Neapolitaner wartete, mit dem zusammen ich mal wieder Kaffee trinken wollte (bzw., er hatte mich gefragt), hatte ich noch einen kleinen Plausch mit einem Architekturstudenten aus Lecce (las irgendwas über Statik). La questione tedesca. Ohne auf dem Weg zum Dom etwas offenes zu finden (es ist Sonntag), verabschiedete sich mein Bettnachbar dort, und ich taperte mal wieder durch die Gegend, mampfend, die Zeitung unterm Arm, mit der ich schließlich wieder vorm Dom landete, wo ich eine ganze Weile saß. Guckte, was die Leute wohl für Klamotten anhaben (und wie ich im Vergleich dazu: das alte Spiel). Ein wunderhübsches Mädchen stand suchend zwischen Dom und Battistero. Ganz in herabhängendem Weiß die Hose, die Jacke, dazwischen schimmerte es türkis, die Haare engellockig, das Gesicht schmal und zart mit schräg nach außen gehenden Augen. Charmant.
Ach ja, fiel mir ein, Monika wollte ich noch anrufen, konnte aber dem Weg zur Post keine Spiccioli auftreiben. Also dann nicht. Dann Piazza della Signoria. Erst saß ich, dann ging [ich] was zu essen holen, dann saß ich wieder und find an, Groddeck zu lesen. Wegen einer jungen Amerikanerin mit markantem Profil, die sich zwei Stühle weiter neben mich setzte, konnte ich mich nur halb konzentrieren. Sie wurde dann schließlich von einem Italiener in ein Gespräch verwickelt. Irgendwann düste ich dann ab (der Italiener war schon wieder weg, hinter [mir] saß ein deutsches Pärchen, er „Die Welt“ lesend). Und hierher mit acqua minerale und birra, das ich nun angefangen habe zu trinken.
Irgendwann stiefelte ich dann wieder Piazza della Signoria (wo ich jetzt schon wieder sitze: haha). Machte zum 3. Mal die Runde um die Büchertische herum. Da kein Lüftchen wehte: schwitzte ich. Und saß dann eine Dreiviertelstunde mang de Leute. Aber Erich Fried war gut! [Es gab eine Poesieveranstaltung, die über einige Tage sich erstreckte. Anm. B.L.]. Das amerikanische Pärchen neben mir verstand natürlich nichts und verschwand. Stattdessen wieder ne Frau neben mir. Kann man von scheuen Blickkontaktversuchen sprechen? Man kann. Sie war mir einer etwas dicklichen Person aufgetaucht: beide machten des öfteren Witze über die folgenden „Dichter“. Der nach Fried kam, hörte gar nicht auf, seine Werklein nervös vorzutragen (er wußte selbst nicht, soll er aufhören, soll er weitermachen?). War’n angenehmes Gefühl: diese Brunst. Etwas nervös. Leichtes Kribbeln in der Magengegend. Und es gelang mir sogar, ihr eine Bemerkung über den nicht aufhören wollenden Dichter zuzustecken: „non finisce mai“. Die Wortsalve, die mir daraufhin entgegenscholl, verstand ich allerdings nicht. Am Schluß Riesenpfeifkonzert für „Signora Richmond“: “pipistrella, mortadella, signorella: oh, la Signora Richmond.“ Sie wollte schon weggehen, und ich stand noch hinter den Massen, da machte das Dämchen weiter. Blieb also alles wieder stehen. Obwohl ich darauf achtete, sie nicht aus den Augen zu verlieren (stand etwa 10 m von ihr entfernt, gelang es mir doch, sie anzusprechen. Plötzlich (auch ich verstand gar nichts mehr von dem Geseire dort vorn) gingen sie. Ich drehte mich um: sie gingen sehr langsam. Man könnte sie einholen. Dann bin ich tatsächlich hinterher. Auch langsam: nur nicht zu hastig. Ja genau: anch’io me ne sono andato, würde ich sagen. Und sagte es tatsächlich! Und wurde ein netter Plausch bis zum Dom. Hauptsächlich natürlich über die „poesia in mostra“. Sie, die Kleine, sei aus dem meridione, und mir würde man den Deutschen nicht ansehen. Straniero sì, dalla pronuncia. Legte ihre Hand zum Abschied kurz auf meinen Oberarm (sie mußten zum Bus). Und ich home: Finalmente quasi contento.

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