18.48
Gestern erneute Verabredung in Rom. Beim Aussteigen aus dem Zug gleich eine SMS, sie hätte verschlafen, würde ein kleines bißchen später zum Treffpunkt „Spanische Treppe“ kommen. Also bummelte ich zu Fuß dorthin, kaufte unterwegs Gedichte von Pavese: „Verrà la morte e avrà i tuoi occhi“. Und legte sie in mein Rucksäckel und in Gedanken zum heutigen Programm. Ein Programm, daß ich in meinen Füßen auch hatte, ohne an ihre zu denken. So kam es zwar zum Programm, das nur noch existierte, um geändert zu werden. Dieser Umgang mit Programmen ist mir sehr angenehm, zumal sonst nichts uns zu nichts zwang. So scheinbar auch ihre, Terpsichores Art, mit Rom umzugehen, nämlich ganz anders als Paul und schon eher auch meiner Vorstellung vom Entdecken einer Stadt entsprechend. Einfach drauf los, der Nase nach. So kam es auch, daß sie mir dann von der Treppe, die am Kapitol zur Kirche Aracoeli hinaufführt, eine SMS an die Spanische Treppe schickte, sie sei da. Der Groschen fiel aber bald, und so trafen wir uns auf halbem Wegen zwischen Kapitol und Spanischer Treppe vor der Galleria Alberto Sordi hinter einem Grüppchen pfeifender und trommelnder Demonstranten mit Gewerkschaftsfahnen, denn gegenüber auf dem Platz mit der Ehrensäule für Marc Aurel liegt auch das Amt des Ministerpräsidenten. Via del Corso, Laufstraße fürwahr: kein rasches Vorwärtskommen möglich, ständig ein Grüppchen vor einem, das dicht an dicht geht, der Bürgersteig schmal, Limousinen, Taxis, Carabinieri, die einem ein rasches Überholen meist unmöglich machen. Endlich dann Nebenstraßen, die zur Spanischen Treppe führten. Viel aufhalten konnten wir uns nicht, ich hatte zwei Karten vorbestellt für die Galleria Borghese, die um halb eins abzuholen waren, für einen Rundgang ab ein Uhr. (Also wer dorthin will, der rufe dort an oder mache das über Internet: Vorbestellung obligatorisch). Geschafft haben wir’s. Und bummelten dann durch die Säle im Erdgeschoß mit den Statuen, den Gladiatoren-Mosaiken mit jeweiliger Namensangabe der Publikumshelden, ein griechisches „phi“ bei den Namen der nicht mehr lebenden, den Grotesken, den Nebenbei-Sachen, auf die ein kleineres Museum vielleicht stolz wäre, aber hier tatsächlich (und wenn überhaupt) nur einen Nebensatz wert waren. Terpsichore hatte sich einen Audioführer besorgt, ich selbst mag diese Dinger nicht. So ließ ich sie schauen und lauschen, und ich ging schon ein bißchen vor, mich vor die Haupt- und Paradestatuen zu stellen: Paolina mit ihrem kleinen Körper auf weich nachgebendem Marmor, der die Schleuder mit dem Stein spannende David, der mit zusammengekniffenem Auge sein unsichtbares Ziel anvisiert, die in wachsendem Erstarren begriffene Daphne (und der Lorbeer raschelte wie von ferne, der vor meinem vorigen Arbeitszimmer ebenso emporwuchs) mit ihrem Baumrinde und Blätter ansetzenden Mädchenkörper, dem ein jungenhafter Apollo in seiner nach sich zwirbelnden Betuchung nachwirbelt. Aber alles ganz langsam und beschaulich im wahrsten Sinne des Wortes. Sobald der Audioführer mit einem Zimmer fertig war, kurzes sich Verständigen über das Gesehene, Zeigen und Suchen und Interpretieren. Ihr lag sehr an einer Nebenbei-Diana, mir z.B. an einer kleinen Flußszene aus Marmor mit Gipsergänzungen und deren Figurenvielfalt, an dem wunderschönen Profil einer Kore. Nicht ganz einig waren wir uns vor der „Madonna dei Palafrenieri“ von Caravaggio, ein Bild, daß ich großartig fand in seiner einfachen Struktur: die alte runzlige Anna, die Madonna (das Gesicht einer ganz gewöhnlichen Mutter), vor sich den Jesus, die Madonna tritt auf den Kopf einer sich ringelnden Schlange, der kleine Jesus hat den Fuß auf dem tretenden Fuß der Madonna, die halb ihn und halb die Schlange anschaut, als wollte sie sagen: So macht man das.
Nichts weiter, kein Raum, keine Heiligen, kein nichts. Sie konnte sich mit den Gesichtern nicht anfreunden. Da waren dann schon zwei Stunden herum, und – was ich nun nicht wußte – die Eintrittskarte gilt nur für zwei Stunden. Also Pinakothek im oberen Stockwerk ade. Egal. Es war nicht wirklich wichtig. Wichtig war für mich vor allem Apollo und Daphne und ohne Vorwissen im Nachhinein das Gemälde von Caravaggio. Und wichtig auch, daß dieser Vorschlag ein guter gewesen ist auch für sie. Mit einem Kitsch-Gefährt in Form eines Miniatur-Westward-Ho!-Zuges zurück zum Pincio. Hunger und Durst. Gestillt. Und Pavese. Ich ließ sie lesen, weil sie auch etwas Italienisch lernen will, und die Gedichte keine sehr komplizierte grammatische Struktur aufweisen, so daß sie einiges schon selbst intuitiv verstehen konnte. Erklärte dieses und jenes, korrigierte die Aussprache. Solche Futilitäten. Und ließen uns Zeit, dies und das dazwischen schaltend. Wind fächelte, Piniennadeln fielen auf den Tisch. So beschloß ich, ihr das Büchlein zu schenken, nicht zuletzt, weil ihr die Texte gefielen. Leider dann wieder in die Via del Corso. Ein Eis am Ende brachte wieder Entspannung. Nein, zum Trevi-Brunnen (wo sie auch noch nicht war), wollte sie lieber doch nicht, sie zog es vor, noch nach ein paar Schuhen in der Via del Corso zu suchen. Für mich wurde es Zeit, zum Bus zu gehen. — Das Programm für heute ist auf morgen verschoben worden, was mir nicht unrecht kam, die Arbeit für morgen kam so besser voran. Ich spürte doch etwas die Wadenmuskeln heute vormittag. Außerdem große Zufriedenheit mit meiner Wohnung: immer weht eine leichte kühlende Brise durch sie hindurch.
Also nein… das klingt ja als sei ich eine regelrechte Kulturbanausin gewesen, dabei hast du nicht erwàhnt, dass ich es
war, die die Eidechsen entdeckte! Schuhe habe ich ganz entzueckende gefunden, leider nicht nur ein Paar. Heute nun wieder ein Abend mit Mefistofele und dem Maestro di Musica am Pianoforte. Gleich geht es weiter, es ist nur una piccola pausa.. Ich freue mich auf morgen! Buona notte….
Boito? Wen singen Sie denn (singen Sie)?
Ausgerechnet an der Römischen Oper erlebte ich einen Cesare (Händel), der musikalisch bis heute mit Abstand der beste aller war, die ich je hörte, den an der Met eingeschlossen. Inszenatorisch freilich war’s ein einziges GeRampenSaue; aber man konnte ja die Augen schließen, und dann war man – glücklich. (Ich hab einen Schwarzmitschnitt davon gemacht, war mehrmals drinnen – noch der Aufnahme merkt man die Größe an.)
L’altra notte in fondo al mare… …Margherita also. Hier erst habe ich Claudia Muzios Interpretation kennengelernt. Kennen Sie sie? Man sagte mir, wenn ich Sie hòre, wolle ich keine andere mehr hòren. Natuerlich habe ich protestiert… Und dann sass ich still und konnte meinen Ohren nicht trauen… Ich kann die Faszination verstehen, die Sie beim Hòren vom Caesare hatten. Mir òffnet sich hier auch gerade eine neue (alte) Welt.
@Terpsichore. Nein, die Muzio-Aufnahme kenne ich leider nicht. Aber, wie mein Freund UF immer sagt: „…haben wollen…“
Vorerst nur das hier… http://www.youtube.com/results?search_query=Claudia+Muzio&search=Search
Die Schònheit der Stimme erschliesst sich allerdings besser auf CD. Sie erfasste ihre Parts komplett, eine sehr sensitive Sàngerin, absolut expressiv, ohne Affekthascherei. Sie konnte alles audruecken, ohne dass die Stimme besonders gross gewesen ist. Diese stupende Beherrschung der Stimme in allen Lagen und die Mòglichkeit, die ganze Palette an Ausdrucksformen zu benutzen, in diesem Gleichgewicht von Maessigung und Expressivitàt habe ich so nirgendwo gehòrt. Der Ton ist niemals gezwungen, niemals haesslich. Die Phrase ist immer musikalisch, und sie ist permanent in der Musik, niemals ausserhalb dieser. Eine Saengerin voller Sinnlichkeit, unberuehrt und frei von allem uebertriebenen Exhibitionismus, dabei sich voll identifizierend mit ihrer Rolle. Und deshalb so wahrhaftig.
Aber vielleicht moegen Sie es ja gar nicht. Wenn doch, kann ich Ihnen gerne eine CD schicken, die ich hier geschenkt bekommen habe.