6.14 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Schwere, schwere, doch nicht ungute Träume. (Wovon mir träumte, hab ich aber schon vergessen, nur hielten sie mich lange im Liegen, zogen von der Matratze, der Couch, aus, an meinem Körper, als wäre er übers Erwachen hinaus in sie hineinverwoben – oder besser, organischer: noch, nachdem der HandyWecker geklingelt hatte, ein Teil eines ihrer Organe…) Also erst um sechs auf. Da es spät wurde gestern mit dem Profi, früh, zwei Uhr, ist das physiologisch okay, und ich hab kein schlechtes Gewissen. Unter vier Stunden Schlaf mag mein Körper nicht, und da das an sich schon genügsam ist, bin ich ihm nicht bös drum („ich“: wie wir immer noch trennen… wer trennt?). Und ahnte sowas voraus; deshalb radelte ich von der Bar gleich in die Arbeitswohnung und schlief h i e r; den Laptop schlepp ich eh immer rum (UF: „Schlepptop“).
Gestern abend wieder einmal der Gedanke, der mir nun schon einige Male kam, gestern abend aber als kräftige Evidenz – und ich formulierte ihn dann sogar handschriftlich im Notizbücherl -, daß es vorbei ist damit, daß ich noch Romane schreibe. ARGO wird noch ausgeführt werden, selbstverständlich – doch was ich zu sagen hatte in der epischen Prosa, das i s t dann gesagt. Alles andere (Melusine Walser, DLZI usw.) wären Wiederholungen oder allenfalls noch Verfeinerungen, mag sein, unterhaltsame, die sich auch mal verkauften, aber das interessiert mich ja eigentlich nicht, wenn ich arbeite. Möglicherweise wären es sogar Zerstreuungen, die Erreichtes teichhaft verwässerten. Es liegt von meinem Romanwerk genügend vor, und das ist nicht genügend rezipiert worden ist; manches erschien fast unbemerkt, anderes sollte offenbar und soll weiter unbemerkt bleiben – da haben die Leser nachzuholen und ich nicht vorauszulaufen, um sie zu locken. Es ist alles da. Man muß es nur hernehmen. Es wäre überdies ein Irrtum, daß ein weiteres Buch und noch eines und noch eines ihr Aufmerksamkeitsverhalten noch sonderlich verrückte; die Aufmerksamkeit der Betriebs bekämen das eh nicht.
Seltsam, mit 52 solch einen Abschluß zu sehen. Was j e t z t kommt, ist das gebundene Wort, das Versmaß, vielleicht die Entwicklung eines ganz eigenen Rhythmus‘ – etwas, worauf, merke ich, spüre ich, mein Romanwerk direkt hinauswollte – von allem meinem Anfang an, scheint mir – „Du willst Lyrik schreiben? Warum? In dem Roman“, hat mir vor neun Jahren der heutige Leiter des Berliner Literaturhauses , Ernest Wichner, zu THETIS gesagt, „ist jetzt schon derart viel Lyrik… wär es nicht unnötig, das in der direkten Form zu wiederholen?“ Daran erinnere ich mich heute, nachdem mich die Lyrik seit bald anderthalb Jahren schon im Griff hat – mich, der ich mich immer ein wenig lustig über sie gemacht habe, sofern sie nicht so machtvoll wie bei >>>> Paulus Böhmer daherströmte, einem der ganz-Großen Gegenwärtigen des Genres. Zu dem ich unterdessen gar keinen Kontakt mehr habe – wir sind/waren eng befreundet -, vielleicht, weil da so etwas wie Scham in mir ist vor dem großen Kollegen, eine Scheu, ihm nunmehr meine Sachen zu zeigen. Und außerdem… seit MEERE ist da ein Bruch, sowie seit meinen >>>> Jerusalem-Hörstück (L., Böhmers Frau, ist deutschstämmige jüdische Israelin; sie mochte das Stück, das ich ihr schickte, gar nicht anhören; „ich hab ein bißchen Angst davor“, sagte sie damals.).
Sie rief vor über einem Monat an und sprach auf meine Mailbox, ich möchte mich doch einmal melden; wie es mir ergehe? Bis heute, aus Scheu, aus Scham, ich bin mir nicht sicher, hab ich das nicht geschafft. Und auch die >>>> LIEBESGEDICHTE nicht nach Frankfurt geschickt, wie ich es sonst fast immer mit meinen Büchern getan.
zu dem Brennen der Wolle und der Wundstelle zwischen
den Beinen, dem wundersamen Aufbau des Schorfs,
dem Gitter der Schürfungen,
zur Süße des Nicht-mehr-Geliebtseins,
zu dem Zischeln der Hausflure, den Unterwerfungsgeräuschen
sich entfernender Züge, den wie in Panik er-
starrten Mustern auf alten Reifen,
den Deformationen der Erdkruste, den Spuren
wurmartiger Tiere unter Wäschestapeln, Wundrinden, Laub,
dem Geruch ranzigen Mehls, dem Geruch
einer Kniekehle, remenber me,
Marie.
(…)
Paulus Böhmer, Achter Kaddish.
Und, neben meiner (vor allem der epischen) Lyrik, steht da die Romantheorie – und die Hörstücke stehn da, von denen ich glaube, daß ich meine eigentliche Form, die zu ganz gleichen Teilen Musik und Sprache sein soll, noch lange nicht vervollkommnet habe. Anders, eben, als in den Romanen.
Heute will ich die achte Elegie fertig in den Hexameter bekommen.
12.26 Uhr:
[Bevor ich in den Mittagsschlaf falle.]
nicht zu ertrinken an Bildflut, an Stimmen von drüben, es albern
Kinder nun doch, Hand in der Hand aus dem Hort in den Hain,
perlendes Schnattern, und Mopeds, die knatternd vorbeiröhren, fern
bimmeln die Glocken, den Geist zu beschwören, der gerne noch wäre –
Zweimal erfüllt sich der Reim, zweimal nicht. Erfüllt der Stabreim, unerfüllt das „attern“, auf das aber mit „öhren“ sofort ein in „beschwören“ erfüllter Reim folgt, den das unerfüllte „fern“ auf „gerne“ wieder bricht – einfach schon deshalb, weil es zu leicht wäre, auch das zu erfüllen und der Reiz solcher Konstruktionen, gerade bei einem erfüllten Hexameter als basso continuo, in der Erwartungsverletzung liegt. An solchen Details hängen manche Passagen der Elegien oft stundenlang fest. Gelingen sie aber, macht mich das glücklich – und Mittagsschlaf, ecco! müde.