B.L.’s 9./10.6. – Efeu, schwelend

20.31
Eine Geschichte endet. Sie flackert immer noch etwas auf. Es mag auch ein Schwelen unterschwellig wie zuweilen im Moor noch viel Rauch in die Augen treiben. Aber sie lodert ja doch nicht mehr. Schwelen wird es wohl lange noch, wahrscheinlich bis ans Ende meiner Tage. Wie ja alles im Leben weiterglimmt im kommenden Leben des Einzelnen. Wäre somit ein neues Feuer anzuzünden. Mir fehlt aber der Brennstoff, vielleicht weil ich durch die Geschichte doch etwas ausgebrannt bin. Und ich selber bin grad weniger entzündbar. Nein, das glaube ich dann doch nicht. Entzündbar schon, aber es fehlt der Funke. Ich muß mich wohl erst die neue Glocke, unter der ich jetzt stecke, und mich zusammenwachsen lassen. Ich begann so ein bißchen Zukunftskalkulation: Wenn die Bücher, die hier noch ungelesen stehen, alle durchschnittlich 250 Seiten hätten, und ich täglich 60 Seiten im Schnitt lesen würde, dann bräuchte ich dafür die nächsten 10 Jahre. Da mußte ich mich dann gleich beeilen und las heute 90 Seiten. Scheinbar hat mich das 10-Jahre-im-voraus-Denken doch erschreckt. Als ein lineares Dasein kann ich mir diesen Zeitraum sowieso nicht vorstellen, das eher so ein Hinterher-Eindruck. Auch hatte ich wieder die Phantasie, doch wieder in mein Dorf zurückzukehren. Dazu bräuchte es aber einen finanziellen Rückhalt. Vielleicht schaff’ ich’s für die letzten Jahre. Eine Ausdrucksweise, die schon ein Ende vorwegnehmen will, als wäre alles gelaufen. Möglich, daß ein wenig auch Jean Paul dran schuld ist, der solche Gedanken in seinen autobiographischen Texten des öfteren aufscheinen läßt, die ich grade lese, und in denen er heute von seiner Dorfkindzeit erzählte. All dies wirkt sich auf meine Themen aus, denen es nicht an Stoff mangelt, aber an einer Geschichte, so daß sie wie Efeu um ein Haus ranken, daß plötzlich nur von sich selbst bewohnt wird. Und so umrankt man sich selbst.

4 thoughts on “B.L.’s 9./10.6. – Efeu, schwelend

  1. Meinen Sie Jean Pauls „Wahrheit aus meinem Leben“?. Es gibt eine kleine Jean Paul Auswahl „Dichtungen“, erschienen 1940 in der „Dieterich’schen Verlagsbuchhandlung zu Leipzig“. In diesem Band ist „Wahrheit aus meinem Leben“ der von Christian Otto herausgegebenen Fassung dem 34. Band der dritten Werkausgabe (1860 – 1862) entnommen.

    „Efeuranken um ein Haus, das plötzlich nur von sich selbst bewohnt wird…“….

  2. …oder meinen Sie mit ‚autobiographischen Texten‘ jene, denen Jean Paul
    den merkwürdigen Titel ‚SELBERLEBENSBESCHREIBUNG‘ gegeben hat…?
    Der Spruch: Ich weiß, wo dein Haus wohnt…‘ bekommt plötzlich Sinn 🙂

    1. beiden Bibliographen:
      Der betreffende Band mit Lesebändchen kam dieses Jahr zu mir über die Wissenschaftliche Buchgesellschaft und ist eine Lizenzausgabe des Hanser-Verlages mit dem Titel „Lebenserschreibung“, darin enthalten ist auch die „Selberlebensbeschreibung“, die ich heute zu Ende gelesen habe, die aber nur bis zum ersten Abendmahl reicht, der Rest besteht aus der Konjektural-Biographie und Tagebuch-Ähnlichem. Und wenn ich in mir selber wohnte, würde ich an die Klingel den Namen „Haus“ schreiben.

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