Paul Reichenbachs Montag, der 7.Mai 2007. Zwischen Lust und List.

Doctrin.

Schlage die Trommel und fürchte dich nicht,
Und küsse die Marketenderin!
Das ist die ganze Wissenschaft,
Das ist der Bücher tiefster Sinn.

Trommle die Leute aus dem Schlaf,
Trommle Reveille mit Jugendkraft,
Marschire trommelnd immer voran,
Das ist die ganze Wissenschaft.

Das ist die Hegel’sche Philosophie,
Das ist der Bücher tiefster Sinn!
Ich hab‘ sie begriffen, weil ich gescheidt,
Und weil ich ein guter Tambour bin.

Heine

Montag. Endlich, endlich Regen. Gleich heute Morgen spüre ich die Veränderung. Freies Atmen, tief zieht kühle feuchte Morgenluft in meine Lungen und folgerichtig lege ich alle Sprays bei Seite. Endlich, endlich habe den Kopf frei, seit der letzten „Klarheit“. Fast 6 Wochen mussten vergehen, ein dem Freund gegebenes Versprechen, ohne Atemnot, nun wahr machen zu können. Die Vorarbeiten liegen schon seit Weihnachten in der Lade. Zu emotional und zu offen begeistert ist der Text, meinten anonyme Zensoren. Und haben recht. Denn das Interesse für die schlimmen, schönen Katastrophen, die das Leben verändern, ob wir sie lesen oder selbst erfahren, muss, um tief wahrgenommen zu werden, unauffällig sich ins Gehirn und Herz anderer schleichen. Verführung, nicht Manipulation, kann nur gelingen, kommt sie leise und elegant-sachlich daher. Was für die Liebe als Vielleicht gilt, hat für ein großes Kunstwerk sicher Geltung. Natürlich weiß ich, dass Eventhämmer auch Wirkung zeigen, aber meist, weil zu überfallend, zu sehr schnell verglimmende Leuchtspur, bleiben sie nicht im Gedächtnis hängen. Nachhaltig, nachhallend soll die Arbeit werden, die ich leisten will. Das erfordert von mir eine innere Wandlung hin zur List, die aus einer hymnischen Eloge, zu der ich per Temperament neige ( >>>Pierre Bertaux liegt mir näher, als alle trockene deutsche Philologie!) einen sachlich-kühlen Text zaubert, der das Feuer der Leselust entfachen soll. Das fällt schwer, bin ich doch lieber selbst Flamme, statt Heizer.

6 thoughts on “Paul Reichenbachs Montag, der 7.Mai 2007. Zwischen Lust und List.

  1. ‚Die weiße Amsel‘ Ich hatte einmal Gelegenheit, einen Vortrag von Herrn Bertaux zu hören…
    Thema war der ‚edle Simulant‘ Hölderlin…Unvergessen und für mich das schlagkräftigste Argument, welches er gegen eine ‚Geisteskrankheit‘ Hölderlins ins Feld führte, war eine weiße Amsel, die, wie Bertaux glaubhaft versicherte, in seinem heimischen Garten zu Hause war…
    Seine Conclusio war: Hölderlin sei nicht wirklich verückt, sondern lediglich eine ‚weiße Amsel‘ gewesen.
    Mich jedenfalls hat er damit überzeugen können:)

    1. Ich beneide Sie ein wenig, dass Sie Bertaux hören durften. Ich will kein Jacobiner sein, soll Hölderlin gerufen haben. Ich vermute stark, dass er eigentlich eigentlich sagen wollte: Ich will nicht als Jakobiner erkannt werden!
      Mit Ihnen, wären es hier, bei ANH, 5 (incl Bertaux) , die von der „weißen Amsel“ überzeugt sind. Paul, Sie , ich, Bertaux und… Ich hoffe, der 5. wird sich melden ….
      Das reicht zwar nach Deutschem Vereinsgesetz noch nicht ganz für einen Verein, 7 müssen es ja sein, aber immerhin sind 5 Unorganisierte mit verwandter Überzeugung auch schon allerhand. 🙂

    2. ich bedanke mich für die hinweise auf Bertaux. das bild der weißen amsel mag es eigentlich treffen, auch wenn ich erst bei Hyperion I der von Sattler herausgegebenen chronologischen werkausgabe bin. dennoch entsteht nach und nach ein bild von Hölderlin, der sich unwohl fühlt in der haut seiner zeit, der noch versucht, bei Schiller halt zu finden, aber durch dessen eingriffe in die texte für dessen zeitschriften nicht gerade begeistert einem Goethe entgegentritt, dem er in Frankfurt wiederbegegnet, nachdem er ihn schon einmal in Jena gesehen, aber erst hinterher erfahren hatte, daß es Goethe war. nein: Hölderlin sucht den menschen im menschen. ob er nun jacobiner ist oder nicht. und wer einer Diotima um die hüften greifen muß, weil sie es dadurch provoziert, daß sie sich weit über einen abgrund beugt, dem fühle ich manches nach.

      P.S. die weiße amsel ist das positive schwarze schaf! (written by Scardanelli)

    3. Sie hatte ich als 5. im Kopf… 🙂

      und hier kann man noch einmal zeilengenau nachfühlen:

      Hyperion an Bellarmin

      Ein paar Tage drauf kamen sie herauf zu uns. Wir gingen zusammen im Garten herum. Diotima und ich gerieten voraus, vertieft, mir traten oft Tränen der Wonne ins Auge, über das Heilige, das so anspruchlos zur Seite mir ging.
      Vorn am Rande des Berggipfels standen wir nun, und sahn hinaus, in den unendlichen Osten.
      Diotimas Auge öffnete sich weit, und leise, wie eine Knospe sich aufschließt, schloß das liebe Gesichtchen vor den Lüften des Himmels sich auf, ward lauter Sprache und Seele, und, als begänne sie den Flug in die Wolken, stand sanft empor gestreckt die ganze Gestalt, in leichter Majestät, und berührte kaum mit den Füßen die Erde.
      O unter den Armen hätt ich sie fassen mögen, wie der Adler seinen Ganymed, und hinfliegen mit ihr über das Meer und seine Inseln.
      Nun trat sie weiter vor, und sah die schroffe Felsenwand hinab. Sie hatte ihre Lust daran, die schröckende Tiefe zu messen, und sich hinab zu verlieren in die Nacht der Wälder, die unten aus Felsenstücken und schäumenden Wetterbächen herauf die lichten Gipfel streckten.
      Das Geländer, worauf sie sich stützte, war etwas niedrig. So durft ich es ein wenig halten, das Reizende, indes es so sich vorwärts beugte. Ach! heiße zitternde Wonne durchlief mein Wesen und Taumel und Toben war in allen Sinnen, und die Hände brannten mir, wie Kohlen, da ich sie berührte.
      Und dann die Herzenslust, so traulich neben ihr zu stehn, und die zärtlich kindische Sorge, daß sie fallen möchte, und die Freude an der Begeisterung des herrlichen Mädchens!
      Was ist alles, was in Jahrtausenden die Menschen taten und dachten, gegen Einen Augenblick der Liebe? Es ist aber auch das Gelungenste, Göttlichschönste in der Natur! dahin führen alle Stufen auf der Schwelle des Lebens. Daher kommen wir, dahin gehn wir.

    4. Deutsches Vereinsgesetz hin oder her…bei dem Gedanken, Mitglied der Vereinigung des Bundes ‚Die Weiße Amsel‘ zu werden, sieht sich mein schwarzes Schafsgemüt wiederum von einem solchem ‚Taumel+Toben‘ erfasst, dass es bereit wäre, alle einmal gefassten Vorsätze in jeden schroffen Schrund zu werfen…Sogar jenem aus Heines ‚Krähwinkels Schreckenstagen‘:
      ‚Wo ihrer drei beisammen stehn,
      da soll man auseinander gehn.‘

      könnte ich leichthin untreu werden;>)

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