4.52 Uhr:
[Waldschloß Parow, Aufenthaltsraum.]
Starke Schauerregnen vertrieben uns vom Strand, ärgerten dann auch über den Abend und stichelten beim Abendessen weiter; sie selbst und an sich sind nicht schlimm, eher schön; aber wenn man Zwillingsbabies dabeihat, dann komplizieren sich die Dinge, zumal der Ältere (seltsam, das jetzt schon von meinem Jungen so schreiben zu müssen – wie weiterer Nachwuchs die Dynamik der Perspektive verschiebt! und wie wohl der kleine Bursche das selber erlebt…)… zumal er „in Sachen Essen“ tja, verwöhnt ist kann man eigentlich nicht sagen, eher im Gegenteil: die über paar wenige Jahre im Hort und nun in der Schule eingenommene normierte Art von Essen, Tütensuppen und Geschmacksverstärker inklusive, hat seinen Gaumen derart geprägt, daß er alles nicht mag, was mal anders schmeckt – das kompliziert die Dinge heftig. Nicht daheim, da finden sich immer Lösungen, aber unterwegs… Ich selbst meine, soll er doch Fischstäbchen, Hotdogs und Pommes futtern, meinetwegen eine Woche lang, wenn ihn das glücklich macht. Wir müssen halt tags darauf achten, daß er seine Vitamine dann über Früchte bekommt. Aber die Mama hätte halt gern, daß er auch warm Gemüse ißt, am Abend… – kurz: da fielen gestern die Stimmung und der Abend selbst ins nicht im geringsten sprichwörtliche Wasser. Und ich schlief gegen halb elf über ein autogenes Training ein, das meinem Unbewußten suggerierte: jetzt bloß nicht noch schnarchen, auf keinen Fall schnarchen… Wie dieser selbsthypnotische Versuch ausging, erfahr ich wohl nachher.
Nicht eine Zeile gelesen über den Tag; die Früharbeit gestern schaffte eine halbe Seite an der Elften. UF rief ein paar Mal an, der mit Verleger >>>> Dielmann telefoniert hatte, der für mich momentan unerreichbar bleibt, obwohl ich dringend die Termine zur Abgabe der BAMBERGER ELEGIEN wissen muß, aber auch wissen möchte, wie weit es um die >>>> Vorzugsausgabe steht und ob nun die bestellten Nicht-Vorzugsausgaben verschickt sind; mich haben Anfragen erreicht, die ich gerne sachkundig beantworten würde. Jedenfalls, so UF, wolle mich Dielmann zurückrufen. Es kam aber kein Anruf, auch die Mailbox ist diesbezüglich stumm geblieben. Das alte Spiel also, das ich diesmal ziemlich gelassen aufnehme, weil ich mir denke: Was dann da ist, ist dann da; es eilt nichts; und es i s t ja immer alles irgendwann da; irgendwann halt. Ein Kleinverlag ist, auch für Gertrude Stein, ein Kleinverlag ist ein Kleinverlag ist ein Kleinverlag. Nur eben, zugleich, w a s für einer. Er hält für Sie obendrein eine Überraschung bereit, einen nächsten Coup, über den ich, w e i l Überraschung und Coup, hier noch nichts schreiben will und darf… Doch auch er wird es spätestens ab Dienstag, wenn ich wieder regulär am Berliner Schreibtisch sitzen werde, nötig machen, daß Dielmann und ich kommunizieren. Ich muß meine Arbeitsplanung festziehen, es steht zu viel für diesen Herbst und Winter zugleich an, um da einfach ins Lockre hineinzuproduzieren, nämlich:
1) der zweite Coup;
2) Fertigstellung der BAMBERGER ELEGIEN in der streng hexametrisierten Zweiten und dann rhythmisch gelockerten, lektoratsfähigen Dritten Fassung;
3) Fertigstellung der AEOLIA-GESÄNGE;
4) die drei Heidelberger Vorlesungen müssen geschrieben werden;
5) noch v o r dem November ist die Regie bei der Produktion des Marianne-Fritz-Hörstücks zu führen; zuvor sind die Musiken zuzuordnen;
6) ist eventuell statt des Stromboli-Hörstücks für den DLF ein noch ganz anderes Hörstück zu schreiben (aber ich will noch immer den Brief an Zenke schreiben, um vielleicht doch noch die AEOLIA als Grundlage durchzubekommen);
7) sind die theoretischen Texte für den Essayband zu überarbeiten und lektoratsfähig zu machen, der im Frühjahr 2008 bei >>>> tisch7 erscheinen wird;
8) ist die Textauswahl ARGO für den >>>> horen-Sonderband zu ANDERSWELT zu treffen und aufzubereiten, der im Herbst 2008 erscheinen wird;
9) dann ist >>>> ARGO selbst wieder aufzunehmen; der fünfte, abschließende, im Hexameter gearbeitete Teil überhaupt noch zu schreiben; danach ist der Roman selbst von der Zweiten in die lektoratsfähige Dritte Fassung zu bringen, in die sämtliche rund 400 Fußnoten und ebenfalls rund 400 Arbeitsnotate einzuarbeiten sind…
und schließlich ist
10) das Libretto für die vierte Kurzoper zu schreiben, an der >>>> Robert HP Platz und ich sitzen –
– höchstwahrscheinlich habe ich noch irgendein 11) sowie 12) vergessen –
– das jedenfalls alles noch in diesem Herbst. Und nebenher laufen, sowieso, die Gedichte; ich hab so eine Ahnung, daß sich da noch ein weiterer Zyklus dazwischenschieben wird… unter Arbeitsmangel klag ich also nicht; nur muß ich wirklich, um da nur einigermaßen durchzukommen, strukturieren. Wahrscheinlich nehme ich die Dts in der alten Form wieder auf und terminier mich nach Stunden, was wegen der Unvorhersehbarkeiten, die eine Familie aus fünf Köpfen, deren zwei noch Säuglingsköpfchen sind, imgrunde nicht recht praktikabel ist. Aber es tut gut, sich den Problemen en face zu stellen.
So, ich muß noch mal hoch; die Milchtüte für den Kaffee ist leer, die zweite steht im Zimmer. Hoffentlich weck ich niemanden.
7.04 Uhr:
Womit ich mich aufgrund einer einzigen Verszeile der Bamberger Elegien so alles beschäftigen muß: von >>>> religio über >>>> Kreationismus zu >>>> Hermann Kahn, bei dessen Erwähnung ich aufmerkte, weil ich mit neunzehn sein „On Escalation“ gelesen habe, eine Ullstein-TB-Schwarte, deren Aufmachung mir bis heute deutlich vor Augen steht… dabei will diese Zeile der Elegienbrauchten wir nicht einen Ritus der Physis und Durchlässigkeitenauf etwas ganz anderes hinaus… aber die Gewebe sind dicht, und es bleibt als Adornos Erbe die Verpflichtung, die Kunst, so gut es irgend geht, vor einem – auch interpretativen – Mißbrauch zu schützen. Das ist keine am Haar herbeigezogene Überlegung, denn >>>> wie Reichenbach hier warnte, versucht der fundamentale Kreationismus, in Deutschland, wenigstens in Hessen, einzuziehen und ist wahrscheinlich Ausdruck einer unbewußten Gegen-Fundamentalisierung, deren Fokus der fundamentale Islamismus ist, bzw. könnte man verschwörungstheoretisch-kreationistisch argumentieren, dieser diene letztlich der Verstärkung fundamental-christlicher Positionen in der Welt. In diese Dynamik mag ich auch mißinterpretiert nicht gern hinein, mag ihr kein Futter geben. Die Elegien h a b e n, ganz sicher, religiöse Implikationen, aber eben synkretistische oder, wenn man so will, hybride/hybridisierende – deshalb der ‚heidnische‘ Bezug auf die Antike. Am nächsten kommt mir heute früh die Idee eines Polytheismus der Physik – eben n i c h t das „eine Prinzip“.
Ich trink den Kaffee besser ohne Milch.
Ja, die ANNO-Anthologie hast Du z.B. vergessen… 🙂