„Wie man weiß, hat Rodin eines Tages einen Mann ohne Kopf gemacht: einen Mann, der schreitet.(…) Das Einfachste, was sich von ihm sagen lässt, ist. dass Rodin zu dem Körper kein Kopf eingefallen ist, der gepasst hätte und mitgeschritten wäre. Weiter jedenfalls lässt sich die Einfachheit nicht treiben. Dieser Schreitende will nichts ausdrücken (…) Man braucht nur an die zu denken, die am Krieg teilgenommen haben: ihre Motive waren so unterschiedlich und unbeständig, wie die Wolken am Himmel; aber das macht nichts; der Körper war bereits unterwegs.“ Alain, den 28. Mai 1921
(aus: Alain, „Spielregeln der Kunst“ Frankfurt am Main 1985, S. 78ff.)
Ein Mann ohne Kopf, der vorwärts geht, der nicht über das Wohin nachdenken kann, weil er das Woher vergessen will. Einem solchen Mann, der keiner Vergangenheit traut und dem das Wort Zukunft ein Unbekannt ist, geschieht Gegenwart nur als Bewegung.
Jede Stille ist ihm unheimlich, alles Ruhige macht ihn neurotisch und lässt ihn das Manko des Kopfes ahnen. Aus diesem Grund muss er schreiten. Alles ist ihm ein Vorwärts, gleich ob er im Kreis oder geradeaus geht. Der Schreitende, der Marschierende, der hätte ich gestern sein können. Automatisch und stumm, ohne Gespür für das Nebenher einer verblühten Rose, einer Schnecke am Wegesrand oder den sanften Sang der Violine in der Nachbarschaft, fühlte ich mich wie ein Läufer am Start, der seinen Kopf verlor. Über ihm ein Pendel. Poes Pendel, das sich nach getaner Arbeit nun selbst an seinen eisernen, scharfen Kragen will. Die kleine Ruhe des Tages, die sich sonst im Blick aus dem Fenster meines Arbeitszimmers erholend einstellt, hatte am Dienstagabend etwas Bedrohliches und machte nervös. Kopflos. Die Enge des Häuschens, die Unmassen von Büchern, die sich in den Regalen und auf meinem Schreibtisch türmen, das Gebrabbel der Nachbarin über Hund, Katze und Ausländer, die nur an Einbrüche in ihre heile Welt denken würden und die Aussichtslosigkeit aus einer selbstverschuldeten Lage, nie hätte ich mich binden dürfen, dass ich liebe ist dazu kein Widerspruch, ohne verantwortungsloses Chaos wieder herauszukommen, entwickelt in mir einen Bewegungsdrang, die keinen Kopf mehr kennen will. Und statt aufzustehen und in den nahen Wald zu laufen, bleibe ich auf dem Stuhl sitzen und höre meinem Blut zu, das in den Adern rauscht und rauscht und rauscht… Es ist zum verrückt werden. Wenn ich Bewegung brauche, muss ich den Kopf verlieren und da, wo ich mir meines Kopfes gewiss werde, fehlt mir der Mut fürs Mobile. Rodins schreitender Mann ohne Kopf, das postpostmoderne Herdentier, läuft, joggt, walkt. Ins Leere.