Paul Reichenbachs Mittwoch, der 16.Mai 2007. Riesen sind Menschen.

Hundemüde. Ich könnte nicht mal einen Hund ausführen. Die letzten Tage vor der Fahrt waren anstrengend. Der Schreibtisch, ich bin ganz stolz auf mich, ist relativ leer. Ein ungewohnte Perspektive, die ich lange vermisst habe, lässt mich meine Bürotür wieder sehen. Gestern war von Zwergen die Rede, heute nun, nur kurz , etwas von Riesen, die auch nicht frei vom Vorurteil sind. Bei meiner Benjaminlektüre fand ich im Band 6 der Gesammelten Schriften Kafka und Brecht erwähnt.

Ich zitiere aus W.B. Svendborg Sommer 1934, VI, S. 527. Brecht, so erzählt Benjamin, lässt via LAOTSE Kafka fragen:

…„Also, Schüler, Kafka, dir sind die Organisationen, Rechts – und Wirtschaftsformen, in denen du lebst, unheimlich geworden? – Ja. – Du findest dich in ihnen nicht mehr zurecht. – Nein. – Eine Aktie ist dir unheimlich? – Ja. – Und nun verlangst du nach einem Führer, an den du dich halten kannst.“…

Das ist natürlich verwerflich, meint Brecht dann zu Benjamin. Ich lehne Kafka ab.

Ich nicht, kann ich dazu nur sagen, ich nicht…und nach einem Führer verlangt mich nicht.

Das Tb bleibt vom 17. 5. – 25.5.,wegen Urlaub, unbeschrieben.

8 thoughts on “Paul Reichenbachs Mittwoch, der 16.Mai 2007. Riesen sind Menschen.

  1. Wespennest… Nicht allein, dass Brecht Kafka ablehnt, er bezeichnet ihn gegenüber Benjamin auch als ‚Judenjungen‘, als ‚dürfiges, unerfreuliches Geschöpf, eine Blase auf dem schillernden Grund der Kultur von Prag, sonst nichts.‘ (Dostojewski gilt Brecht als ‚Würstchen‘)
    Kafka ist im Sommer 1934 ‚in langen und erregten Debatten‘ auch deshalb Thema in Svenborg, weil Benjamin ausgerechnet ihn zum Prüfstein seiner Beziehung zu Brecht macht…
    Derlei Invektiven Brechts richten sich gewollt gegen alles, was Benjamin ‚heilig‘ ist und legen gleichzeitig ein beredtes Zeugnis von dieser äußerst spannenden Beziehung ab: Brechts Kritik an Benjamins ‚Reproduktionsaufsatz kann vernichtender nicht sein: ‚…alles mystik, bei einer haltung gegen mystik. in solcher form wird die materialistische geschichtsauffassung adaptiert! es ist ziemlich grauenhaft‘.
    (Arbeitsjournal Bd. 1, S. 16)
    Die Beziehung zwischen dem ‚Materialisten‘ Brecht und dem – sagen wir – ‚Metaphysiker‘ Benjamin ist ebenso interessant wie spannungsreich und – geht sehr stark von Brecht aus, je mehr dieser über die ‚Moskauer Entwicklung‘ frustriert ist. Brecht lockt den zögerlichen Benjamin regelrecht nach Svendborg: ‚
    ‚Wir haben Radio, Zeitungen, Spielkarten, bald ihre Bücher, Öfen, kleine Kaffeehäuser, eine ungemein leichte Sprache, und die Welt geht hier s t i l l e r unter‘.
    Benjamin folgt dieser Einladung zu seinem zweiten Svendborger Aufenthalt vom August bis Oktober 1936. Kaum ist er abgereist, ergeht bereits eine neue Einladung Brechts im Dezember des selben Jahres: ‚Das Schachbrett liegt verwaist, alle halben Stunden geht ein Zittern der Erinnerung durch es: da wurde immer von Ihnen gezogen‘. Im Juni 1938 wird Benjamin dieser erneuten Einladung Folge leisten. Als Brecht zu seiner Genugtuung Benjamin im Garten bei der Lektüre des ‚KAPITALS‘ vorfindet, entgegnet Benjamin dessen Freude mit der nonchalanten Bemerkung, er lese Bücher immer dann besonders gerne, wenn sie ‚unmodern‘ geworden seien.

    Brecht schreibt nach Benjamins Freitod zwei Nekrologe auf Walter Benjamin, die – bei allen Dissonanzen – geeignet erscheinen, die Tiefe der Beziehung – gerade von Seiten des ‚Materialisten‘ – zu beleuchten:

    An Walter Benjamin, der sich auf
    Der Flucht vor Hitler entleibte

    Ermattungstaktik wars, was dir behagte
    Am Schachtisch sitzend in des Birnbaums Schatten.
    Der Feind, der dich von deinen Büchern jagte
    Läßt sich von unsereinem nicht ermatten.

    Preisfrage: Wer war in den Svendborger Sommern beim Schachspiel siegreicher…Brecht oder Benjamin?

    P.S.
    Was übrigens Benjamins Stellung zum Kommunismus betrifft, so hat dieses komplexe Verhältnis Tiedemann als Herausgeber der Schriften Benjamins unübertrefflich zu formulieren verstanden: „Hatte Benjamin sich zunächst zur Politik der kommunistischen Parteien bekannt, so mußte er sich mittlerweile von der Notwendigkeit überzeugen, vom politischen Bekenntnis zur theoretischen Aufarbeitung des Marxismus fortzuschreiten, die er zumindest so lange als
    A n e i g n u n g sich vorstellte, wie sie nicht wenigstens
    b e g o n n e n war.“
    (W.B. Ges. Schriften Bd.V.1, S.23)

    1. Leider daneben…Dem ‚Zack-Zack-Tempo‘ von Brecht hatte Benjamin wenig entgegenzusetzen. An Gretel Adorno schreibt er im Juli 1938:
      ‚Ein oder zwei Partien Schach, die etwas Abwechslung in das Leben bringen sollen, nehmen ihrerseits die Farbe des grauen Sundes an: denn ich gewinne sie nur sehr selten‘.

    2. … es war aber nicht nur das „Zack-Zack-Tempo“ Brechts. Brecht war die „Ermattungstaktik“… das bedächtige „Positionsspiel“ Benjamins zu langweilig. „Das bleibt sich zu lange gleich“. Er erfand häufig einfach neue Spielregeln für das Spiel – die Stellungen der Figuren blieben nicht immer gleich, und Figuren, die zu lange auf einem Platz standen, bekamen eine neue Funktion; auch aus diesem Grunde verlor Benjamin immer wieder.

    3. Unorthodoxe Spielregeln aufzustellen…, auch das hätte ich Benjamin eher zugetraut als Brecht. Woher haben sie diese ‚intime‘ Kenntnis der schachspielenden Antipoden?
      Für einen Hinweis bin ich dankbar!

      (Und natürlich sei auch meinerseits dem Herrn Gastgeber eine ebenso entspannte wie anregende Urlaubszeit gewünscht!)

  2. … ich wünsch‘ Ihnen Herr Reichenbach einen schönen Urlaub… gute Erholung, „Luft zum Durchatmen“… und viel Spaß.

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